In Naoko Ogigamis „Close-Knit“ suchen drei ungewöhnliche Menschen den Weg aus der Einsamkeit und stricken im wahrsten Sinne des Wortes neue Verbindungen.
Leise Klaviermusik und Unterwäsche in Großaufnahme. Ein symbolhaft gezeigter Büstenhalter. In einem unaufgeräumten Zimmer sieht man ein Mädchen im Grundschulalter, das sich schweigend einen Onigiri (Reisball) aus dem 24-Stunden-Laden in den Mund stopft. Das ist Tomo (Rinka Kakihara) und mit ihr beginnt der Film Close-Knit, der die Geschichte einer zärtlichen Liebe erzählt. Als der Abspann läuft und der Name der Regisseurin Naoko Ogigami erscheint, klatsche ich. Dabei trifft sich mein Blick mit dem meines Platznachbarn, wir lächeln und nicken uns zu.
Eines Tages wirft Tomos Mutter ihren Job hin und verschwindet mit einem Mann. Tomo geht deshalb zu ihrem Onkel Makio (Kenta Kiritani). Es ist nicht das erste Mal, dass Tomos Mutter verschwunden ist, und es ist auch nicht das erste Mal, dass ihr Onkel sie aufnimmt. Anders ist diesmal jedoch, dass Makio inzwischen mit seiner Freundin Rinko (Toma Ikuta) zusammen lebt. Rinko, die Makio zufolge „ein bisschen seltsam“ ist, ist eine Transgenderfrau und war früher ein Mann. In aller Ruhe wird das Leben der drei Menschen Tomo, Makio und Rinko gezeigt.
Zuerst war ich erstaunt über die unwiderstehliche Fraulichkeit Rinkos. Sie spricht ungezwungen und kann wunderbar kochen. Sie ist geschickt im Stricken und strickt große Mengen von undefinierbaren Teilen, die wie Beutel geformt sind. Und dann trägt sie offenbar auch noch BHs in Körbchengröße E mit 200 cc. Als Tomo auf dem Spielplatz das von Rinko für sie vorbereitete Lunchpaket öffnet, findet sie darin ein Bentō, ein Kästchen, mit niedlichen Comicfiguren. Das erfreute Lachen der Zuschauer an dieser Stelle war beeindruckend. Überhaupt haben die Zuschauer bei der Vorführung immer wieder bei Szenen gelacht, in denen gegessen oder gestrickt wurde. (Die Szene, in der 108 gestrickte Teile verbrannt werden, mag ich besonders!)
Die LGBT-Community in Japan
In Japan ist angeblich einer von 13 Menschen LGBT, das ist etwa derselbe Anteil wie der von Linkshändern. In den Medien werden sie inzwischen häufiger thematisiert. Besonders Menschen wie die sogenannten „Onee-Talente“, also Männer, die wie Frauen sprechen und sich wie Frauen bewegen, stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch in Japan beginnt die Gesellschaft etwas toleranter zu werden. Trotzdem sind jedoch immer noch Blicke zu spüren, aus denen die Ablehnung des Andersseins, das Unverständnis, die Ausnahme spricht. Manchmal ist auch eine gewisse selbstbezogene, arrogant-mitleidige Haltung zu sehen.
Mit solchen Leuten sollte man sich besser nicht abgeben. Die sind nicht ganz normal. Auch Naomi (Eiko Koike), die Mutter des Jungen Kai, die so zu Tomo spricht, hegt bestimmt keine bösen Absichten. Sie weiß es einfach nicht besser. Kai wiederum ist verwirrt von Oono, der in die sechste Klasse geht, und leidet unter seiner intoleranten Mutter, die das nicht versteht. Eine Frau sein oder ein Mann sein – was bedeutet das? Wie begreifen wir in der heutigen Gesellschaft die Identität von Menschen, die in keine der herkömmlichen Geschlechterrollen und Kategorien passen?
In einer eindrucksvollen Szene seufzt Rinko, die sich in ihrer Zeit als Mittelschülerin quälte: „Ich möchte einen Busen haben!“ Ihre Mutter Fumiko (Misako Tanaka) akzeptiert dies einfach mit „Ja, so ist das eben“. Verstehen und akzeptieren ist so einfach und doch so schwer. Während der ganzen Zeit, in der ich den Film gesehen habe, hat mich ein beklemmendes Gefühl in der Brust nicht losgelassen. Makio erinnert sich an seine erste Begegnung mit Rinko und dass er sofort in sie verliebt war. Er sagt, es war ihm egal, ob sie ein Mann oder eine Frau war – er liebte sie einfach.
Naoko Ogigamis
Close-Knit läuft auf der Berlinale in den beiden Sektionen Panorama und Generation. Für Regisseurin Ogigami ist es das vierte Mal, dass ein Film von ihr an der Berlinale teilnimmt.