Obwohl das Thema Flucht 2017 nicht so sehr im Fokus der Berlinale steht wie im Jahr davor, diskutieren viele der gezeigten Filme Vertreibung und Diaspora. Manch einen mag es überraschen, dass dies besonders auf die chinesischen Filmbeiträge zutrifft..
Die „Grenzüberschreitung“ nehmen viele Filme der diesjährigen Berlinale durchaus wörtlich: Mal tun es Filmcharaktere, um einem Gerichtsverfahren zu entgehen (Adriana’s Pact), mal, um zu arbeiten (God’s Own Country, When the Day Had no Name, Vaya, Alyam Alyam, Mr. Long), sie sind auf der Flucht vor Verfolgung (Honeygiver among the Dogs, Combat Au Bout de la nuit), oder es geht schlicht darum, das Richtige zu tun (I Am Not Your Negro).
Vielleicht liegt es nicht auf der Hand, was die Themen Migration und Vertreibung mit China zu tun haben, aber wenn man sich die geografischen Distanzen und die kulturellen, sprachlichen und ökonomischen Unterschiede zwischen verschiedenen chinesischen Provinzen (die meisten davon sind so groß wie ein durchschnittliches europäisches Land) vor Augen führt, dann zeigen sich plötzlich viele Parallelen zwischen der Migration innerhalb des chinesischen Festlands und den Migrationsbewegungen anderswo auf der Welt. Aufgrund des großen ökonomischen Gefälles zwischen den Küstenregionen und dem Hinterland ziehen viele ehemalige Bauern in die Städte, um das dort verdiente Geld nach Hause schicken zu können, so wie Ciao Ciao (Ciao Ciao), Lao Liu (Ghost in the Mountains) und Ying Ling (Almost Heaven). Dabei bleibt ihnen meistens die sogenannte Hukou-Registrierung als Stadtbürger verwehrt, und damit auch der Zugang zu vielen Sozialleistungen, die den Städtern zustehen. Auf diese Weise entsteht in vielen chinesischen Städten eine Schicht an „Geisterbürgern“. Zugleich werden ungezählte Kinder und Teenager in ihren Heimatdörfern zurückgelassen, so wie Steinkopf (Stonehead), Lynn (The Foolish Bird), und der Junge in Xie Tian’s Kurzfilm Promise – Sie alle geben den Millionen von zurückgelassenen chinesischen Kindern ein Gesicht.
Meine Filmkritikerkollegen Megan Spencer (The Guardian Australia) und David Mouriquand (Exberliner) waren so nett, mir ihre Sicht auf die in diesen chinesischen Filmen dargestellte Migration mitzuteilen. „In diesen Filmen ist das Telefon omnipräsent, als Bindeglied, als Ersatz. Teilweise wird es aber auch verachtet, wie am Ende von The Foolish Bird, wo ein Telefon im Fluss landet und es sich anfühlt wie eine Befreiung von Parasiten“, sagt Megan.
David fügt hinzu: „Für alle, die schon in jungem Alter in den Städten arbeiten müssen, wie in Almost Heaven oder diejenigen, die zurückgelassen werden, gibt es einen Verlust der Unschuld, der viel zu schnell von statten geht.“