Auf der Suche nach Spuren deutscher Auswanderer in den Westen Kanadas startete ein Forscherteam der University of British Columbia das Projekt Arriving Eyes, ein öffentlich zugängliches Geschichtsprojekt, das Interviews und Familienfotos versammelt, um die Geschichten von deutschen Muttersprachlern zu erzählen, die im 19. und 20. Jahrhundert nach Kanada ausgewandert sind.
Um die Webseite auf den Weg zu bringen, durchsuchten UBC Germanistik Assistant Professor Kyle Frackman, UBC-Alumni und derzeitiger Bibliothekar der University of Calgary Marc Stoeckle und UBC-Bibliothekar Keith Bunnell Archive und nutzten persönliche Kontakte, um so viel Material wie möglich zu sammeln. „Uns interessierte, warum ausgerechnet British Columbia ein so beliebtes Ziel war“, erklärt Frackman, „vor allem, weil so viele der Menschen, die hier hergekommen sind, ganz Nordamerika durchqueren mussten.“
Da die meisten deutschen Immigranten an einem der östlichen Knotenpunkte des Landes ankamen, muss die weitere Reise nach Westen eine logistische Herausforderung gewesen sein. Die Frage, warum Deutsch sprechende Kanadier diesen weiten Weg gemacht haben, berührt ein wichtiges Detail der westkanadischen Geschichte. Wenig überraschend fanden die Forscher viele verschiedene Gründe der deutschsprachigen Bevölkerung (aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) dafür, sich in Vancouver und der Region Lower Mainland niederzulassen. Während die meisten Deutschen zwar in Ostkanada „landeten“, „war es oft ihr Interesse für die Natur und die Landschaft, die sie hierher brachten“, erläutert Frackman. „In der ersten Zeit waren es vor allem Menschen, die bereit waren, in die Berge zum Goldsuchen zu gehen, oder die in der Forstwirtschaft arbeiten wollten.
Interview mit der Familie Milewski in Maple Ridge, BC
| © Martin Milewski
Stoeckle wird von dem Wunsch angetrieben, die kulturell bedingten Lücken in der deutschsprachigen Geschichte Kanadas zu füllen: „Die Forschung zeigt, dass sich Deutsche in der Vergangenheit sehr schnell angepasst haben. Deshalb haben wir uns entschieden,
etwas in diesem Zusammenhang zu machen.“
Das Aufspüren von Quellen, die bereit waren, ihre Erfahrungen mitzuteilen, stellte sich entgegen den Erwartungen Frackmans und seines Teams als überraschend einfach heraus. Schließlich musste Stoeckle sogar Teilnehmer*innen ablehnen. Dann begann die Feldforschung – Recherche in Archiven, Interviews bei Zeitzeugen zu Hause und Fotoalben durchblättern. Frackman versuchte, eine ausgeglichene Oral-History-Quellensammlung zu erstellen: verheiratete Paare, Personen, die sehr jung nach Kanada ausgewandert sind, ein Rucksacktourist, der in den 1960er Jahren angekommen ist und moderne „Container-Deutsche“, die ihr gesamtes Leben in Deutschland verpackt haben, um nach Kanada umzuziehen.
Trotz der Verschiedenheit der Erfahrungen haben einige übereinstimmende Wahrnehmungen Stoeckle überrascht: „Eines der ersten Dinge, die alle verwunderten, waren die ‚fragilen‘ Häuser“, lacht er. „Alle bemerkten das: ‚Die Häuser hier sind nur aus Holz!‘“
Eine größere Herausforderung für das Team war es, die Sprachbarriere zu überwinden. „Ein Großteil der Materialien, die wir fanden, war auf Deutsch“, erklärt Frackman. Das Team war mit der Schwierigkeit konfrontiert, die Erfahrungen der deutschen Muttersprachler an ein vor allem Englisch sprechendes Publikum zu vermitteln. „Häufig stellte uns das vor die Frage, ob wir übersetzen oder paraphrasieren sollten, um die Ergebnisse in einer ansprechenden Form zu präsentieren“, fügt Frackman hinzu.
Für das Projekt war es Stoeckle wichtig, dass die Deutschen so sprachen, wie sich am wohlsten fühlten – das führte oft zum Wechseln der Sprache während des Interviews. Ihre Erfahrungen werden zusammen mit Archivaufnahmen, Audioaufnahmen und Texten aus Archiven auf der Webseite des Projekts Arriving Eyes präsentiert. Das kleine Projekt der UBC – ein Verzeichnis von Texten über deutsch-kanadische Erfahrungen – hatte sich plötzlich über seine ursprüngliche Form ausgeweitet.
Evelin McCarvill auf Vancouver Island, BC
| © Rob McCarvill
Frackman zufolge hängt der Erfolg des Projekts damit zusammen, dass es das tägliche Leben von Deutsch sprechenden Kanadiern vorstellt. „Manche dieser Menschen machten ihre ersten Reisen vor fünfzig Jahren“, betont er. „Sie taten etwas sehr Ungewöhnliches. Es war nicht alltäglich für deutsche Einwanderer in die östlichen Regionen Kanadas oder der USA zu gehen. Aber es war noch viel ungewöhnlicher, so weit nach Westen zu reisen. Für manche war genau das der Grund, der Reise zu machen. Ich denke, viele Menschen hatten das Bedürfnis darüber zu sprechen, warum sie dies gemacht haben.“
Stoeckle hofft, das Projekt ausweiten und die Webseite besser zugänglich machen zu können. „Da ist noch so vieles mehr“, sagt er. „Jemand fragte, ‚Warum wollt ihr uns interviewen? Wir hatten kein besonderes Leben, da ist nichts, was wir geleistet haben.‘ Aber ich erwiderte, das ist genau die Leistung – ein Leben. Das ist das Außergewöhnlichste, was es gibt.“