Anfänge des Radios
„Achtung, Achtung“
Vor mehr als einhundert Jahren begann das Radio, die Welt zu erobern. Wir haben uns die ersten über drahtlose Telegrafie gesendeten Sätze angehört: eine Zeitreise zu den Anfängen von Funktechnik und Radiounterhaltung.
Von Jan Zipperer
Am 29. Oktober 1923, pünktlich um 20 Uhr am Abend, ging der erste offizielle deutsche Radiosender auf Sendung. Die „Funk-Stunde Berlin“ sendete aus dem Büro einer Schallplattenfirma in der Potsdamer Straße. Die ersten gesendeten Sätze lauteten: „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle im Vox-Haus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt.“ Im Anschluss wurde ein Stück für Cello und Klavier live im Studio gespielt.
Wir feiern im Jahr 2023 den 100. Geburtstag des ersten Unterhaltungsradiosenders in Deutschland. Wie aber begann die Geschichte des Fernfunks weltweit? Welche legendäre erste Worte wurden anderswo durch den Äther geschickt?
„Kannst du mich hören?“
Bereits im Jahr 1895 gelang dem italienischen Ingenieur Guglielmo Marconi die erste drahtlose Übertragung von Ton über eine Distanz von 1,5 Kilometern. Er sendete damals von einem Strand in Wales die Worte „Can you hear me?“ („Kannst du mich hören?“) an seinen Assistenten George Kemp. Der antworte mit: „Yes, loud and clear“ („Ja, laut und deutlich“).
Allerdings wurde diese Konversation nur in Morsecodes geführt. Die Möglichkeiten zur Übertragung von Sprache mussten erst noch entwickelt werden. Marconi war auch nicht der Einzige, der sich mit neuen Übertragungstechniken beschäftigte. Der Physiker James Clerk Maxwell legte mit seinen Theorien über Radiowellen den Grundstein, und Heinrich Hertz, ebenfalls Physiker, konnte diese bestätigen. Auch die Physiker und Elektroingenieure Nikola Tesla, Ferdinand Braun und Alexander Stepanowitsch Popow gehören zu den Pionieren der Funktechnik.
Der italienische Ingenieur Guglielmo Marconi versuchte sich 1902 an der ersten transatlantischen Radioübertragung von – Morsecodes! Marconi unter anderem mit einem Funkensender und einem Morsetaster (undatierte Aufnahme).
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„Eins, zwei, drei, vier. Schneit es bei Ihnen, Mr. Thiessen?“
Den entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Radios sollte schließlich Reginald Fessenden gehen. Dem kanadischen Erfinder gelang die erste Sprachübertragung in der drahtlosen Telegrafie. Am 23. Dezember 1900 richtete er in Maryland das Wort an seinen Assistenten Mr. Thiessen, der sich in einer Entfernung von circa 1,5 Kilometern befand. Er sagte: „One, two, three, four. Is it snowing where you are, Mr. Thiessen? If it is, telegraph back and let me know.“ („Eins, zwei, drei, vier. Schneit es bei Ihnen, Mr. Thiessen? Wenn ja, telegrafieren Sie zurück und lassen Sie es mich wissen.“)
Mr. Thiessen telegrafierte zurück, und ja, es schneite.
„Ehre sei Gott in der Höhe“
Sechs Jahre später gelang Reginald Fessenden sogar noch eine weitere Pionierarbeit. Er strahlte die vermutlich weltweit erste Unterhaltungs-Radiosendung mit einer eigens zusammengestellten Mischung aus Musik und Wort aus. Am Weihnachtsabend 1906, in einer Funkstation in Brant Rock in Massachusetts, hielt er sein Mikrofon an ein nebenstehend platziertes Grammofon und übertrug so eine Schallplattenaufnahme von Georg Friedrich Händel per Sprechfunk. Anschließend griff er selbst zur Violine und spielte Stille Nacht, heilige Nacht. Er beendete seine Sendung mit dem Bibelvers: „Glory to God in the highest and on earth peace to men of good will“ („Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede sei mit Euch“).
Diese vor allem an Seeleute und Matrosen gerichtete Übertragung wurde bis ins karibische Meer empfangen. Sie gilt bis heute als der Anfang einer neuen Ära – und irgendwie auch als die Geburt des DJs, Moderators und des Violine spielenden Showmasters.
Die Geburtsstunde des Violine spielenden Showmasters: Reginald Fessenden und seine Violine absolvierten am Weihnachtsabend 1906 die wohl erste Unterhaltungssendung in der Geschichte des Radios (undatierte Aufnahme).
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„Hallo, hier Königs Wusterhausen“
Auch in Deutschland gab es ein Experiment an Weihnachten. Im Dezember 1920 sollen ungefähr 120 Menschen eine Test-Übertragung verfolgt haben. Mit den Worten: „Hallo, hier Königs Wusterhausen auf Welle 2700. Meine Damen und Herren, zum Zeichen, dass unsere Station jetzt großjährig geworden ist, wollen wir Ihnen ein kleines bescheidenes Weihnachtskonzert senden“, begrüßten Techniker der Post das Publikum und spielten anschließend auf selbst mitgebrachten Musikinstrumenten ebenfalls das Stück Stille Nacht, heilige Nacht.
„Wenn dieses Licht brennt – dann Klappe halten!“
Die erste regelmäßige Radio-Sendung startete am 6. November 1919 in den Niederlanden. In Scheveningen ging Hanso Schotanus à Steringa Idzerda immer nachts auf Sendung. Er startete sein aus eigener Tasche finanziertes Programm mit dem Grenadiersmarsch Turf in je ransel. Zu Deutsch: Torf in Deinem Ranzen.
Obwohl Idzerda seine Reichweite täglich ausbauen konnte und teilweise sogar in England empfangen wurde, überstiegen die Kosten irgendwann sein Budget, und er musste sein Projekt nach einigen Jahren an den Nagel hängen. Idzerda gilt im Übrigen auch als Erfinder der roten Lampe, die immer dann anspringt, wenn das Mikrofon geöffnet ist. Bei ihm war es eine beleuchtete Tafel, auf der stand: „Brandt dit licht, dan koppen dicht!“ („Wenn dieses Licht brennt, dann Klappe halten!“)
„Der erste kommerzielle Radiosender der Welt“
Der weltweit erste kommerzielle Radiosender wurde schließlich in den USA gegründet. Am 2. November 1920 ging KDKA in Pittsburgh auf Sendung mit dem Satz: „This is KDKA Pittsburgh, the world’s first commercial radio station“ („Hier ist KDKA Pittburgh, der erste kommerzielle Radiosender der Welt“). Ob hier damals auch schon die größten Hits der 1880er, 1890er und das beste von heute gespielt wurden? Es kann leider nicht mehr nachgewiesen werden.
„London calling“
Wenig später startet in London die BBC, die British Broadcasting Company. Ursprünglich kam die Idee von sechs Elektrogeräte-Herstellern, die den Absatz ihrer Rundfunkgeräte ankurbeln wollten. Am 14. November 1922 setzte dieses Konsortium seinen Plan um und startete den ersten britischen Radiosender mit dem Satz: „2LO, Marconi House, London calling“. Damit wollte der Moderator nicht etwa auf einen der größten Hits der Band The Clash hinweisen, es war vielmehr eine Anspielung auf die damalige Rufnummer des Senders und den Senderstandort: eine Fabrikhalle in London, die dem bereits oben erwähnten Erfinder und Ingenieur Guglielmo Marconi gehörte.
Marconi beteiligte sich übrigens auch in seiner Heimat Italien am ersten Radiosender. Hier dauerte es bis zum 6. Oktober 1924, dann begrüßte die Opernsängerin Ines Viviani Donarelli die Zuhörer*innen und kündigte eine Live-Übertragung eines Haydn-Konzerts an, bei dem sie selbst zu hören war. Die BBC ist heute die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt.
„Militärposten Eiffelturm“
In Frankreich wurde als erste Sendeanlage – wie sollte es anders sein – der Pariser Eiffelturm genutzt. Nach einigen Tests mit Morsezeichen und Militärmusik waren die ersten gesendeten Worte ziemlich banal: „Allô, allô, ici poste militaire de la Tour Eiffel“ („Hallo, hallo, hier ist der Militärposten Eiffelturm“). Ab Weihnachten 1921 sendete Radio Tour Eiffel ein Unterhaltungsprogramm mit Musik, Wettervorhersagen und ein bisschen Buntem.
Und so entwickelte sich nach und nach schließlich auf allen Kontinenten und in nahezu allen Ländern ein eigenes Radioprogramm. Die meisten Sender setzen bis heute auf ein Unterhaltungsprogramm mit Musik, Wetter und ein bisschen Buntem.
„Achtung, Achtung“: Blick in die Sendestelle im Vox-Haus in Berlin, den Senderaum des ersten Berliner Rundfunksenders 1923.
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350 Milliarden Mark
Verändert haben sich in den letzten einhundert Jahren vor allem die technischen Möglichkeiten in unvorstellbaren Dimensionen: von der Erfindung des Transistorradios bis hin zum Internet und Smartphone. Radio wird heute auf viele unterschiedliche Arten weltweit übertragen und ist weit mehr als drahtlose Telegrafie. Was sich nicht zuletzt auch auf den Eiffelturm auswirkt: Dieser ist aufgrund einer neuen Antenne für Digitalradioübertragung seit 2022 nochmal um sechs Höhenmeter gewachsen.
Eine Sache aber ist gleichgeblieben: Radio hören kostet Geld. Wer den ersten Unterhaltungsradiosender in Deutschland am 29. Oktober 1923 aus Berlin live mitverfolgen wollte, brauchte eine Genehmigung von der Post. Es musste eine Lizenz gekauft werden, die damals in der Zeit der großen Inflation bis zu 350 Milliarden Mark kostete. Dagegen ist der heutige deutsche Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro doch ein echtes Schnäppchen.