Die Disparität zwischen Worten und Taten ist haarsträubend
Kannst Du uns sagen, was Du mit Deinem Werk vermitteln wolltest? Was waren die Inspirationen und Ideen, die bei der Schaffung des Werkes ausschlaggebend waren?
Ich habe mein Skript so oft neu- und umgeschrieben: Angesichts der turbulenten Situation rund um die CGL-Pipeline und meiner Beteiligung an den Unterstützungsaktionen für die Erbhäuptlinge der Wet'suwet'en waren meine versöhnlichen Gefühle ziemlich erstickt. Ich versuche, hoffnungsvoll zu bleiben und eine reflexartige Ablehnung zu vermeiden - aber Versöhnung ist ein von oben nach unten gerichtetes Projekt zwischen der Kolonialregierung und den indigenen Völkern. Das Machtungleichgewicht und der Widerwille, Dokumente wie UNDRIP oder die Empfehlungen der Missing and Murdered Indigenous Women and Girls Inquiry zu respektieren, macht Vorgänge wie den Kauf von Pipelines, Öl-Rettungsaktionen, Mancamps während einer Pandemie und Trudeaus Bewerbung um einen UNO-Sitz gefährlich und heuchlerisch.
Die Disparität zwischen Worten und Taten ist haarsträubend, so dass indigene Menschen weiterhin zwischen dem Schaden und der damit einhergehenden Trauer gefangen sind. Aber den Kampf aufzugeben ist keine Option.
Warum ist das Thema der Versöhnung für Dich wichtig?
Ich glaube, dass es wichtig ist, über die eigentliche Bedeutung von Versöhnung zu sprechen und darüber nachzudenken, wie sie aussehen muss und wem sie dient, dann das Wort selbst ist zu einem weitläufigen Platzhalter geworden. Für die indigene Bevölkerung muss Versöhnung die Möglichkeit bieten, Wege zurück zu ihrem Land zu finden. Damit ist nicht nur das Land im buchstäblichen Sinn gemeint, dem wir etwas schulden und zu dessen Schutz wir verpflichtet sind, sondern wir müssen auch über die Wiederherstellung nachdenken, die innerhalb unserer Gemeinschaften geschehen muss. Auch wir sind das Land. Darüber möchte ich sprechen; ich bin nicht an der gegenwärtigen Beziehung zur Staatsregierung interessiert. Solange sie nicht bereit sind, der Realität den Stachel zu lassen, dass das Anbieten einer Entschuldigung noch nicht bedeutet, dass sie auch angenommen wird, bin ich sehr dafür mich nach innen zu richten und mich auf das Land und diejenigen zu konzentrieren, die ich liebe und die daran arbeiten, es zu verteidigen.
Wie war der kreative Prozess bei der Schaffung dieses Kunstwerks? Planst Du viel im Voraus, und entsteht erst der Text oder die Illustration oder umgekehrt? Welche Medien und Methoden hast Du angewendet?
Ich beginne zunächst mit meinen Skripten; besonders bei Themen wie diesem ist die erste Runde immer viel zu überbordend, um auf die Seite zu passen. Ich versuche, meine Skizzen nicht zu kompliziert werden zu lassen, weil ich immer daran denke, dass ich ja von vorne anfangen oder die Elemente abzeichnen und digital neu zusammensetzen kann, wenn ich es wirklich vermasseln sollte.
Alles wird von Hand mit Tusche gezeichnet und dann in Photoshop editiert und koloriert. Zwischen den Anfängen und dem Endprodukt können eine Menge Collagen liegen. Meine Skizzen neigen dazu, überdimensioniert zu sein und werden zugeschnitten, mit Klebeband und Flüssigkleber in eine Annäherung an das Ziellayout hineingeklebt.
Was wäre sonst noch im Zusammenhang mit deinem Werk wichtig zu wissen?
Ich mache mir Sorgen, dass mein Comic nicht als komplexe Auseinandersetzung, sondern als Sensationslust am Elend daherkommt! Ich möchte hinzufügen, dass ich trotz der ständigen Angst und der polizeilichen Überwachung, die damit einhergehen, den eigenen braunen, queeren Körper zu einer Blockade, Kundgebung oder Besetzung zu bewegen, einige meiner intensivsten Erfahrungen von liebevollem Umgang entlang dieser Fronten gemacht habe. Die Beziehungen, die dort aufgebaut werden, die fühlen sich wie ein Weg nach vorne an, und ich glaube an diese Arbeit.
Whess Harmann
gehört den Carrier Wit’at an, einer Nation, die von der Zentralregierung der Lake Babine Nation zugeordnet wurde. Whess schloss 2014 das BFA-Programm der Emily-Carr-Universität ab. Gegenwärtig lebt und arbeitet Whess auf den Territorien der Musqueam, Squamish und Tsleil-Waututh.
Whess Harmann nutzt diese Tätigkeit als Mittel, um Fragen rund um Identität und die Beziehungen zwischen den indigenen Bevölkerungen, aber auch die Beziehungen mit dem Siedlerstaat zu interpretieren. Als ethnisch gemischte*r, trans/nich-binäre*r Künstler*in arbeitet Whess daran, einen eigenen Weg durch Ängste und queere Melancholie mit Humor und sorgsam dosiertem Zynismus zu finden.
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