Neue Kampfarenen für Feministinnen
Beschleunigt das Internet das Ende des Patriarchats? Vanda Černohorská erforscht, wie Online-Aktivisten und -Aktivistinnen die Gesellschaft verändern.
Vanda Černohorská gibt dem Patriarchat noch ein, maximal zwei Jahre. Das zumindest sagte sie im Januar 2017 in einem Interview mit der tschechischen Zeitung The Student Times E15. Für ihre Promotion an der Masaryk-Universität in Brno (Brünn) untersucht sie, wie feministische Organisationen und AktivistInnen Blogs und Soziale Medien im Kampf um Geschlechtergleichheit nutzen. Sie selbst tritt immer wieder öffentlich als Kommentatorin auf und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sexistische Positionen in den tschechischen Medien zu entlarven. Dafür wird sie schon mal als „Gender-Dschihadi” beschimpft. Glaubt Vanda wirklich daran, dass es mit der Vorherrschaft des männlichen Geschlechts bald vorbei ist? Oder gehört Gleichstellung nach wie vor in das Reich der Utopien?
Vanda schickt eine erste Facebook-Nachricht: „Mit dieser zugespitzten Aussage habe ich auf den berühmten Film Pelíšky (Kuschelnester) angespielt. Darin sagt einer der Charaktere, dass er dem Kommunismus noch ein, maximal zwei Jahre gibt – und das im Jahr 1968, nur einige Wochen, bevor die sowjetischen Panzer in Prag einrollten.“ Ironie also. Aber steckt dahinter auch ein bisschen Hoffnung? „Es könnte ein guter Ansatzpunkt für ein Gespräch darüber sein, welche Fortschritte wir im Kampf um Geschlechtergleichheit gemacht haben, und woran wir noch arbeiten müssen“, schreibt sie. „Digitaler Aktivismus ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Thema.“
Eigentlich passt ein solches Gespräch gerade überhaupt nicht in Vandas Terminkalender. Ein paar Tage später wird sie mit dem EU-Programm Aid Volunteers in den Südosten der Türkei aufbrechen, um dort für die Hilfsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not) zu arbeiten. Zwischen Reisevorbereitungen und dem Verabschieden von Freunden und Verwandten, nimmt sie sich trotzdem zwei Stunden Zeit. Dass Geschlechtergerechtigkeit öffentlich diskutiert wird, ist ihr wichtig.
Wozu sind Mädchen auf der Welt?
„In den Mainstream-Medien wird Feminismus oft marginalisiert oder lächerlich gemacht. Den meisten Artikeln und Kommentaren merkt man zudem die fehlende Kenntnis grundlegender Begriffe und verfügbarer Statistiken an, zum Beispiel wenn es um den Einfluss von Kinderliteratur auf die Sozialisation geht.“ Sie erzählt von der Debatte um ein Gedicht in einem im Jahr 2015 erschienen Schulbuch. Darin heißt es „Wozu sind Mädchen auf der Welt? Damit aus ihnen Mütter werden.“ Das Ganze schlug Wellen, Kritik kam auch – aber nicht nur – aus feministischen Kreisen. Der Kommentator einer großen Tageszeitung entgegnete der Kritik: „Der Großteil der Bevölkerung ist froh darüber, dass man sich hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr im Mittelalter befinde.“ Das reiche den meisten aber. „Die Gesellschaft will kein Gender.“ (Hospodářské noviny | IHNED.cz)
„Ungleiche Bezahlung oder sexuelle Gewalt sind Themen, die vom Mainstream gerade noch akzeptiert werden”, sagt Vanda. „Gendersensible Sprache oder die Belange von LGBTQ-Menschen kommen in Tschechien aber normalerweise kaum vor.“ Das Internet biete Kanäle für diejenigen, die sonst nicht gehört werden.
Als Beispiel nennt sie den Slowaken Damian, der über sein Leben als Transmann bloggt. „Ein Thema, das sonst auf unterstem Niveau verhandelt wird.“ Damian ist Teil der Initiative Trans*Parent, die sich für Belange und Rechte von Trans*Menschen einsetzen. Erst im Januar hatten die Aktivisten auf der Plattform Medium einen offenen Brief an die amerikanische Chefredaktion von National Geographic gerichtet. Das Magazin hatte zuvor eine Sonderausgabe zum Thema „Gender Revolution” veröffentlicht; die tschechische Ausgabe beinhaltete neben Übersetzungen der amerikanischen Originalinhalte aber auch ein Interview mit dem konservativen Psychiater und Sexologen Jaroslav Zvěřina, der vor dem Niedergang einer Gesellschaft warnt, die „traditionelle Familienwerte unterdrückt“ und „Diversität unter Minderheiten“ priorisiere. Trans*Parent haben mit ihrem offenen Brief ihren Protest gegen diese Sichtweise an eine weltweite Öffentlichkeit übergeben.
„Feminismus ist kein Beliebtheitswettbewerb“
Aber warum sollten die Befürworter von Geschlechtergleichheit die Möglichkeiten des Internets besser nutzen als ihre Gegner? Wer sich durch die Kommentare auf Facebook-Seiten wie die der feministischen Organisation Čtvrtá vlna scrollt, bekommt eine Ahnung davon, wie viel Gegenwind AktivistInnen online abbekommen. Auch Vanda hatte schon viele Nachrichten mit Drohungen und Beleidigungen in ihrem Postfach. Trotzdem ist sie froh über die neuen Diskussionsplattformen in den sozialen Medien. „Feminismus ist kein Beliebtheitswettbewerb. Die Suffragetten, die damals in England für das Wahlrecht der Frauen kämpften, waren unbeliebt. Auch Martin Luther King und Rosa Parks hatten keine Unterstützung durch die breite Öffentlichkeit.“ Feminismus ist für Vanda eine soziale Bewegung, die sich online neue Kampfarenen erschlossen hat. „Als Wissenschaftlerin interessiert mich, wie die beschleunigte und effektivere Kommunikation im Internet solche Bewegungen in ihrer Arbeitsweise beeinflussen.“ Welche Seite ihre Agenda letztendlich erfolgreicher durchsetze, könne und wolle sie nicht bewerten.
Ein mächtiges Beispiel dafür, wie sich feministische Bewegungen über soziale Medien organisieren können, war der Women’s March Ende Januar. Es begann mit einer einzigen Einladung, die eine Aktivistin namens Teresa Shook an 40 ihrer Freunde auf Facebook verschickte. Schließlich gingen weltweit mehrere Millionen Menschen am 21. Januar gegen Donald Trump, Sexismus und Misogynie auf die Straße. „Dieser Tag hat mir den Glauben an die Menschheit zurückgegeben“, sagt Vanda. Dass politische Konsequenzen bisher ausgeblieben sind und sich die US-Regierung nur mäßig beeindruckt zeigte, findet die Soziologin nicht entmutigend. „Es war eine beeindruckende Graswurzelbewegung, die bei vielen etwas in Gang setzte. Ein Bewusstsein darüber, dass das Persönliche politisch ist.“
Transnationale Filterblasen
Onlineplattformen und soziale Medien machen es AktivistInnen einfach, sich auch über Ländergrenzen hinweg zu vernetzen, Debatten international zu führen. Kann das dazu führen, dass der Feminismus in einer Art transnationaler Filterblase abwandert, die sich immer mehr von den einzelnen Gesellschaften entfernt? Vanda räumt ein, dass man auf diese Weise gegen die politische Wirksamkeit der digitalen Aktionsformen argumentieren könne. „Man darf den sozialen und historischen Kontext nicht vergessen.“ In westeuropäischen Ländern gäbe es eine Tradition der Frauenbewegungen, während im Kommunismus immer behauptet wurde, dass Männer und Frauen gleich seien. Das habe allerdings vor allem bedeutet, dass auch Frauen arbeiten sollten – zusätzlich zur Hausarbeit und Versorgung der Kinder. Noch heute sind tschechische Frauen in Politik und Wirtschaft massiv unterrepräsentiert, Geschlechterklischees werden unkritisch in den Medien reproduziert. Trans*Parent, Čtvrtá vlna und auch Vanda gehören zu einer wachsenden Szene von AktivistInnen, die das ändern wollen.
Glaubt Vanda denn nun daran, dass es mit dem Patriarchat in absehbarer Zeit vorbei sein könnte? „Geschlechtergleichheit ist weniger ein Ziel als ein Prozess. Wir müssen uns der diskriminierenden Beschränkungen bewusst sein, denen wir aufgrund unseres Geschlechts, unserer Ethnie, Religion oder Herkunft ausgesetzt sind – und uns immer weiter für eine Gesellschaft einsetzen, in der diese Schranken nicht mehr existieren.“ Wie genau sie das macht? „Ich versuche vor allem, stets kritisch und neugierig gegenüber meiner Umgebung, der Gesellschaft und meiner Arbeit zu sein und mich gleichzeitig für positive Veränderungen einzusetzen. Aber am wichtigsten ist: Ich versuche kritisch gegenüber mir selbst zu bleiben.“