„Eine Urangst in allen Kulturen“
Die Kölner Silvesternacht hat die Debatte über Sexismus verändert – auch, weil Rassisten und Rechtspopulisten sich plötzlich als Frauenrechtler geben. Die Feministin und Kulturwissenschaftlerin Stefanie Lohaus kritisiert die Berichterstattung über Köln massiv: Selbst viele seriöse Medien hätten sich nicht an den Pressekodex gehalten. Im Interview erklärt sie, warum es aus ihrer Sicht keinen Sinn hat zu unterscheiden zwischen der „Rape Culture“ in anderen Gesellschaften und den Strukturen, die in Deutschland Sexismus ermöglichen.
Hat es Sie überrascht, wie viel Raum den Ereignissen der Kölner Silvesternacht in den Medien eingeräumt wurde?
Nein, das hat mich überhaupt nicht überrascht. Die Debatte um Geflüchtete und den islamischen Terror ist ja wahnsinnig aufgeladen. Da hat die Kölner Silvesternacht natürlich viel Raum eingenommen.
Die Berichterstattung knüpfte ja nicht nur an die „Flüchtlingskrise“, sondern auch an die Debatte über Sexismus an…
Ja, das ist ja sozusagen eine Urangst in allen Kulturen oder Berichterstattungen: die Frau als schutzlose Person, die besonders verletzlich ist. Das ist ein Narrativ aus unserer eigenen kolonialen Vergangenheit, in dem die weiße Frau vom schwarzen – oder in diesem Fall arabischen, eben dem fremden – Mann vergewaltigt oder überfallen wird. Es handelt sich um eine rassistische Erzählung aus unserer eigenen Kulturgeschichte, die in der Berichterstattung über Köln wieder hervorgeholt worden ist und die es ermöglicht, dass die sexuellen Übergriffe in dieser Nacht asyl- und außenpolitisch benutzt werden. Das kritisieren wir in unserer Kampagne #ausnahmslos.
Um kurz bei Köln zu bleiben: In manchen Medien wurde Feministinnen vorgeworfen, die sexuellen Übergriffe an Silvester zu verharmlosen. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Dieser Vorwurf stammte von Birgit Kelle, die einen entsprechenden Artikel am 3. Januar veröffentlicht hat. Damit ist eigentlich alles gesagt. Ich habe durch diesen Beitrag überhaupt erst von den Vorfällen erfahren. Die Unterstellung an uns Feministinnen, wir seien zurückhaltend gewesen, ist also absurd. Es ist eben so, dass wir nicht das sagen, was manche Kolleginnen und Kollegen gern hören würden: „Wir müssen die Grenzen schließen!“ oder „Der Islamische Staat ist schuld“.
Wie hätte aus Ihrer Sicht über die sexuellen Übergriffe an Silvester berichtet werden sollen?
Es wäre schön gewesen, wenn sich zumindest die seriösen Medien an den Pressekodex gehalten hätten – und der besagt, dass die Herkunft von Tätern nur dann genannt werden sollte, wenn sie für die Tat eine Rolle spielt. Das ist in diesem Fall schlicht nicht gegeben. Abgesehen davon handelte es sich bei einem Großteil der Berichterstattung – auch in Bezug auf die Herkunft der Täter – um Spekulation. Dass jemand Arabisch spricht, sagt erst mal nichts über das Herkunftsland eines Menschen aus. Manche Berichterstattung ging sogar in die verschwörungstheoretische Richtung. Alice Schwarzer spekulierte über islamistischen Terror, viele Medien sprachen von organisierter Kriminalität. Eine solche Berichterstattung schürt noch mehr Ängste, und wie sich zeigt, treffen viele Spekulationen auch gar nicht zu. So weist der aktuelle Ermittlungsstand nun doch nicht mehr in Richtung organisierter Banden, nach dem am Anfang immer wieder davon berichtet wurde. Ich hätte mir von den Kollegen mehr Vorsicht und Zurückhaltung gewünscht.
Wie geht man als Feministin damit um, dass Kernthemen des Feminismus jetzt von Rechtspopulisten und Rassisten aufgegriffen und instrumentalisiert werden?
Indem man sich dagegen ausspricht und versucht, die Debatte konstruktiver zu führen. Was wir ja tun.
Sie haben gemeinsam mit Anne Wizorek einen Artikel verfasst, in dem Sie argumentieren, die „Rape Culture“ sei auch deutsch. Was verstehen Sie eigentlich unter „Rape Culture“?
Ich finde den Begriff eigentlich nicht so optimal. Er wirkt so übertrieben, so als könnten sich Frauen aus Angst vor sexuellen Übergriffen nicht auf die Straße trauen. Dass Anne und ich ihn dennoch aufgegriffen haben, liegt an einem Artikel in der Huffington Post, in dem der Begriff im Zusammenhang mit Indien und Tunesien benutzt wird. Anne und ich wollten daraufhin zeigen, dass es überall, auch in Deutschland, Strukturen gibt, in denen sexualisierte Gewalt toleriert wird. Eine theoretische Ächtung von Vergewaltigung besteht ja fast überall in der Welt. Sie wird aber nicht so bekämpft, wie sie bekämpft werden könnte – auch in Deutschland nicht. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften. Grundsätzlich haben, oder arbeiten wir in Deutschland an einer demokratischen Kultur, in der versucht wird, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herzustellen. Das ist in Diktaturen grundsätzlich anders, unabhängig davon, ob sie atheistisch oder religiös begründet werden. Nichtsdestotrotz gibt es auch und bis heute in Deutschland sexualisierte Gewalt und Strukturen, die diese ermöglichen. Obwohl ich den Begriff „Rape Culture“ eigentlich nicht benutze, haben wir uns entschieden, ihn in dem Kommentar dennoch zu verwenden, um zu verhindern, dass den Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, unterstellt wird, sie kämen – in Abgrenzung zu Deutschland – aus einer „Rape Culture“.
In diesem Kontext steht auch die Initiative #ausnahmslos. Wo liegt der Unterschied zu der Kampagne #aufschrei, die 2013 auf Twitter gestartet wurde?
An der Initiative zu #aufschrei war ich selbst ja nicht beteiligt. Das war damals eine spontane Aktion einiger Feministinnen, die angefangen haben, Erfahrungen mit Sexismus – im Alltag und im Arbeitskontext – und mit sexualisierter Gewalt zu sammeln. #ausnahmslos ging vor allem von den #aufschrei-Initiatorinnen und den Initiatorinnen von #SchauHin, einer Aktion zur Sichtbarmachung von Alltagsrassismus, aus. Anders als #aufschrei ist #ausnahmslos eher eine Bekenntnis-Kampagne. Wir sammeln ja keine Erfahrungen. Wichtig ist der programmatische Text, mit dem wir uns gegen eine Instrumentalisierung von Frauenrechten zu rassistischen Zwecken wehren. Dafür war Köln zwar der Anlass, aber das Phänomen des Femonationalismus gibt es ja schon viel länger.
Glauben Sie, dass die Debatte über Köln den Diskurs über Frauenrechte verändern wird?
Positiv zu vermerken ist die hohe Anzeigebereitschaft, die die Berichterstattung bei den Opfern der Übergriffe ausgelöst hat. Das entspricht auch Erfahrungen von Frauenberatungsstellen, die darauf hindeuten, dass die Anzeigebereitschaft bei sexueller Gewalt in hohem Maße von der Glaubwürdigkeit abhängt, die Frauen bei einer Anzeige erwarten können. Leider ist es im Fall von Köln so, dass die Glaubwürdigkeit der Frauen in Bezug zum Rassismus gegenüber den Tätern steht. Nachhaltig wird dieser positive Effekt deshalb nur, wenn wir es schaffen, sexuelle Gewalt wirklich ausnahmslos zu identifizieren und zu benennen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist ein neuer Gesetzesentwurf zur Strafbarkeit von sexueller Gewalt, der gerade von Heiko Maas vorgelegt wurde. Dieser stellt zwar eine Verbesserung der bisherigen Gesetzgebung darstellt, bleibt aber immer noch problematisch.
Warum?
Nach deutschem Recht handelt es sich nur dann um eine sexuelle Straftat, wenn das Opfer sich physisch wehrt. Das heißt, ein „Nein“ der Frau reicht nicht aus, um einen Vergewaltiger wegen sexueller Gewalt zu verurteilen. Anders als andere Länder war Deutschland nicht in der Lage, die sogenannte Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen zu ratifizieren.
Das Übereinkommen wurde bis Januar 2016 von 40 Staaten unterzeichnet und von 19 – Albanien, Andorra, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Frankreich, Finnland, Italien, Niederlande, Malta, Montenegro, Österreich, Portugal, Serbien, Spanien, Schweden, Slowenien, Polen und Türkei – ratifiziert. In Deutschland und der Schweiz wurde es bisher nicht ratifiziert.
Quelle: wikipedia