Das gefährliche Pink der Justyna Koeke
Warum schickt die deutsch-polnische Künstlerin Justyna Koeke alte Damen als Märchenprinzessinnen auf den Laufsteg? Und wieso lockt sie über Tinder liebeshungrige Männer an, um bei ihren Foto-Sessions mitzuwirken?
Als die Eltern umziehen mussten, stieß Justyna Koeke beim Packen auf einen Stapel Kinderzeichnungen. Sie war erschüttert. Denn sie und ihre fünf Schwestern hatten fast ausschließlich Prinzessinnen und Heilige gemalt. „Das sind die Wurzeln, so werden Mädchen erzogen“, sagt Koeke bitter, „wenn eine Frau nicht schön ist, muss sie zumindest gut sein.“
Justyna Koeke, 1976 in Krakau geboren, hat sich längst von diesen Wurzeln entfernt und verbringt ihre Tage weder in der Kirche noch mit reinem Schönsein. Wenn sie etwas ist, dann absolut uneitel. Die große, dunkelhaarige Frau schert sich wenig um Äußeres, sondern nimmt ihr Gegenüber lieber mit ihrer unkomplizierten Art ein. Freundlich, zugewandt und immer unter Strom. Schließlich gibt es ständig etwas zu tun. Sie wirbelt durch ihr riesiges Atelier, fischt hier ein Stück Stoff aus dem Regal und stolpert dort über Kissen mit aufgeklebten Wimpern.
Koeke lebt heute in der Nähe von Stuttgart und macht künstlerische Projekte, die aufräumen mit überkommenen weiblichen Rollenbildern, mit Klischeevorstellungen und Schönheitskult. So schneiderte sie an ihrer kleinen Nähmaschine die Kleider der Prinzessinnenbilder ihrer Kindheit nach – und schickte alte Damen mit diesen wundersamen Verkleidungen auf den Laufsteg. Sogar zur Alternativen Fashion Week Berlin wurde die Performance eingeladen – ein besonderes Erlebnis nicht nur für die coole Modeblogger-Szene, sondern auch für die Models, die zum Teil weit über achtzig Jahre alt waren. „Sie werden im Alltag nicht mehr als Frau wahrgenommen“, sagt Koeke, „man wird im Alter unsichtbar für andere.“
Justyna Koekes Thema ist das Präsentieren, das Darstellen und Verkleiden, um gesellschaftliche Erwartungshaltungen an Frauen kritisch zu hinterfragen. Sie habe künstlerisch einen „mega-feministischen Anspruch“, sagt sie über sich selbst. Aber sie hat auch festgestellt, dass es in Bezug auf den Feminismus „keinen Konsens gibt“ und ihre Projekte gerade auch von Feministinnen kritisiert werden: Etwa als sie einen Nacktkalender initiierte, bei dem sich Frauen unbekleidet auf Baustellen fotografieren ließen. Wieder mal ziehen sich Frauen vor der Kamera aus, schimpften einige Feministinnen. Koeke aber wollte zeigen, dass auch eine Frau „einfach nur Körper“ ist, nicht – wie sooft in der Werbeindustrie vermittelt – sexy und aufreizend.
Aber meist hüllt Justyna Koeke Frauen in Stoff. Sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst und Mode. Als „tragbare Skupturen“ bezeichnet sie selbst ihre Kollektionen und schickt Models wie bei Fashionshows auf den Laufsteg. Aber es sind dezidiert künstlerische Aktionen – und jeder Modedesigner würde sich allein beim Anblick ihres Ateliers in einer alten Kaserne in Ludwigsburg die Haare raufen. Die riesigen Regale sind vollgestopft, der Boden ist übersät mit Stofffetzen und eigentümlichen Stoffobjekten, ausgestopften Würsten, rosaroten Herzen oder Schaumstoff-Törtchen.
Gegen die rosarote Welt der Mädchen
Mit großen Schritten steigt die Künstlerin über diese Berge aus Gold, Glitter, Folien, Kordeln, Kisten. Als sie aus Versehen einen Kaffeepott umwirft, wischt sie die Brühe kurzerhand mit einem rosafarbenen Stoffrest auf – und tritt sozusagen mit Füßen, was doch angeblich das Glück eines jeden kleinen Mädchens ist: Pink mit viel Flitter und Glimmer.
Koeke war von Kindesbeinen an bewusst, dass sie als Mädchen weniger Freiheiten hat. Sie sei in einer „sehr patriarchalen Familie“ aufgewachsen, erzählt sie. Der Vater sei ein Despot gewesen – und sie empörte sich schon früh darüber, wie ungleich Frauen und Männer in der konservativen polnischen Gesellschaft behandelt werden. Als sie an den Kunstakademien von Krakau und Warschau klassische Bildhauerei studierte, sei sie „wie in der Antike“ unterrichtet worden „von alten Männern, die ihren Stil vererben“. Im Jahr 2000 zog die Liebe sie nach Deutschland. Beim Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart konnte sie sich endlich entfalten und die Frauenfrage nun auch konkret künstlerisch verhandeln – „es war sehr frei, wunderschön.“ Heute unterrichtet sie selbst an der Stuttgarter Akademie als technische Lehrerin der Medienwerkstatt.
Dass sie irgendwann Stoff als künstlerisches Material entdeckte, hatte pragmatische Gründe. Als ihr Sohn auf die Welt kam, musste sie die Kunstproduktion notgedrungen in die heimische Wohnung verlegen – und griff zum Stoff, weil er sich schnell verarbeiten und leicht transportieren ließ. Missgeburten (2006) heißt ein Fotoprojekt über Mutterschaft, bei der eigenwillige Stoffobjekte aus der Künstlerin herauszukriechen oder an ihr zu saugen scheinen. Ausdruck dafür, dass ein Kind die Energie aus der Mutter zieht und für das eigene Zellwachstum nutzt. Justyna Koeke sagt es ganz offen, dass sie als junge Mutter überfordert war. Doch so etwas zuzugeben sei gesellschaftlich „ein Tabu“. Sie selbst würde sich die Großfamilie zurückwünschen, „die Familienstruktur mit Vater, Mutter, Kind ist nicht ideal.“
Spendenaktion für Prostituierte, die aussteigen wollen
Derzeit beschäftigt sie sich mit dem Thema Prostitution. „Man würde meinen, dass wir eine fortschrittliche Gesellschaft sind, aber ich war entsetzt, was hier möglich ist.“ So versteht Justyna Koeke nicht, dass sogar Feministinnen die Prostitution in Deutschland unterstützen. „Es ist immer noch für alle normal, wenn Männer gegen Geld über einen Frauenkörper verfügen können.“ Koeke will deutlich machen, „dass das nicht okay ist“ und hat deshalb mit künstlerischen Projekten Geld gesammelt für eine Wohnung, in der Prostituierte unterkommen können, die aussteigen wollen. Auch künftig will sie sich in ihrer Arbeit noch mit dem Thema Prostitution auseinandersetzen.
So interveniert Justyna Koeke immer wieder mitten im Alltag. „Mir ist es wichtig, dass Kunst nicht exklusiv für Leute im Kunstsystem ist, sondern breiter wahrgenommen wird.“ Deshalb versteigert sie auch ihre alten Kostüme auf Auktionen oder nutzt das Material für Neues. „Ich hänge nicht an den Werken“, sagt sie. Und auch wenn ihre Performances im Kunstkontext stattfinden und ihre Fotografien in Galerien ausgestellt werden, ist ihr die Nähe zum Alltag wichtig.
Einmal hat sie sich für ein Projekt mit fremden Männern getroffen, die sie über die Dating-App Tinder kennengelernt hatte. Im Wald kam es allerdings nicht zum versprochenen Sex, sondern die Männer wurden gebeten, Koeke und ihre finnische Künstlerkollegin Mimosa Pale in der Natur zu fotografieren. Die Kandidaten machten mit. „Sie waren sehr unsicher, aber sie haben sich eingelassen.“ Es sei eine sehr schöne Erfahrung gewesen, „so menschlich“.
Sie ist freischaffende Kulturjournalistin und Autorin in Stuttgart und arbeitet unter anderem für die „Stuttgarter Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“ und das Kunstmagazin „Art“.
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November 2017