Wir bitten nicht, wir betteln nicht, wir fordern nur unser Recht ein
Was haben das Wahlrecht für Frauen und das Ausländerwahlrecht gemeinsam? In der Tschechischen Republik leben etwa 220.000 Ausländer, die keine EU-Bürger sind und bei Kommunalwahlen nicht wählen dürfen. Sollen sie das Wahlrecht bekommen? Auf jeden Fall, meint Jiří Dienstbier, der gegenwärtige Minister für Menschenrechte. Für manche ist dies eine schockierende Vorstellung, für andere nichts als ein frommer Wunsch. Die Situation lässt sich durchaus vergleichen mit jenen Zeiten, in denen Frauen die Gleichberechtigung mit Männern forderten.
Im Jahr 1999 wurde das Multikulturelle Zentrum in Prag gegründet. Sein Ziel ist es, die Öffentlichkeit über das Zusammenleben verschiedener Ethnien in der Tschechischen Republik zu informieren. Dies geschieht vor allem durch Diskussionsveranstaltungen oder Spaziergänge. Im Oktober etwa fand im Rahmen des Zyklus „Geteiltes und zerteiltes Prag“ der Spaziergang „Wir bitten nicht, wir betteln nicht, wir fordern nur unser Recht ein“ statt.
Wo trafen sich vor hundert Jahren die fast 3000 Frauen, um für ihr Wahlrecht zu kämpfen? Wo befand sich das erste Mädchengymnasium Minerva? Die Politologin Jitka Gelnarová, deren Dissertation den Titel Recht und Gut. Argumentation und Diskurs tschechischer Aktivistinnen für das Wahlrecht von Frauen trägt, führte die Teilnehmer des Spaziergangs an jene Orte, an denen die Frauen ihren Kampf um das Wahlrecht austrugen – vom Wenzelsplatz zur Sophieninsel (Žofin). Die Teilnehmer erhielten dabei einen neuen Blickwinkel auf Straßen und Plätze der Stadt, durch die sie tagein tagaus gehen und die mit dem vor hundert Jahren noch sehr umstrittenen Thema der Gleichberechtigung von Frau und Mann verbunden sind.
Forderungen nach dem Wahlrecht für Frauen erschienen in tschechischen emanzipatorischen Zeitschriften schon seit dem Anfang der 1890er Jahre. Eine organisierte Frauenbewegung entstand laut Gelnarová allerdings erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine der ersten Aktionen war ein öffentliches Treffen am 14. Juni 1904 im tschechischen Frauenklub, der sich damals in der Jungmannova-Straße 7 befand. Im November des darauffolgenden Jahres nahmen die Kundgebungen für ein allgemeines Wahlrecht zu, doch blieb dabei die Frage offen, in welchem Ausmaß diese Bezeichnung auch das Wahlrecht für Frauen betraf. Die Vertreterinnen des „anderen Geschlechts“ organisierten eine eigene Kundgebung, die am 10. Dezember im Narodní dům in den Königlichen Weinbergen (Královské Vinohrady) stattfand. Gelnarová führte die Teilnehmer des Spaziergangs aber an einen anderen, durch Proteste bekannten Ort, nämlich auf die Sophieninsel (Žofin). Dort trafen sich die tschechischen Frauenrechtlerinnen am 18. März 1906 und verkündeten ihre Ablehnung der Gesetzesentwürfe zum neuen Wahlrecht auf Reichsebene, welche die Forderungen der Frauen nicht berücksichtigt hatten.
Am Ende des Spaziergangs, den das Multikulturelle Zentrum Prag ausrichtete, bekamen die Teilnehmer die Möglichkeit, sich in die Situation der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzufühlen und gemeinsam mit den Organisatorinnen die berühmte Versammlung zu inszenieren. Sie hörten dort unter anderem die Rede der damaligen Aktivistin Františka Zeminová, die bemängelt hatte, dass in dem Gesetzesentwurf Frauen nicht einmal erwähnt wurden – nicht einmal an jener Stelle, wo von Personen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, die Rede war. Außerdem hörten die Teilnehmer die historische Rede von Marie Tůmová, in welcher sie die intellektuellen Fähigkeiten der Frauen verteidigte. Die Aktivistinnen verwendeten auch die Mutterschaft in ihrer Argumentation: als Mütter leisten Frauen der Nation große Verdienste, deshalb müssten sie also auch das Recht haben, gemeinsam mit den Männern zu entscheiden.
Der Kampf um das Frauenwahlrecht scheint heute veraltet und sehr weit zurückzuliegen. Vermutlich zweifelt niemand daran, dass sich das „andere Geschlecht“ genauso gut aktiv in das politische Geschehen einzubringen vermag. Die Frage des Ausländerwahlrechts ist weniger eindeutig und hat sich in der Tschechischen Republik auch erst vor kurzem aufgetan. Gerade über dieses sehr aktuelle Thema diskutierten die Teilnehmer der Veranstaltung am Ende des Spaziergangs. Sie berichteten von eigenen Erfahrungen mit dem Wahlrecht, erzählten aber auch von ihren Aktivitäten, mit denen sie die Situation von Ausländern in der Tschechischen Republik ändern wollen. Emil Rothemel von der Organisation für Flüchtlingshilfe erzählte von einem Projekt zur Partizipation von Ausländern im öffentlichen Leben. Ziel der Initiative ist es, die Einbindung von Ausländern in das öffentliche Leben zu verbessern.
Während der Diskussion zeigte sich, dass sich die zwei politischen Debatten, die hundert Jahre trennen, in vielen Aspekten sehr ähnlich sind. Es gibt offensichtlich mehrere Parallelen zwischen den politischen Rechten von Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und denen von Ausländern heutzutage. Jitka Gelnarová nennt drei grundlegende Details: Zunächst ist das Wahlrecht für Ausländer für die politischen Parteien ein Randthema, ähnlich wie es das Frauenwahlrecht war - auch wenn es damals für die politischen Parteien doch wichtiger war, da es die Hälfte der Bevölkerung betraf. Zweitens gibt es seitens der Ausländer selbst nicht sehr viel aktives Interesse am Wahlrecht. Das kann vielen Gegnern als Argument gegen die Zuteilung des Wahlrechts dienen - ebenso argumentieren auch die Gegner des Frauenwahlrechts: die Mehrheit der Frauen möchte kein Wahlrecht, und deshalb ist es auch nicht nötig, es ihnen zuzugestehen. Die dritte Parallele ist das Argument, dass die Erteilung des Wahlrechtes, Ausländern bei der Integration in die Gesellschaft hilft - genauso haben damals die Frauen hervorgehoben, dass das Wahlrecht nicht nur für sie selbst wichtig ist, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Die verstand man damals vor allem als tschechische Nation.
Übersetzung: Julia Miesenböck