Hűlt helyek
Im Sommer 2015 gingen die Bilder über die mit Flüchtlingen überfüllte Halle vor dem Budapester Ostbahnhof, den Fußmarsch der Flüchtlinge auf der Autobahn Budapest-Wien und den Bau des ersten Stacheldraht-Grenzzauns seit 1989, aber auch die über die tatkräftige Hilfsbereitschaft der ungarischen Bevölkerung um die Welt. Die Wellen der Emotionen schlugen auch in den ungarischen Medien hoch, es entfachten sich heftige Diskussionen pro und kontra, die bis heute nicht abgeklungen sind.
Wie reflektieren Intellektuelle in Ungarn auf die spannungsreichen, oft dramatischen Ereignisse der letzten Monate? Wie denken sie über ihre Heimat inmitten der zwischen Öffnung und Schließung unentschiedenen europäischen Gemeinschaft? Eingesperrt im Goldenen Käfig der ungarischen Sprache, konnte von diesen Diskussionen nur wenig in die Außenwelt dringen. Das wollten die Herausgeber des Dossiers, Márta Nagy und Lajos Adamik, mit der von ihnen getroffenen Auswahl von Prosastücken, Gedichten und Essays zeigen.
Die Texte berichten immer wieder von Versäumnissen und Lücken, von plötzlichen Absenzen – von „hűlt helyek“, wie solche mit einem schwer zu übersetzenden Ausdruck im Ungarischen bezeichnet werden. Nicht zufällig trägt Anna T. Szabós Prosastück „Und jetzt ist sie nicht mehr“ im Original den Titel „Hűlt hely“.
Seien Sie eingeladen, diese fiktive Landkarte der spezifisch ungarischen, wie auch immer auffälligen Absenzen und Präsenzen beliebig zu ergänzen. Schöne Grüße aus der Mitte des Kontinents.