Indiens Fernsehen
Viele Anbieter, wenig Vielfalt
Fernsehen in Indien ist laut und schillernd, doch die bunte Verpackung verbirgt oft einen Mangel an Objektivität und Unabhängigkeit. Der Einfluss von Parteien und Unternehmen auf das Programm ist groß.
Von Martin Jahrfeld
Die erste Begegnung mit Indien bedeutet für Menschen aus dem Westen meist eine Herausforderung. Der Lärm, die Farben und die Vielzahl der Menschen lösen oft das aus, was man gemeinhin einen Kulturschock nennt. Was für die Erlebnisse auf den Straßen und Plätzen des Subkontinents gilt, trifft auch auf das indische Fernsehen zu. Die Inszenierung des Programms ist dort oft ebenso lautstark und schillernd wie der indische Alltag selbst: Auf bis zu sechsfach geteilten Bildschirmen brüllen erzürnte Talkshow-Gäste lautstark gegen einander an, Nachrichtensendungen werden von permanenten Breaking News-Einblendungen begleitet und stetig neue Bollywood-Soaps inszenieren die unerschöpflichen Komplexitäten des indischen Gefühls- und Familienlebens.
Temporeichtum und Lautstärke lassen vergessen, dass das Fernsehen in Indien erst relativ spät zum Massenmedium gereift ist und im indischen Alltag lange Zeit eher eine Neben-, oder wie in vielen Dörfern aufgrund mangelnder Elektrifizierung auch gar keine Rolle spielte. Noch 1976 erreichte das seinerzeit staatlich dominierte Programm über acht Sendestationen kaum mehr als 45 Millionen Menschen – und auch das nur in Schwarzweiß. Der Umstieg zum Farbfernsehen erfolgte erst 1982, als Indien in Delhi die Asienspiele ausrichtete und Inder und Inderinnen ihre Sportidole erstmals in Color sehen konnten.
Die Vielzahl der Anbieter ist weniger ein Beleg für medialen Pluralismus als Ausdruck des wachsenden Einflusses von Parteien und Unternehmen."
Die dynamische Expansion des Marktes als Ausdruck einer wachsenden Meinungs- und Informationsvielfalt im Land zu betrachten, wird der Situation jedoch nicht gerecht. Die Vielzahl der Anbieter ist weniger ein Beleg für medialen Pluralismus als Ausdruck des wachsenden Einflusses von Parteien und Unternehmen. „Indien ist einer der größten Medienmärkte der Welt. Doch die Konzentration von Medienbesitz zeigt, dass eine Handvoll Personen Medien im Land besitzt und kontrolliert“, resümiert Syed Nazakat, Gründer und Vorsitzender von DataLEADS.
Dies lässt sich nicht nur mit Blick auf die großen, landesweit sendenden Stationen beobachten, sondern zeigt sich auch bei Programmanbietern in der Provinz, die ebenfalls oft von Regionalparteien und ihren jeweiligen Geldgebern dominiert werden. Regionalparteien spielen in der indischen Politik seit jeher eine mächtige Rolle, ihr Bedürfnis nach einem eigenen Sprachrohr in Gestalt eines eigenen Senders ist entsprechend groß.
Die Hoffnung, dass Indiens Fernsehsender ein mediales Korrektiv und Gegengewicht zu politischen Fehlentwicklungen im Land bilden können, erscheint unter diesen Bedingungen wenig wahrscheinlich. Viele TV-Stationen sind Teil größerer Unternehmenskonglomerate, die nicht nur in Medien investieren, sondern auch in Schlüsselbranchen wie Bau- oder Finanzwirtschaft präsent sind. Interessenkonflikte und Einflussnahmen auf die journalistische Arbeit sind dadurch oft vorprogrammiert. Begünstigt wird diese Struktur durch die weitgehende Abwesenheit von Regulation und Kartellgesetzen. Es mangelt an übergreifenden Vorgaben, die Pluralismus und Unabhängigkeit effektiv schützen könnten.
Impulse für den Journalismus und die Medien- und Meinungsvielfalt im Land erhoffen sich Branchenbeobachter weniger vom Fernsehen als von neuen Online-Projekten wie „The Wire“ oder „The Quint“, die sich durch mutige Recherchen auszeichnen: „Solche genossenschaftlich organisierte Unternehmensformen bringen frischen Wind in den indischen Medienmarkt. Weil Journalismus im Netz nur geringe Investitionen erfordert, können auf diese Weise neue, attraktive Formen von Bürgerjournalismus entstehen“, glaubt Ahsanul Haq Chisti, Medienwissenschaftler an der Savitribhai Phule Pune University in Pune.
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