Familienrecht
Queere Familien
Ehe für alle und drittes Geschlecht sind in Deutschland gesetzlich anerkannt. Doch was bedeutet das für betroffene Familien? Ein Interview mit Nina Dethloff, Professorin für Familienrecht.
Frau Dethloff, wie viele Elternteile kann ein Kind haben?
Dass Kinder mehr als zwei Elternteile haben können, ist bereits aus Stieffamilien bekannt. Auch die Reproduktionsmedizin hat dies zur Folge: Bei Samen- oder – in Deutschland bislang verbotener – Eizellspende haben Kinder stets auch noch den Spender beziehungsweise die Spenderin als genetischen Elternteil. Entschließt sich ein Paar, seinen Kinderwunsch im Ausland mithilfe einer Leihmutter zu verwirklichen, so hat das Kind ebenfalls mindestens drei Elternteile, nämlich die Leihmutter als Geburtsmutter und seine Wunscheltern, bei denen es aufwächst. Sind die Wunscheltern nicht zugleich die genetischen Eltern, sondern wird eine Eizell- oder Samenspende – oder sogar beides – verwendet, so kann ein Kind von Geburt an bis zu fünf Elternteile haben. In Deutschland ist allerdings, wie in den meisten anderen Ländern, die Zahl der rechtlichen Elternteile grundsätzlich auf zwei begrenzt. In einigen Ländern, wie Kanada oder Kalifornien, wird aber inzwischen schon eine rechtliche Mehrelternschaft anerkannt.
Seit Januar 2019 ist in Deutschland neben „weiblich“ und „männlich“ das dritte Geschlecht „divers“ gesetzlich anerkannt. Welche Konsequenzen hat das für die Bezeichnung von Eltern? Vater, Mutter, X?
Bisher noch keine! Hier besteht dringend Handlungsbedarf. Schon in der Alltagssprache fehlt es an einer gängigen Bezeichnung. Das etwas antiquiert anmutende „Elter“ könnte hier eine Renaissance erleben. Ansonsten bleibt im Deutschen nur der „Elternteil“, was freilich Alleinerziehende als defizitär erscheinen lassen mag. In jedem Fall ist eine geschlechtsneutrale Bezeichnung auch im deutschen Abstammungsrecht erforderlich, das nach wie vor von der Zweigeschlechtlichkeit ausgeht. So könnte künftig „Elter“ oder „Elternteil“ eines Kindes sein, wer es geboren hat oder wer mit der gebärenden Person verheiratet ist.
Wie sind in Deutschland die Aussichten schwuler und lesbischer Eltern auf Rechtssicherheit beim Kindschaftsverhältnis?
Die Einführung der Ehe für alle ist bislang ohne Folgen im Kindschaftsrecht geblieben: Wird ein Kind in eine verschiedengeschlechtliche Ehe hineingeboren, ist der Ehemann der Mutter unmittelbar mit der Geburt rechtlicher Vater des Kindes – auch dann, wenn er nicht der leibliche Vater des Kindes ist. Bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe kann dagegen die Co-Mutter erst durch ein langwieriges Adoptionsverfahren rechtlicher Elternteil werden. Dies hat große Nachteile für das Kind, denn die Co-Mutter hat bis zur Adoption kein Sorgerecht und es bestehen keinerlei Unterhalts- und Erbansprüche. Eine umfassende Reform des Abstammungsrechts hat dem Gesetzgeber bereits im Jahr 2016 der 71. Deutsche Juristentag empfohlen – ebenso im Jahr 2017 der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzte Arbeitskreis Abstammungsrecht. Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsen, dürfen nicht länger diskriminiert werden.
Es gibt ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Wie wirkt sich die Reproduktionsmedizin auf dieses Recht aus?
Die Kenntnis der eigenen genetischen Herkunft ist für die Identitätsfindung von großer Bedeutung. Sie ist verfassungsrechtlich geschützt. Bei Kindern, die mithilfe reproduktionsmedizinischer Verfahren gezeugt werden, droht dieses Kenntnisrecht leerzulaufen. Eine bedeutende Verbesserung hat hier zwar das vor kurzem geschaffene Samenspenderregister bewirkt. Kinder, die ab dem 1. Juli 2018 gezeugt wurden, können Auskunft über die im Register gespeicherten Daten des Spenders verlangen. Dies gilt aber nur bei einer Spende, die einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde. Eine entsprechende Möglichkeit gibt es dagegen nicht bei einer privat organisierten Samenspende, bei einer Embryonen- oder Eizellspende sowie einer Geburt durch eine Leihmutter. Hier sind die Eltern gefordert, ihr Kind über seine Herkunft und die Umstände seiner Zeugung in altersangemessener Weise aufzuklären.
In welchen Ländern sehen Sie Chancen für die Zulassung der „Ehe für alle“?
Chancen sehe ich überall! Wer hätte vor 50 Jahren, als Homosexualität auch in vielen westlichen Ländern noch strafbar war, gedacht, dass die Ehe für alle einen solchen Siegeszug antreten würde? Und dies selbst in zutiefst katholisch geprägten Ländern wie Irland. In der westlichen Welt dürfte heute bereits die Ehe für alle dominieren. In den Staaten, wo es sie noch nicht gibt, nimmt die gesellschaftliche Akzeptanz zu. Vielerorts werden Gesetzentwürfe debattiert. Infolge von Gerichtsentscheidungen dürfte die Ehe für alle auch bald in weiteren süd- und mittelamerikanischen Ländern, etwa Costa Rica, Chile, Panama oder Peru, Wirklichkeit werden. In Asien ist Taiwan das erste Land, das nun die Heirat für Paare desselben Geschlechts erlaubt. Oftmals stellt die Anerkennung im Ausland geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen einen ersten Schritt dar, so wird es hoffentlich auch in Hongkong sein. Die Ehe für alle ist ein Menschenrecht und der Kampf gegen Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung geht überall weiter.
Nina Dethloff ist Professorin für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht an der Universität Bonn sowie Direktorin des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht an der Universität Bonn und des Käte Hamburger Center for Advanced Study in the Humanities ‚Law as Culture‘, Bonn. Ein Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist das Familienrecht.