Als ich in Bangalore ankam, hatte ich erstmal keine sehr konkreten Pläne. Ich wollte komplett in diesen neuen Kontext eintauchen und offen für das sein, was sich mir eröffnen würde. Ich habe versucht, dem Fluss zu folgen, mit dem zu arbeiten, was da war und etwas Neues daraus zu machen. Das war der Modus, in dem ich mich während der Residency wiederfand.
Foto: Sandeep TK © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
In der ersten Woche haben wir einige sehr inspirierende Orte und Menschen in Bangalore kennengelernt. Es war schön, ein Gefühl für die Stadt zu bekommen, bevor wir alle in unsere individuellen künstlerischen Prozesse eintauchten. Obwohl die Umgebung sehr anders war als das, was ich gewohnt bin, habe ich den „culture clash“ nicht so stark wahrgenommen. Ich habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt - herzlich willkommen geheißen von meinen wundervollen Hosts
Shoonya Centre for Art and Somatic Practices und stets gut unterstützt vom Team des
Goethe-Institut Bangalore.
Ich habe meine Arbeit sehr intuitiv mit einem kurzen Video begonnen - „Plants#1“ - in dem ich mit Pflanzen im Studio performt habe. Das war ein guter Start, um im Kreations-Modus anzukommen, mich zu öffnen und mich mit meiner Kreativität zu verbinden.
In der zweiten Woche habe ich die lokalen Tänzer*innen aus meinem Hauptprojekt
„Bangalore Power Project“ kennengelernt und begonnen zum Thema Machtmechanismen zu arbeiten. Wir haben unsere persönlichen Erfahrungen als Ausgangspunkt genommen und über Improvisationsaufgaben in unterschiedlichen Konstellationen Bewegungsmaterial entwickelt. Nach einiger Zeit habe ich Texte verfasst, die als Basis für Soli und Duette dienten. In der letzten Phase des gemeinsamen Prozesses habe ich versucht, eine Dramaturgie zu bauen und alles so zu komponieren, dass es als Ganzes Sinn macht.
Foto: Sandeep TK © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
Ich habe die Arbeit mit der Gruppe sehr genossen. Manchmal sah ich mich mit der komplexen Tatsache konfrontiert, dass ich - eine junge, weiße, europäische Frau - nach Indien kommt und mit Machtmechanismen arbeiten will. Was war meine Position in diesem Prozess? Welche Rolle spielt mein „privilegierter Status“ und wie spiegelt sich mein Ziel nach einer kollektiven Arbeitsweise und einer nicht hierarchischen Zusammenarbeit in unserem Prozess wider? Mir fiel auf, dass die Arbeit mit dem menschlichen Körper und Bewegung sehr verbindet - egal woher man kommt. Deshalb habe ich mich mehr darauf konzentriert, wie man sich als Gruppe gegenseitig unterstützen kann und was wir gemeinsam haben, anstatt die Verschiedenheiten und Probleme hervorzuheben. Ich denke, dass dieser Ansatz auch eine kraftvolle Strategie sein kann, auf komplexe politische Situationen zu reagieren und ihnen gewaltfrei etwas entgegenzusetzen.
Eine Schwierigkeit war, die Proben zu planen. Die Tänzer*innen hatten andere Jobs außerhalb des Projektes und somit war es schwer, in manchen Themen und Fragen in die Tiefe zu gehen, da sich der Prozess ziemlich fragmentiert angefühlt hat. Die erste Probe, wo wir alle zusammen waren, hatten wir weniger als zwei Wochen vor der ersten Aufführung. Das Licht, der Sound und einige choreographische Elemente wurden erst sehr spät fertiggestellt, was relativ stressig und herausfordernd für mich war. Doch am Ende fügte sich alles gut und ich war davon überrascht und beeindruckt, was wir zusammen in so kurzer Zeit entwickelt haben. Ich sah höchst authentische Performer*innen auf der Bühne, die sich sensibel und kraftvoll miteinander und mit dem Publikum im Moment der Performance zu verbinden wussten. Das berührte mich sehr.
Foto: Sandeep TK © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
Vor dem Gruppenstück
„SHAK | WE“ zeigte ich ein Solo mit dem Titel
„META (IN) fused“, das auf meinem Solo Stück „META“ basierte, das im Juni 2019 in Berlin Premiere hatte. Ich habe erforscht, wie sich das bestehende Bewegungsmaterial durch meine Erfahrungen in Bangalore transformiert - auf persönlicher und künstlerischer Ebene. Es war interessant zu erfahren, dass die Stadt Bangalore mit all dem Verkehr, dem Lärm und den vielschichtigen Eindrücken in mir das Bedürfnis nach Klarheit, nach einem reduzierten und puren Setting auslöste. Keine Objekte, keine festgelegten Phrasen, sondern eine strukturierte Improvisation, in der ich daran arbeitete, im
Moment zu sein, mit dem Publikum in Verbindung zu treten und mich nur durch meinen Körper, Licht und Stimme/Text ausdrückte.
Nach der ersten Aufführung im Shoonya Centre habe ich drei Tage in Hampi, einer Tempelstadt, verbracht. Ich war sehr inspiriert von der eindrucksvollen Landschaft, den Ruinen und historischen Tempelanlagen. Dort sind einige ortsspezifische Tanz Videos entstanden.
Foto: Sandeep TK © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
An meinem letzten Tag in Bangalore - direkt bevor ich zum Flughafen aufbrach - hatten wir unsere zweite Aufführung im Goethe Institut. Es war eine große Bereicherung für das Projekt, das Stück an zwei Orten mit unterschiedlichem Publikum und anderen räumlichen Gegebenheiten aufzuführen. Die zweite Aufführung war noch dichter, intensiver als die erste.
Nach den Aufführungen bin ich einem sehr offenen und interessierten Publikum begegnet. Ich war sehr froh über die Tatsache, dass viele Leute auf uns zu kamen, mehr über den Kreationsprozess und die Thematik wissen und ihre Gedanken dazu teilen wollten. Ich freue mich, wenn wir es schaffen, Imagination durch unsere Kunst zu initiieren, Impulse zu geben und Raum für Konfrontation und Dialog zu schaffen.
Wenn ich nun zurückblicke kann ich sagen, dass diese Residency auf vielen Ebenen sehr besonders für mich war. Ich war noch nie an einem Ort so voller Kontraste: die Slums und die moderne Technologie, die Langsamkeit und die Eile, das Lebendige und die Lethargie. All diese Aspekte koexistieren in dieser Stadt und machen sie so divers und komplex.
Foto: Sandeep TK © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
Ich habe über mich selbst gelernt, dass ich mich schnell an neue und ungewohnte Kontexte, Arbeitsweisen und Lebensstile anpassen kann und es mir Freude macht, sie zu erforschen. Und ich habe gelernt, dem Prozess zu vertrauen, auch wenn ich immer wieder mit dem Fremden, Unbekannten und Unvorhersehbaren konfrontiert war.
Bangalore mit all dem Lärm und Smog und Chaos, mit den Wolken und den Schwierigkeiten, aber vor allem mit den herzlichen und inspirierenden Menschen ist ein Zuhause für mich geworden - zumindest für sieben Wochen.
Ich hoffe, dass dieses Projekt auf irgendeine Weise weitergehen wird - bestenfalls auf weiteren Bühnen inner- und außerhalb Indiens und zumindest in unseren Körpern und Gedanken.
Ich bin zutiefst dankbar für diese bereichernde Erfahrung, die meinen Horizont erweitert hat und definitiv einen wichtigen Meilenstein auf meinem persönlichen und künstlerischen Weg darstellt.