MD Pallavi und ich hatten uns bereits 2013 als Musiker auf der Theaterbühne ihrer Performance "C Sharp C Blunt" getroffen. Ich war begeistert von ihren Vokal-Kapriolen und ihrer gleichzeitigen Neugier, ihr Wissen über indische Ragas mit zeitgenössischer elektronischer Musik zusammenzubringen.
© Gowri Dattu
Im Rahmen dieser
bangaloResidency konnten die Ideen und Visionen endlich ausgearbeitet werden, die seitdem in den letzten drei Jahren in Studio-Sessions und Dropbox-Projekten aufgekommen waren. Im Zentrum stand die Idee, dass wir für Pallavis rechte Hand ein Interface entwickeln wollen, mit dem sie den live aufgenommen Klang ihrer Stimme mit Gesten modulieren kann. Das Konzept liegt sehr nah an dem meines eigenen "Fello" Systems, das ich seit 2007 am STEIM entworfen habe. Der Cellobogen wurde darin mit verschiedenen Sensoren erweitert, so dass ich mit elektronischen Klängen spielen kann, indem ich den Bogen im Raum um das Cello herum bewege.
Der Prototyp für dieses neue Instrument für Pallavi nennen wir
"Second Voice", und es baut auf der
© Gowri Dattu
Technologie des Videospielcontrollers Nintendo Wiimote auf. Die Daten des Accelerometers und der Knöpfe dieses Interfaces (und seiner modifizierten "Nunchuck" Erweiterung) haben wir gemeinsam in musikalische Steuerdaten umprogrammiert. Die grundlegende Idee besteht darin, dass Pallavi ins Mikrofon singt und sich diese Stimme verdoppelt. Sobald ihre Hände die Ruheposition vor ihrem Körper verlassen und zu gestikulieren beginnen, erklingt das zuletzt gesungene als ''Second Voice" und kann anhand elektronischer Klangparameter bearbeitet werden: Tonhöhe, Looplänge, Hallraum und Echo sind die wesentlichen Prinzipien, nach denen ihre Gesten das Stimmmaterial bearbeiten können.
© Gowri Dattu
Der Host meiner
bangaloResidency war Abhinaya Taranga, ein Theater, in dem dem wir genau richtig waren, was den konzeptionellen Teil des Projekts betraf, denn wir bewegten uns zwischen Konzert, Performance und sogar Tanzelementen. Dennoch benötigten wir zur Entwicklung der Software und der Kompositionen einen geeigneten, schalldichten Raum. Wir hatten das große Glück, das Studio des Popmusikers und Obersympathen Raghu Dixit in Indiranagar nutzen zu dürfen. Ohne diese inspirierende Oase, schallisoliert mitten in der ewig lauten Stadt und technisch bestens ausgerüstet, wären wir mit Sicherheit wesentlich langsamer vorangekommen.
Wir haben in den vier Wochen meines Aufenthalts das Instrument entworfen, gebaut, programmiert und ein kleines Repertoire entwickelt, das wir in einem "test-run of something new" im Max-Mueller-Bhavan am 19. Sept. zum ersten Mal präsentieren konnten. Wir waren uns bewusst, dass diese erste Demonstration unserer beiden musikalischen Interfaces noch keine Show ist, kein Konzert, mit dem man auf Tour gehen kann, weil Pallavi noch keine Gelegenheit hatte, ihr neues Instrument zu lernen. Das Spiel der "Second Voice" besteht im Verbinden ihrer Gestik und ihrer Stimme zu einem Duo mit sich selber entlang der Regeln der traditionellen Ragas sowie den gemeinsam entworfenen Regeln der Software.
© Antonie Vieregge
Dieser Prozess braucht Zeit. Ich selber habe über ein Jahr geübt, bis ich mit dem "Fello" System zum ersten Mal aufgetreten bin. Dennoch schien das Publikum unsere Suche nach Neuem zu würdigen, an manchen Stellen hatten wir sogar das Gefühl, mit den freien Improvisationen die Zuhörer tatsächlich musikalisch zu erreichen und zu berühren. In den Gesprächen nach dem Konzert zeigten sich euphorische Gesichter und viele Neugier.
© Antonie Vieregge
In der Mitte des Konzertes hatten wir ins Publikum gefragt, ob es Fragen gäbe - es gab! Es waren zahlreiche Musiker und Künstler gekommen, die die Erweiterung des Traditionellen ins Elektronische als Neuerung mit Potenzial bezeichneten, genaue Fragen zur Choreographie zum Hinterrund und zur ästhetischen Ausrichtung unseres Projektes parat hatten, die uns in der Weiterentwicklung begleiten werden.
Jetzt haben wir ein halbes Jahr Zeit um zu proben, sowohl über Skype als auch in Hamburg, wo wir uns wieder im Studio treffen werden, bevor wir im April 2017 auf Tournee in Japan gehen werden.