Als ich in Bangalore landete, war ich sehr bewegt. Ich hatte bereits seit einigen Jahren gehofft, die Stadt – insbesondere die Gerüche des Essens, der Menschen sowie der städtischen Umgebung – erkunden zu können. Meinen ersten einschneidenden Geruchseindruck erlebte ich am Flughafen, als uns das Goethe-Institut mit Jasminblütenketten empfang. Ich war fasziniert von dem leichten und zugleich intensiven Blumenduft.
© Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Bangalore
Meine zweite durchdringende Geruchserfahrung wurde hervorgerufen durch die Gerüche eines köstlichen indischen Mittagessens im Kunstraum 1 Shanthi Road, an dem alle Künstler*innen sowie die Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts teilnahmen. Suresh Jayaram, der Gründer des Kunstraums, hatte zu unserer Begrüßung verschiedene Gerichte vorbereitet. Das Essen war sehr schmackhaft, wenn auch nicht überraschend anders als das indische Essen, das ich seit vielen Jahren koche. Dieses Mittagessen stellte den Beginn einer täglichen köstlichen kulinarischen Entdeckungsreise dar.
© Lauryn Mannigel
Das Srishti Institute of Art, Design and Technology war meine Gastgeberorganisation. Meine beiden Kontakte, Meena Vari, Dekanin der School of Media, Arts and Sciences und Dekanin des Bereichs für Zeitgenössische Kunst und kuratorische Praxis, sowie Yashas Shetty, der Leiter des Art Science BLR , unterstützten mich dabei, mein Projekt zu beginnen. Yashas bot mir an, einen Schreibtisch im Art Science BLR nutzen zu können. Srishti stellte mir ein Zimmer in einer Wohnung zur Verfügung, die sich in einer grünen und bewachten Wohnanlage in Yelahanka, einem Vorort im Norden der Stadt, befand. Es war sehr einfach, zu Srishti zu gelangen, da die Schule nur eine fünfminütige Rikscha-Fahrt von der Wohnung entfernt lag. Die Fahrt ins Stadtzentrum dauerte jedoch gut anderthalb Stunden. Da ich im Verlauf der Residency meistens von der Wohnung aus arbeitete und recherchierte, teilweise, weil ich öfters krank war, fühlte ich mich zunehmend isoliert.
Ich begann mein Projekt nach einer intensiven ersten Woche, in der ich krank war. Zunächst hatte ich die Absicht, Ideen zu erforschen, die in einem Zusammenhang mit Prozessen des „Othering“ stehen, indem ich die Gefühle, potenziellen Annahmen und Urteile von Menschen über die Körperdüfte anderer Menschen untersuchte. Unter Körperdüften verstehe ich dabei das gesamte Spektrum menschlicher Gerüche, wie sie im Alltag vorkommen. Körperdüfte können sowohl rein natürliche Körpergerüche sein als auch deren Veränderung durch hinzugefügte Produkte wie Duschgel, Aftershave, ätherische Öle oder Ähnliches. Insgesamt prägen alle Aktivitäten (wie Arbeiten, Bewegung, Essen etc.) sowie die Orte, die wir bewohnen und durchstreifen, unseren Körperduft. Darüber hinaus verstehe ich das Konzept des „Othering“ als eine Form der sozialen Ausgrenzung, die auf der Annahme beruht, dass eine andere Person oder Gruppe als „anders“ wahrgenommen und daher nicht als Teil der eigenen sozialen Gruppe betrachtet wird.
Da ich völlig neu in der indischen Kulturlandschaft war, schien es mir notwendig, zunächst ein Verständnis dafür zu erlangen, wie die Menschen ihre Welt durch den Geruch wahrnehmen und konstruieren. Zunächst beschloss ich, nach zeitgenössischen akademischen Texten zur Kulturgeschichte des Geruchs zu suchen. Zudem hatte ich mehrere wegweisende Gespräche mit Yashas Shetty und Suresh Jayaram. Zu meiner Überraschung entdeckte ich nur folgendes Buch in englischer Sprache: „Sandalwood and Carrion: Smell in Indian Religion and Culture“ (McHugh 2012), welches anhand von Sanskrit-Texten Einblicke in die Geruchswahrnehmung im vormodernen Südasien gibt. Hier werden Vergleiche zwischen hinduistischen, buddhistischen und jainistischen religiösen Praktiken in Bezug auf den Geruch angestellt. Der Autor zeigt auf, dass Urin, Leichen und Exkremente, die von Menschen stammen, sowie kranke Menschen im vormodernen Indien als übel riechend wahrgenommen wurden.
Je mehr ich über den Geruch in der indischen Kultur zu lernen begann, desto interessierter war ich herauszufinden, was akademische Texte in den Bereichen der Sozialwissenschaften, Psychologie und Neurowissenschaften zur sozialen Wahrnehmung menschlicher Körperdüfte in Indien berichten. Ich entdeckte in diesem Zusammenhang nur einen Artikel: „Theorising Sensory Cultures in Asia: Sociohistorical Perspectives“ (Low 2019). Dieser untersucht die Rolle der Sinne im historischen Kontext Asiens und erwähnt, dass „imperialistische Haltungen, die das sinnesorientierte Verhalten, das Eigentum und die Höflichkeit [...] [in Indien] bestimmen, bedeuten, dass lokale sinnesorientierte Verhaltensweisen als transgressiv und damit als pathologisch interpretiert wurden“ (Low 2019, S. 629, Übersetzung der Autorin). Über diesen Artikel hinaus ist die Literatur in englischer Sprache zu meinem erwünschten Thema sehr spärlich. Leider habe ich bisher keine zeitgenössischen wissenschaftlichen Texte finden können, die untersuchen, wie Menschen sich gegenseitig durch ihre Körperdüfte wahrnehmen.
Zu Beginn meiner Künstlerresidenz setze ich mir als Ziel, die soziale Wahrnehmung des Körperdufts von Menschen, die in Bangalore leben, zu untersuchen. Ich wollte hierbei ein neues olfaktorisches Performance-Experiment schaffen, welches auf dem Projekt „Eat Me“ (2018) aufbaut. Bei „Eat Me“ wurden die Teilnehmer*innen dazu aufgefordert, sich eine Welt vorzustellen, in der es normal ist, andere Personen über Geschmacks- und Geruchserfahrungen durch das Essen (retronasaler Geruch) zu erleben. Hierfür führte ich Interviews an der Universität Wageningen und fragte Personen, ob sie sich vorstellen könnten, Körperduft zu essen und, wenn ja, welche Textur, welchen Geschmack und welche Farbe sie diesem zuschreiben würden. Basierend auf den Antworten der Leute entwarf ich vier Snacks und ein Getränk, die ich dem Publikum servierte.
© Santosh Rajus
Für mein neues Projekt plante ich, die Aromastoffe der Körperdüfte einiger ausgewählter Personen zu identifizieren, um Snacks und Getränke damit zu entwerfen. Um die Aromastoffe einer Person bestimmen zu können, ist es zunächst notwendig, die molekulare Zusammensetzung des Geruchs der Person mit Hilfe eines/r Wissenschaftlers*in, der/die mit der chemischen Analyse vertraut ist, zu bestimmen. Zweitens müssen die Geruchsmoleküle in Aromamoleküle übersetzt werden, damit die Geschmacksstoffe einer Person Lebensmitteln beigegeben werden können. Auf der Suche nach einem Kollaborator für die chemische Analyse stellte mich Yashas Shetty der Chemieökologin Dr. Shannon Olsson vom National Center for Biological Sciences (NCBS) vor. Nach einem faszinierenden Gespräch mit ihr über die Geruchskommunikation zwischen Insekten und Pflanzen sowie unter Menschen stimmte sie zu, die chemische Analyse der Körperduftproben zu leiten. Als wir das Konzept meines Projekts sowie die Aspekte von dessen Umsetzung zusammen diskutierten, kamen folgende Fragen auf: (1) Von welchen Körperteilen sollten die Teilnehmer*innen ihren eigenen Körperduft sammeln und warum? (2) Welche Materialien würden sich zur Aufnahme von Körperdüften eignen? Und vor allem: (3) Wessen Körperdüfte würde ich sammeln wollen? Auf der Suche nach dem zu erforschenden Körperduft wollte ich zunächst verstehen, ob die Zuordnung von Menschen zu einer Kaste weiterhin eine Rolle in der indischen Gesellschaft spielt oder nicht. Aus diesem Grund organisierte ich ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Sobin George, einem Assistenzprofessor am Institute for Social and Economic Change. Er bestätigte, dass das Unterscheiden der Gesellschaft nach Kasten in den Vorstellungen der Inder*innen weiterlebt.
© Chandra Gowda
Ich initiierte Diskussionen mit Frauen, die in Bangalore leben, darüber, wie sie glauben, dass sie aufgrund ihres Körperdufts wahrgenommen werden. Eine größere Diskussion fand während des Workshops „I smell a rat“ statt, den ich am 12. Dezember 2019 im Goethe-Institut Max Mueller Bhavan gab. Der Workshop lud Teilnehmerinnen ein, sich mittels einer Präsentation, Diskussionen und praktischer Experimente kritisch mit der geschlechtsspezifischen Wahrnehmung von Körperdüften auseinanderzusetzen. Der Workshop war in vielerlei Hinsicht sehr informativ. Ein wichtiger Aspekt, den ich lernte, war, dass Körperdüfte von Frauen in Bangalore stärker stigmatisiert sind als die von Männern.
© Magali Couffon de Trevros
Anknüpfend an diese Aussage, richtete ich mein Projekt schließlich darauf aus, die soziale Wahrnehmung des Körperdufts von Frauen zu erforschen. Nach mehreren Versuchen, mit Frauen ein Gespräch zu diesem Thema zu eröffnen, bemerkte ich ebenso, dass Körperdüfte ein großes soziales Tabu darstellen. Bisher war es mir nur möglich mit einigen Frauen der Millenniumsgeneration offene Gespräche hierzu führen zu können. Alle von ihnen hatten eine Form von Hochschulausbildung abgeschlossen. Ich unternahm insgesamt längere Gespräche mit fünf Frauen darüber, wie sie die Wahrnehmung ihres Körperduftes durch andere erfahren und wie sie ihren eigenen Körperduft wahrnehmen.
Diese Gespräche zeichnete ich mit einem Tonaufnahmegerät auf. In einem nächsten Schritt werde ich meine Gesprächspartnerinnen bitten, die Körperdüfte im Bereich um ihren Hals zu sammeln, damit diese chemisch analysiert werden können, denn mir scheint der Hals einer Frau der respektvollste Körperteil zu sein, um die soziale Wahrnehmung der Körperdüfte von Frauen in Bangalore zu erforschen. Der Hals kann sowohl offen gezeigt werden als auch durch Kleidung verdeckt sein. Die Gerüche des Halses einer Frau können bei der Begrüßung anderer Menschen, z.B. durch das Umarmen, aber auch in der Öffentlichkeit, beispielsweise während einer Fahrt in einem überfüllten Bus, wahrgenommen werden. Obwohl es sich um einen intimen Raum handelt, scheinen demnach die Körperdüfte des Halses einer Frau nicht so stigmatisiert zu sein, wie dies z.B. bei Düften der Achselhöhle einer Frau der Fall ist. Es ist meine Absicht, das Bewusstsein für die soziale Wahrnehmung der Körperdüfte von Frauen zu schärfen, indem ich darauf abziele, die bestehenden Stigmata hinsichtlich der Art und Weise, wie Frauen riechen, nicht zu verstärken.
© Lauryn Mannigel
Mit meiner ursprünglichen Projektidee, den Körperduft von Frauen als etwas Essbares zu präsentieren, stieß ich neben ein paar neugierigen Frauen auch auf großen Widerstand und großes Unverständnis. Mir wurde gesagt, dies sei unsensibel, unangemessen und kannibalisch. Meine Annahme ist demzufolge, dass diese Idee die Menschen in Bangalore höchstwahrscheinlich eher abschrecken würde, anstatt deren Interesse an der sozialen Wahrnehmung der Körperdüfte von Frauen zu wecken. Aus diesem Grund werde ich die weitere Entwicklung meines Projekts überarbeiten, worauf ich bereits sehr gespannt bin. Ich hoffe das finale Projekt im Jahr 2020 oder 2021 in einer Ausstellung in Bangalore vorzustellen.
Ein großes Dankeschön an das gesamte Team des Goethe-Instituts, an Max Mueller Bhavan, an Moira Heuer, an Charlotte Rauth, an Marie Knop, an Meena Vari und Yashas Shetty vom Srishti Institute of Art, Design and Technology, an Prof. Shannon Olsson und Srinivas Rao vom NICE Lab des National Centre for Biological Sciences, an Prof. Sobin George vom Institute for Social and Economic Change, an das Team von 1 Shanthi Road, Blank Noise, das Sandbox Collective, The Courtyard sowie an alle Frauen in Bangalore, mit denen ich Gespräche führte.
Bibliographie
McHugh, J 2012, Sandalwood and Carrion: Smell in Indian Religion and Culture, Oxford University Press, New York.
Low, KEY 2019, ‘Theorising Sensory Cultures in Asia: Sociohistorical Perspectives’, Asian Studies Review, vol. 43, no. 4, pp. 618-636, DOI: 10.1080/10357823.2019.1664985