Hanse
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Warum kommen einem viele europäische Städte so bekannt vor, wenn man durch die Altstadt schlendert – obwohl man zum ersten Mal dort ist? Antworten auf diese Frage liefert die Hanse: ein mittelalterliches Bündnis von Kaufleuten, das im Mittelalter entstand und Europa lange prägte.
Die Hanse war ein Bündnis von Fernhandelskaufleuten, das Mitte des 12. Jahrhunderts entstand und Europa über rund 400 Jahre hinweg prägte. Der zentrale Handelsraum der Hansekaufleute erstreckte sich von Brügge und London im Westen bis Nowgorod weit im Osten und nach Bergen im Norden.
Der Warenaustausch zwischen europäischen Staaten und die gemeinsame Einfuhr von Waren aus Fernost wirkten wie ein Katalysator auf die europäischen Entwicklungen. Gehandelt wurde vor allem mit Fellen, Kupfer und Silber, Gewürzen, Tüchern, Holz, Getreide, Wein und Bier. Schonenscher Hering aus Dänemark, konserviert mit Lüneburger Salinensalz, landete auf den Tellern von Kölner Familien. Kerzen aus russischem Wachs erleuchteten westfälische Kaufmannsdielen und im Baltikum konnte man sich in englische Wollstoffe kleiden oder in feine flandrische Tücher hüllen.
Die Aktivitäten der Hanse begrenzten sich jedoch nicht auf die Wirtschaft. Von großer Bedeutung war auch die Tagespolitik. Die Hanse siegte in Kriegen etwa gegen Dänemark verhängte Handelsboykotte z. B. gegen Norwegen, Flandern und Nowgorod. Die Vertreter der Mitgliedsstädte trafen sich, wenn Probleme gelöst werden mussten.
Die Hanse trug wesentlich zur Vernetzung Europas bei, sodass sie in gewisser Weise auch als Vorläuferin eines vereinigten Europas bezeichnet werden kann.
Die Historiker sprechen von circa 200 Hansestädten in heute sieben Ländern, die am damaligen Handel der Hanse beteiligt waren. Dazu kamen noch große sogenannte Auslandskontore in London, Nowgorod, Bergen und Brügge, kleinere Niederlassungen in rund 44 Städten im Ausland und weitere Städte wie Venedig und Amsterdam, in denen Hansekaufleute bisweilen über Jahrhunderte Handel trieben. Auch mit Spanien und Portugal waren die Hansekaufleute im Austausch. Der gesamte wirtschaftliche Einflussbereich der Hanse umfasste ein Gebiet, das heute 25 europäische Staaten einschließt.
Die Handelsgeschäfte der damaligen Großkaufleute florierten so sehr, dass sie große Reichtümer anhäuften. Plötzlich gab es neben den Stadt- und Landesherren und der Kirche weitere sehr mächtige Akteure: die Städte und darin vor allem die Fernhandelskaufleute. Den Stadt- und Landesherren gegenüber errangen sie Unabhängigkeit, entwickelten ihr eigenes Stadtrecht und bauten prächtige Kathedralen, Rathäuser, Bürgerhäuser und wehrhafte Stadtbefestigungen, die noch heute den Kern vieler europäischer Hansestädte ausmachen.
Zahlreiche europäische Altstädte erhielten in dieser Zeit ihre architektonische Prägung und zählen heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. In Lübeck, dem „Haupt der Hanse“, planten die Fernhandelskaufleute ihre Marienkirche sogar größer als den Dom. Und noch heute kann man in der Marienkirche das höchste Backsteingewölbe der Welt bewundern. Mit seinen 38,5 Metern ist es ein Meisterwerk der Baukunst. Sogar die dänische Königskrone wurde hier einmal als Pfand aufbewahrt, in der Schatzkammer über der Ratsherrenkapelle.
Aber Reichtum ruft Kontrahenten hervor. Und auch die Fernhandelskaufleute hatten mit Widersachern zu kämpfen, vor allem mit den sogenannten Vitalienbrüdern, einem Zusammenschluss von Piraten, der für viele Jahre zunächst die Ostsee und dann auch die Nordsee unsicher machte. Auch der Seeräuber Klaus Störtebeker soll ihm angehört haben. Gemeinsam mit seiner Mannschaft überfiel er jahrelang die Handelsschiffe in Ost- und Nordsee – erst der starke politische Druck der Hanse soll zu seiner Festnahme und Hinrichtung im Jahre 1401 geführt haben.
Wer viel hat, kann viel verlieren. Die Fernhandelskaufleute versuchten, das Risiko auf mehreren Schultern zu verteilen, fanden sich in Handelsgesellschaften zusammen und unterhielten und beluden gemeinsam Schiffe. Wurde eines dieser Schiffe geentert, so traf das immerhin nicht den einzelnen Kaufmann. Überhaupt traten die Fernhandelskaufleute füreinander ein und handelten sogar teilweise im Namen von Partnern. Dabei schlossen sie keine schriftlichen Verträge – Vertrauen war alles.
Kein Wunder, dass korruptes Verhalten mit Höchststrafen geahndet wurde. Einer der Bürgermeister der Hansestadt Lübeck wurde sogar durch Enthauptung hingerichtet: wegen Wucherzinsen und Unterschlagung von Kirchenvermögen [Unregelmäßigkeiten in seinen Geschäftsbüchern]. Das war 1363, der Bürgermeister hieß Johann Wittenborg. Im Archiv in Lübeck ist sein Geschäftsbuch als Beweisstück überliefert, das sonst wohl im Altpapier gelandet wäre. So konnten Historiker nachvollziehen, wie intensiv und europaweit bereits damals gehandelt wurde.
Im Mittelalter transportierten die Fernhandelskaufleute ihre Waren in bauchigen Holzschiffen, Flusskähnen, auf Pferdefuhrwerken und sogar Packtieren (beispielsweise zur Alpenüberquerung). Mit diesen einfachen Mitteln wurden nicht nur europäische Güter gefrachtet, sondern sogar Waren aus dem fernen Osten eingeführt – darunter Seide, Gewürze und Weihrauch. Ein Modell eines dieser Schiffe kann man noch heute im Danziger Museum sehen: das des Peters von Danzig, der das erste große Kraweel im Ostseeraum im 15. Jahrhundert war. Ausgetauscht wurden natürlich nicht nur Handelswaren, sondern auch Wissen und Ideen. Ein Blick auf die mittelalterliche Ikonografie zeigt, wie sich über die Jahrhunderte hinweg Kulturtechniken, Symbole und Darstellungsweisen innerhalb Europas verbreiteten und mischten. Und so schmolz Europa immer mehr zusammen.
Der Geist der Hanse ist an vielen Orten Europas deutlich zu spüren: Die sich ähnelnden Rathäuser, Kathedralen und Kaufmannshäuser erzählen von der gemeinsamen Vergangenheit. 1980 wurde mit der „Neugründung“ der Hanse die Geschichte in die Gegenwart geholt. Seitdem finden jährlich die sogenannten Hansetage der Neuzeit statt, in immer wechselnden Hansestädten. So will man das gemeinsame Selbstverständnis stärken, die Zusammenarbeit fördern und den grenzüberschreitenden Charakter betonen.