Ukraine

Ukraina © Pexels

Der Krieg dauert nicht mehr fast zwei, sondern bereits zehn Jahre. In dieser Zeit hat sich das Leben der Ukrainer grundlegend verändert. Grosse Erschöpfung, Bitternis, Unfähigkeit, den Verlust zu verarbeiten, zerrüttete Familienbande und das Wissen, dass das alles noch andauern wird. Mit dieser Leere im Herzen, mit dem Krieg in der Brust, lesen ukrainische Schriftstellerinnen immer noch Texte auf internationalen Bühnen, während ihre Brüder und Väter zu Hause kämpfen. Der Journalist Andriy Trushkovskyi, der jetzt in den Armee dient, schrieb: "Liebe Freunde, ich gebe euch einen Ratschlag fürs Leben: Kauft euch am besten unverzüglich Militärstiefel. Um Zeit zu haben, sie passend und bequem auszutreten, tragt sie ein paar Stunden am Tag. Später wird es keine Zeit dafür geben, denn der Krieg kommt zu uns allen". Inzwischen werden die Friedhöfe der im Krieg gefallenen Soldaten im rasanten Tempo immer großflächiger und ähneln gelb-blauen, in Schweigen gehüllten Städten.
Der Krieg zerstört die kleinen Alltagsfreuden, die die Menschen am Leben erhalten. Ausländische Berichterstatter sind zuweilen überrascht, wie hartnäckig die Ukrainer weiterhin "normal" leben – sie trinken ihren morgendlichen Kaffee an den Tischen in herbstlichen Cafés, eröffnen Ausstellungen, neue Buchhandlungen und gehen ins Theater. Und überall sieht man nach Autogrammen anstehende Menschenschlangen und überfüllte Säle. Wenn man jedoch genauer hinschaut, bemerkt man wegen Schlafmangel und wegen vielen übermäßig vergossenen Tränen gerötete Augen oder wie jemand einen erschrockenen Hund fest in die Arme nimmt, wenn die an dem Haus vorüber fliegenden Raketen zu hören sind. Ja, die Ukrainer bringen neue Kleidungskollektionen heraus und drucken Lifestyle-Magazine, aber neben den neuen, modischsten roten Lippenstifttönen findet man dort auch 10 Tipps, was zu tun ist, wenn man nach einer Explosion unter einem Trümmerhaufen liegt.
Damit das Schweigen nicht nur ein persönlicher Schmerz bleibt, damit die Erfahrung des Lebens im Krieg und der Aufbau von Kultur unter Beschuss für die Welt verständlicher wird – suchen wir, zusammen mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen aus der Zeitschrift "Dwutygodnik" nach gemeinsamen polnisch-ukrainischen Berührungspunkten, die uns dabei behilflich sind, uns als Gemeinschaft zu empfinden. Die in der ukrainischen Sektion veröffentlichten Texte sollen weder Mitleid noch Schuldgefühle auslösen – sie weisen einen Weg, der auch unter schwierigsten Umständen auf der Suche nach Lebensmut beschritten werden kann.
Das Wichtigste für uns ist jetzt das Gefühl der Solidarität, die gemeinsamen Bestrebungen und die Möglichkeit, Fragen in einem sicheren Raum stellen zu können. In öffentlichen Diskussionen über den Krieg befürchten ukrainische Kulturschaffende und Aktivisten oft, dass sie die unterschiedlichen Erfahrungen nicht zu überwinden vermögen, dass man nirgendwo und zu niemanden all den Schmerz und die Ungerechtigkeit bringen kann. In unserer Textreihe versuchen wir, diese Kluft zu überwinden und eine Brücke aus lebendigen Gesprächen und Texten zwischen den Welten des Friedens und des Krieges zu schlagen. Wir können viel voneinander lernen und, solange wir es können, die Schuhe der Erfahrungen der anderen "ausbreiten".

Wir präsentieren eine Auswahl von Texten aus dem ukrainischen Teil der Kulturzeitschrift "Dwutygodnik" im Rahmen eines von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit unterstützten Projekts.

Liza Korneichuk  „In der Nachbarschaft von Raketen“
Iryna Tsilyk, ein Gespräch mit Maryna Stepanska, "Wir schauen auf die Biene
Bohdana Romantsova, ein Gespräch mit Vira Ahejewa, " Weshalb wir nicht aufgeben
Ivanna Skyba-Yakubowa, "Rosafarbenes Pelzjäckchen"

Autorin: Vira Baldyniuk





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