Personalmangel im Gesundheitswesen
Polnische Ärztinnen und Ärzte zieht es nach Deutschland

Ärzte aus der ganzen Welt – auch aus Polen – wollen gerne in Deutschland arbeiten.
Ärzte aus der ganzen Welt – auch aus Polen – wollen gerne in Deutschland arbeiten. | Foto: Pexels

Immer mehr polnische Nachwuchsärzte arbeiten bei unserem westlichen Nachbar. Sie beschließen, ermutigt durch bessere Bezahlung und die Möglichkeit, in ihre Traumspezialisierungen reinzukommen, Polen zu verlassen. Außer der erfolgreich bestandenen Fachsprachprüfung Medizin sollen sich die Ärzte fehlerfrei mit Patient*innen kommunizieren.

Von Kaja Puto

Das deutsche Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt: ein gut ausgebildetes medizinisches Personal, moderne technische Geräte und vergleichsweise kurze Wartezeiten für Patienten. Kein Wunder also, dass Ärzte aus der ganzen Welt – auch aus dem benachbarten Polen – gerne in Deutschland arbeiten wollen.

Nach Angaben der deutschen Bundesärztekammer waren 2019 insgesamt 58 168 ausländische Ärzte in Deutschland registriert, davon 2163 aus Polen. Nicht erfasst in dieser Statistik sind Ärzte, die bereits die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. Wie dem auch sei: Vor allem in den neuen Bundesländern gibt es Krankenhäuser, in denen die Ärzte überwiegend polnische Namen tragen.

Dank der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie haben polnische Medizinabsolventen in der Regel keine Probleme damit, ihre Ausbildungsnachweise anerkennen zu lassen. Um eine Approbation zu erhalten, müssen sie lediglich ein allgemeines Sprachzertifikat (Stufe B2) vorlegen sowie eine Prüfung der fachsprachlichen Kenntnisse ablegen. Warum zieht es so viele junge polnische Ärzte nach Deutschland – und was fehlt ihnen in Polen?

Es geht nicht nur um Geld

„Es gibt heute kaum noch Ärzte, die ausschließlich aus finanziellen Gründen nach Deutschland kommen“, erklärt Sylwia Bryzek, die Leiterin einer Vermittlungsagentur für polnische Ärzte in Deutschland. „Selbstverständlich erhalten Ärzte in Deutschland ein höheres Einstiegsgehalt. Sie verdienen bereits während ihrer Facharztausbildung – mit Bereitschaftsdiensten – zwischen 4500 und 7000 Euro. Doch im weiteren Verlauf ihrer Karriere können polnische Ärzte ähnlich viel verdienen wie ihre deutschen Kollegen, wenn sie in mehreren Krankenhäusern gleichzeitig arbeiten.“

Sylwia sagt, dass junge polnische Ärzte nicht mehr so leben wollen wie ihre älteren Kollegen. Sie wollen nicht mehr sechzehn Stunden am Tag arbeiten und ihr Privatleben vernachlässigen. „Sie machen ihre Ausbildung in einem Alter, in dem sie heiraten und eine Familie gründen. Sie wollen für all das genügend Zeit haben, sie wollen sich weiterbilden und sie setzen auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Und das ist in Polen derzeit sehr schwierig.“

Polnische Medizinabsolventen können während ihrer Ausbildung, zum Facharzt, der sogenannten Residentur, mit einem monatlichen Einkommen von 4200 bis 5200 Złoty rechnen – was nicht weiter tragisch ist, wenn man die niedrigeren Lebenshaltungskosten in Polen berücksichtigt und die zusätzlichen Vergütungen für die Bereitschaftsdienste hinzurechnet. Doch nicht alle polnischen Medizinabsolventen erhalten eine Residentur. Wer ein schlechteres Ergebnis in der medizinischen Abschlussprüfung erzielt, muss sich um eine Ausbildung im Nicht-Residentur-Modus bemühen. Und da die Assistenzärzte in diesem Fall ihr Gehalt nicht vom Gesundheitsministerium, sondern von den Krankenhäusern selbst erhalten, sind entsprechende Stellen rar und in der Regel schlechter bezahlt.

„Es mangelt an Residenturen, vor allem in den besonders gefragten Fachbereichen. Und es gibt kaum Krankenhäuser, die bereit sind, Medizinabsolventen im Nicht-Residentur-Modus zu beschäftigen“, sagt Piotr Pisula, vom Verband Polnischer Assistenzärzte der Polnischen Ärztegewerkschaft OZZL. „Die polnischen Krankenhäuser sind chronisch unterfinanziert. Deshalb mussten manche polnische Nachwuchsärzte ihre Facharztausbildung noch bis vor Kurzem im Rahmen eines unbezahlten Volontariats absolvieren. Zum Glück wurden solche Regelungen inzwischen verboten. Ich habe manchmal den Eindruck, das polnische Vergütungssystem ist bewusst so angelegt, dass Ärzte, die ein halbwegs anständiges Einkommen erzielen wollen, dazu gezwungen sind, in mehreren Krankenhäusern auf einmal arbeiten – um so die Löcher in der Personaldecke zu stopfen.“

„Ich arbeite bereits seit zehn Jahren in Deutschland – in ein und demselben Krankenhaus. Ich musste mir nichts mit privaten Sprechstunden, als Notfallsanitäter oder gar als Taxifahrer hinzuverdienen, so wie es einige meiner Kollegen in Polen getan haben“, sagt Marcin, der als Neurochirurg in einer größeren deutschen Stadt arbeitet. „Ich habe genügend verdient und konnte mich ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Als ich meinem Chef nach einigen Jahren erklärte, ich würde meine Arbeitszeit gerne auf 80 Prozent reduzieren, um mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, sagte der nur: »Kein Problem. Hauptsache, Sie fühlen sich bei uns wohl«. Und wenn ich in einem Monat zu viele Überstunden mache, kommt der Betriebsrat auf mich zu und sagt: »Bitte gehen Sie nach Hause, Sie dürfen nicht so viel arbeiten«. Das ist hier eine ganz andere Welt.“

Nur die Besten erhalten eine Facharztausbildung

Marcin entschied sich, Polen zu verlassen, als er keine Residentur im Bereich Neurochirurgie erhielt. In Polen wird die Anzahl der Residenturen in den jeweiligen Fachbereichen von oben reguliert. Für Absolventen, die ein schlechtes Ergebnis in der medizinischen Abschlussprüfung erzielt haben, bleiben nur die weniger gefragten Fachrichtungen übrig. In Deutschland bewerben sich junge Ärzte direkt bei den Krankenhäusern: Wer einen Facharzt in einem bestimmten Bereich benötigt, gibt einem frischgebackenen Medizinabsolventen gerne einen entsprechenden Ausbildungsplatz.

„Ich habe meine medizinische Abschlussprüfung 2008 mit einem durchschnittlichen Ergebnis abgeschlossen. Ich hatte neben Medizin auch Psychologie studiert und auch bereits Praktika in einer neurochirurgischen Klinik absolviert. Ich wusste, dass ich in diese Richtung gehen wollte“, erzählt Marcin „Dann stellte sich jedoch heraus, dass es in ganz Polen nur vier Ausbildungsstellen in diesem Bereich gab, ich hatte also keine Chance. Schließlich erhielt ich eine Stelle in der Psychiatrie, aber ich wusste von Anfang an, dass das nicht das Richtige für mich war. Alternativ hätte ich auch ein Volontariat in einer neurochirurgischen Klinik machen und auf eine freie Stelle warten können – ich kenne viele, die das so gemacht haben. Schließlich beschlossen meine Frau und ich – da wir beide bereits Deutsch sprachen – es in Deutschland zu versuchen.
In Deutschland ist es einfacher, in die Traumspezialisierung reinzukommen.
In Deutschland ist es einfacher, in die Traumspezialisierung reinzukommen. | Foto: Pexels
Marcin bewarb sich also bei zehn deutschen Krankenhäusern: Fünf antworteten ihm, vier davon boten ihm eine Stelle an. „Das bedeutete, dass ich in der Neurochirurgie arbeiten und sofort anfangen konnte. Ich hätte auch in Polen bleiben können, ich war verheiratet und hatte eine Wohnung. Ich war also bereits relativ gut situiert. Aber ich wäre beruflich sehr unzufrieden gewesen.“

„In Polen entscheiden die Woiwodschaftsämter über die Anzahl der Ausbildungsplätze“, sagt Piotr Pisula. „Es gibt jedoch zu wenig Stellen. Deshalb können sich Nachwuchsärzte, die ein schlechteres Ergebnis in der medizinischen Abschlussprüfung erzielt haben, ihr Fachgebiet nicht aussuchen oder sind gezwungen, in eine andere Stadt zu ziehen. Dieses Verfahren ist sehr merkwürdig und entspricht nicht den tatsächlichen Bedürfnissen. Im vergangenen Jahr gab es in ganz Polen nur 16 Ausbildungsstellen im Bereich Endokrinologie, obwohl Patienten derzeit bis zu zwei Jahre auf einen Termin bei einem Endokrinologen warten müssen. Es liegt einfach am fehlenden Geld.“

Auch Anna Gomulska, die ihr Studium an der Medizinischen Universität Posen abgeschlossen hat, erzählt mir davon, wie schwierig es in Polen ist, eine bestimmte Fachrichtung zu wählen. Sie selbst entschied sich vor allem aus privaten Gründen, nach Deutschland zu ziehen, weil es dort am einfachsten war, eine gemeinsame Zukunft mit ihrem amerikanischen Freund zu planen. Anna fühlt sich eng der deutschen Kultur verbunden: Sie hatte bereits an schulischen und studentischen Austauschprogrammen in Deutschland teilgenommen und benötigte lediglich einen Fachsprachennachweis, um ihre Approbation zu erhalten.

„Mein Medizinstudium in Polen bereitete mich in erster Linie darauf vor, mir Gedanken über das Ergebnis meiner Abschlussprüfung zu machen“, sagt Anna ironisch. „Dabei sagt ein solches Testergebnis allein doch nichts über die Arbeit aus, die ein Student in den sechs Jahren seines Studiums geleistet hat. Mein Abschlussergebnis war nicht besonders gut, aber ich bin glücklich darüber, dass ich mir während meines Studiums auch Zeit für studentische Forschungsgruppen, Volontariate und Auslandspraktika genommen habe. All das hat in Polen keinen großen Einfluss auf die Vergabe von Residenturen.“

Augen zu und durch

Auch Natalia Piluch, die derzeit an der Medizinischen Universität Breslau studiert, hat bereits ein Auslandspraktikum absolviert. Sie verbrachte vier Wochen in der Abteilung für Innere Medizin eines Krankenhauses in Schleswig-Holstein. In diesem Jahr plant sie ein weiteres Praktikum, außerdem bewirbt sie sich für das Erasmus-Programm und würde nach dem Abschluss ihres Studiums gerne in Deutschland arbeiten.

„Die Deutschen sind offen für junge Ärzte, die voller Ideen und Leidenschaft sind und die sich in ihrem Beruf verwirklichen wollen“, erklärt Natalia. „Während meines Praktikums durfte ich sogar an Operationen teilnehmen. Ich habe viel gelernt und ein Interesse an der Chirurgie entwickelt. In Polen hatte ich nach meinem ersten Studienjahr ein Krankenpflegepraktikum gemacht, bei dem ich nicht einmal Blut abnehmen und Infusionen geben durfte. Meine anderen Praktika sahen ähnlich aus: Die Ärzte hatten kein Interesse daran, uns irgendetwas beizubringen. Wir mussten unsere Praktika einfach nur irgendwie herunterspulen. So etwas ist sehr demotivierend.“

Sylwia Bryzek hört viele ähnliche Geschichten von ihren Klienten. „Die jungen Ärzte beschweren sich, dass die älteren sie nicht in ihre Arbeit mit einbinden, sondern sie als Konkurrenz empfinden. Oft beenden sie ihre Facharztausbildung mit dem Gefühl, dass sie nichts gelernt haben. Zu uns kommen nicht nur frischgebackene Medizinabsolventen, sondern auch junge Ärzte, die mitten in ihrer Facharztausbildung stecken. Viele von ihnen sagen: »Ich möchte in Deutschland neu anfangen, weil ich zwar schon zwei Jahre in Polen gearbeitet habe, aber nicht das tun konnte, was ich eigentlich geplant hatte.«“

In Deutschland wird viel Wert auf die berufliche Weiterbildung gelegt, auch nach dem Abschluss der Facharztausbildung. „Ich habe Anspruch auf fünf Tage Bildungsurlaub pro Jahr – das kann theoretisch sogar ein Chinesisch-Kurs sein“, erzählt Marcin. „Außerdem gibt es zahlreiche ärztliche Weiterbildungsangebote. Einige davon bezahlt der Arbeitgeber, andere muss ich selbst bezahlen, kann die Kosten jedoch von der Steuer absetzen.“

Das Thema berufliche Weiterbildung ist auch für Anna sehr wichtig. „Ich weiß, dass ich mich in Deutschland jederzeit beruflich weiterentwickeln kann. Und davon profitieren auch meine Patienten.“

Natalia fügt hinzu, dass es ihr auch gefällt, wie Ärzte in Deutschland auf ihre Patienten eingehen. Polnischen Ärzten mangelt es hierfür oft an Zeit. „Die Ärzte in Deutschland nehmen sich genügend Zeit für ihre Sprechstunden. Sie versuchen, ihre Patienten holistisch zu betrachten, sich mit ihnen zu unterhalten. Das ist ganz anders, als wir es in Polen kennen.“

Das Image der polnischen Ärzte in Deutschland

Sylwia Bryzek, die mit über 500 deutschen Krankenhäusern zusammenarbeitet, sagt, dass polnische Ärzte in Deutschland sehr gefragt und geschätzt sind. „Es herrscht die Überzeugung, dass polnische Hochschulabsolventen viel theoretisches Wissen haben. Und dass Polen – nicht nur Ärzte – bereit und fähig sind, schwer zu arbeiten.“

Sylwias Erfahrungen werden von den Statistiken bestätigt. Aus einer Umfrage des polnischen Instituts für öffentliche Angelegenheiten geht hervor, dass 79 Prozent der Deutschen einen Polen als möglichen Arbeitskollegen akzeptieren würden. Dennoch finden sich in der deutschen Presse – auch in der Fachpresse – Fälle von Diskriminierung gegenüber ausländischen Ärzten, sowohl vonseiten der Patienten als auch vonseiten anderer Ärzte.

Wenn es nach den Statistiken geht, werden Polen jedoch seltener zum Opfer von Diskriminierung als zum Beispiel Syrer. Nach einer Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration fühlen sich Menschen, deren Äußeres auf eine Zuwanderungsgeschichte hinweist, weitaus häufiger diskriminiert (48%) als Zugewanderte, deren Erscheinungsbild sich nicht sichtbar von der Mehrheitsbevölkerung abhebt (17%). Andererseits sind gerade in den neuen Bundesländern, in denen aufgrund der Nähe zur deutsch-polnischen Grenze und des Mangels an medizinischem Personal besonders viele polnische Ärzte arbeiten, fremdenfeindliche Ressentiments am stärksten verbreitet.

„Sicherlich gibt es vereinzelte Fälle von Diskriminierung, sowohl vonseiten der Patienten als auch vonseiten anderer Ärzte“, erklärt Marcin. „Aber so etwas gibt es überall. Ich kann nur sagen, dass meine Abstammung niemals einen Einfluss auf die Bewertung meiner Arbeit gehabt hat. Mir fällt dazu eine lustige Geschichte ein: Ich hatte einmal einen Patienten, der – seinen Hakenkreuz-Tattoos nach zu schließen – ganz offensichtlich rechtsextreme Ansichten vertrat. Als er das zweite Mal zu uns kam, sagte er zu mir: »Wissen Sie was? Es klingt vielleicht komisch, wenn ich das sage, aber ich freue mich, dass Sie heute gerade Sprechstunde haben.«“

Als ich ihn nach den kulturellen Unterschieden zwischen Deutschland und Polen frage, antwortet mir Marcin, dass er in Deutschland fast nur positive Unterschiede sieht – auch wenn er zugibt, dass es für ihn nicht ganz einfach war, die deutsche Fachterminologie perfekt zu beherrschen. „Ich habe es auch als sehr positiv empfunden, dass ich von Anfang an als ein Kollege und Partner wahrgenommen wurde, und nicht als eine Ressource, die es bestmöglich auszubeuten gilt. Ich musste meinem Chef hier nie die Tasche hinterhertragen, wie es in Polen oft der Fall war.  Mir gefällt auch das gegenseitige Vertrauen, das in der deutschen Arbeitswelt herrscht: Wenn ich Überstunden geleistet habe, gebe ich meinem Arbeitgeber einfach Bescheid, und damit ist die Sache erledigt. In Polen musste man sich in diverse Listen eintragen, und der Chef kontrollierte anschließend, wer wofür wie viel Zeit benötigt hatte. Hier würde niemand auch nur auf die Idee kommen, dass ich jemanden betrügen will.“

Auch das neureiche Auftreten mancher polnischer Ärzte belustigt Marcin. „Neulich hatten wir im Krankenhaus eine Gruppe von polnischen Ärzten zu Besuch, die sich ansehen wollten, wie wir uns auf den Kampf gegen das Coronavirus vorbereiten. Der Direktor eines polnischen Krankenhauses prahlte damit, dass er einen Chauffeur hatte und dass er in Deutschland einen Mercedes-Händler besucht hatte, um zu sehen, wie viel sein Auto hier kostete. Da musste ich fast lachen, denn unser Direktor fährt einen Ford Transit, und die Chefärzte kommen mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn zur Arbeit.“

„Dann sollen sie doch auswandern!“

2017 rief der Verband Polnischer Assistenzärzte der Polnischen Ärztegewerkschaft OZZL einen Hungerstreik aus, der fast einen Monat andauerte. Die Ärzte forderten eine Anhebung der Ausgaben für das Gesundheitswesen von 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (innerhalb der EU die niedrigsten öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf) auf 6,8 Prozent und eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen – darunter auch die Lösung der oben genannten Probleme.

„Ein enormer Erfolg unseres Protests war, dass die Möglichkeit zur Facharztausbildung im Rahmen eines Volontariats abgeschafft wurde“, sagt Piotr Pisula. „Auch das Gehalt von Assistenzärzten wurde erhöht, und das Einkommen von Fachärzten, die nur in einem einzigen Krankenhaus arbeiten, auf 6750 Złoty angehoben. Das ist kein zufriedenstellendes Ergebnis, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Außerdem verpflichtete sich das Gesundheitsministerium, die Ausgaben für das Gesundheitswesen stufenweise auf 6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Leider orientiert sich diese Erhöhung am Bruttoinlandsprodukt von vor zwei Jahren und nicht – wie wir gefordert hatten – an der Prognose für das kommende Jahr. Infolgedessen hat Polen im vergangenen Jahr im EU-Ranking der öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf lediglich Rumänien und Bulgarien überholt. Es wurden auch keine zusätzlichen medizinischen Sekretärinnen eingestellt, die den Ärzten den lästigen Papierkram abnehmen. Polnische Ärzte verbringen nach wie vor einen großen Teil ihrer Sprechstunden damit, alle möglichen Dokumente auszufüllen.“

Während des Hungerstreiks sprach eine Oppositionspolitikerin die folgende Warnung an die Regierung aus: „Polnische Ärzte haben eine hervorragende Ausbildung und gute Fremdsprachenkenntnisse, sie können also jederzeit eine Arbeit im Ausland aufnehmen.“ Eine Abgeordnete der Regierungspartei PiS kommentierte dies mit den Worten: „Dann sollen sie doch auswandern!“

Drei Jahre später brach die COVID-19-Pandemie aus. Obwohl Polen die erste Welle relativ glimpflich überstand, war das Gesundheitssystem praktisch lahmgelegt. Seine seit Jahrzehnten bestehenden Mängel wurden zunehmend offenbar: die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Krankenhäuser, der Mangel an medizinischem Personal und die zum Teil jahrelangen Wartezeiten auf Facharzttermine. Wer es sich leisten kann, sucht eine Privatklinik auf, doch selbst dort kommt es inzwischen zu längeren Wartezeiten. Nach einem Bericht der OECD kommen in Polen auf 1000 Einwohner nur 2,4 Ärzte – damit liegt Polen EU-weit auf dem letzten Platz.

Als die zweite Welle der Corona-Pandemie Polen erreichte und die Zahl der Neuinfektionen auf 30 000 pro Tag stieg, bot Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda Hilfe bei der Bekämpfung des Corona-Virus an. Duda bedankte sich diplomatisch für den Vorschlag eventueller Hilfe von deutscher Seite und antwortete, auch Polen stehe bereit, Deutschland im Kampf gegen Corona zu helfen, falls nötig. Weniger diplomatisch kommentierte dies die PiS-Abgeordnete Joanna Lichocka, die in der Presse forderte: „Sollen doch die deutschen Herren während der Pandemie polnische Ärzte, die im deutschen Gesundheitswesen arbeiten, nach Polen schicken.“

„Diese Aussage ist für mich völlig absurd“, kommentiert Anna. „Wir arbeiten schwer, um irgendwann Ärzte zu werden, und haben keine Möglichkeit, uns während unseres Studiums in unserem Beruf etwas hinzuzuverdienen, also unterstützen uns unsere Eltern. Wenn ich jemandem etwas schuldig bin, dann meinen Eltern und nicht der Regierung. Die Aussage von Joanna Lichocka zeigt auch, dass die Regierung keine Ahnung hat, wie die junge Generation denkt. Wir fühlen uns als Europäer. Die Grenzen waren, seit wir denken können, immer geöffnet. Wir sind offen im Umgang mit Menschen anderer Nationalitäten, es gibt für uns keine kulturellen Barrieren. Deshalb entscheiden wir selbst, wo wir leben wollen.“

Natalia fügt hinzu: „Ich empfinde diese Aussage als schändlich, wenn man bedenkt, dass man uns vor einigen Jahren praktisch ins Ausland getrieben hat. Ich denke, dass Ärzte das Recht haben, sich auf höchstem Niveau weiterzubilden, und diese Möglichkeit haben sie in Polen derzeit nicht.“

Selbstverständlich stellt die Abwanderung von Fachkräften für Polen, wie auch für viele andere EU-Länder, ein großes Problem dar, und die Ausbildung von Medizinern wird zum Teil aus Steuergeldern finanziert. Die Statistiken zeigen jedoch, dass die polnische Regierung lediglich Demagogie betreibt, wenn sie die abgewanderten Ärzte für den beklagenswerten Zustand des polnischen Gesundheitswesens verantwortlich macht. Jedes Jahr verlassen zwischen 3000 und 3500 Medizinabsolventen die polnischen Hochschulen – und die polnische Ärztekammer stellt pro Jahr nur einige Hundert Bescheinigungen für die Arbeitsaufnahme in einem anderen EU-Land aus (einige davon auch an polnische Ärzte, die bereits im Ausland arbeiten). Nach Angaben der polnischen Ärztekammer sind seit Polens Beitritt zur EU insgesamt circa 15 000 polnische Ärzte ins Ausland abgewandert, doch inzwischen fehlen in Polen insgesamt fast 70 000 Ärzte – und 25 Prozent der aktiven Ärzte befinden sich bereits im Rentenalter.
Was müsste also getan werden, um junge polnische Ärzte im Land zu halten?
Was müsste also getan werden, um junge polnische Ärzte im Land zu halten? | Foto: Pexels
Das Problem hat also tiefere Wurzeln. Die polnische Ärztekammer verweist insbesondere auf die strengen Zulassungsbeschränkungen zum Medizinstudium. Die Studienzahlen wurden zwar in den letzten Jahren erhöht, doch es wird noch einige Zeit dauern, bis die Effekte dieser Maßnahme spürbar werden. Leider fallen die demagogischen Äußerungen der Regierung auf fruchtbaren Boden: Die meisten polnischen Bürger verbinden das polnische Gesundheitswesen mit Arroganz, Vetternwirtschaft und bis vor Kurzem noch mit Korruption.

Der medizinische Arbeitsmarkt in Polen ist auch nur schwer zugänglich für Einwanderer, insbesondere aus der Ukraine, deren Zahl in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Obwohl das polnische Parlament das Einstellungsverfahren für ausländische Ärzte als Reaktion auf die Corona-Pandemie inzwischen vereinfacht hat – insbesondere in Bezug auf die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen – betreffen diese Maßnahmen nur eine kleine Gruppe und stießen zudem auf Widerstand aus den Reihen polnischer Ärzte.

Wie kann man polnische Ärzte im Land halten?

Obwohl keine meiner Gesprächspartnerinnen die politische Situation als einen unmittelbaren Grund für ihre Abwanderung nennt, kritisieren sie jedoch einhellig den letztjährigen Beschluss des polnischen Verfassungsgerichts über eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes.

„Ich weiß, dass ich in Deutschland in Ruhe eine Familie gründen kann und nicht durch irgendwelche rechtswidrigen Beschlüsse der Regierung gegängelt werde“, erklärt Natalia. „Die politische Situation in Polen verschlechtert sich zusehends. Auch das ist sicherlich ein Grund dafür, dass ich und viele meiner Bekannten beschließen, Polen zu verlassen.“

„Wenn ich sehe, in welche Richtung sich Polen entwickelt, weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe“, erklärt Anna. „Ich will eine Facharztausbildung im Bereich Gynäkologie machen, und in Polen hätte ich Angst, dass ich durch ein Gesetz eingeschränkt werde, das nichts mit medizinischem Wissen und medizinischer Ethik zu tun hat. Ich denke auch daran, dass ich einigen Jahren Kinder haben werde, und im heutigen Polen würde ich mir Sorgen machen, dass sie – aufgrund der besonderen Rolle, die die katholische Kirche in Polen spielt – wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden könnten.“

Was müsste also getan werden, um junge polnische Ärzte im Land zu halten? Natalia sagt, dass es mehr Residenturen geben müsste und dass es möglich sein sollte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ohne in mehreren Krankenhäusern gleichzeitig zu arbeiten. Und sie fügt hinzu: „Ich würde gern in Polen bleiben, denn ich habe hier meine Familie und meine Freunde. Ich würde auch gern polnische Patienten behandeln. Aber im Augenblick halte ich es für keine gute Entscheidung, hierzubleiben und Gefahr zu laufen, in ein paar Jahren einen Burnout zu erleiden.“

Anna ist sich nicht sicher, ob sich die Abwanderung polnischer Ärzte noch aufhalten lässt. „Die Gehälter für Assistenzärzte sind seit den Protesten geringfügig erhöht werden, und trotzdem verlassen viele Ärzte weiterhin das Land. In der gegenwärtigen politischen Situation denken viele junge Menschen, nicht nur Ärzte, darüber nach, ins Ausland zu gehen. Vor einigen Tagen erst schrieb mir eine polnische Bekannte, dass sie zwar eine Residentur erhalten habe, aber aufgrund der Vorfälle im vergangenen Jahr darüber nachdenke, mit ihrer Familie nach Deutschland zu ziehen.“

Auch die Überlastung des polnischen Gesundheitswesens durch die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass viele Ärzte nicht mehr in Polen arbeiten wollen. Nach einem Bericht der Wirtschaftsuniversität Krakau beabsichtigen 15 Prozent der polnischen Ärzte, nach dem Ende der Pandemie auszuwandern (9%) oder den Beruf zu wechseln (6%). Es gibt auch Ärzte, die nicht so lange warten wollen.

„Seit dem Beginn der Corona-Krise melden sich bei uns immer mehr Ärzte, die Polen gern verlassen würden“, sagt Sylwia Bryzek. „Es gibt jedoch immer weniger Stellenangebote, manche Einstellungsverfahren wurden aufgrund der Pandemie vorläufig zurückgestellt. Gesucht werden vor allem Ärzte, die unmittelbar im Kampf gegen das Corona-Virus helfen können, wie Anästhesisten, Virologen und Laborärzte.“

Sylwia fügt hinzu, dass sie sich in ihrer Rolle als Headhunterin viel Kritik ausgesetzt sieht. „Die Menschen fragen mich: Wie kannst du uns die Ärzte wegnehmen? Dabei gehen sie in Wirklichkeit ins Ausland, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es ist ein schwieriger, verantwortungsvoller Beruf, und ich wundere mich nicht darüber, dass Menschen ihn unter normalen Bedingungen ausüben wollen. In Polen hält sich nach wie vor der Mythos, dass Ärzte Idealisten sein sollen, die ihre Patienten aus reiner Selbstlosigkeit behandeln.“

Einige Namen wurden auf Wunsch der Interviewten geändert.

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