Workshop
Wie soll falsch gemessen werden, damit alles übereinstimmt?

Kafkas Gaukelei
© Goethe-Institut

Kafkas Gaukelei - Eine Workshopsreihe von Grzegorz Jankowicz

Goethe-Institut Krakau

Am 23. Juni 1922 erreichte Franz Kafka mit dem Zug Plana, einen kleinen Kurort im Pilsner Land. Kafka wusste bereits, dass er aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung nicht mehr in den Beruf zurückkehren würde (genau eine Woche später wurde er offiziell mit einer Invalidenrente von 1.000 tschechischen Kronen pro Monat vorzeitig pensioniert). Ottla, seine geliebte Schwester, mietete für den Sommer ein Haus, in dem er sich ausruhen und an seinem dritten Roman arbeiten sollte, dessen Titel später „Das Schloss“ lautete. Mit der Arbeit daran hatte er sechs Monate zuvor in dem Bergkurort Špindlerův Mlýn begonnen. In den Monaten zuvor hatte er fast ununterbrochen geschrieben. Es schien, als würde Kafka dieses Mal bis zum Ende durchhalten, als würde er die Geschichte, die ihn den ganzen Winter und das Frühjahr hindurch wie ein Mantel wärmenden umhüllte
Und doch teilte er am 11. September seinem engsten Freund Max Brod brieflich mit, dass er die Arbeit an der "Geschichte des Schlosses" endgültig eingestellt habe. Die Mitteilung erfolgte schnell und sachlich, als ob es sich um etwas Unwichtiges oder Peinliches handelte. Im dritten Satz des langen Briefes schreibt Kafka, dass ihn eine "Panne" (er selbst verwendet Anführungszeichen, als wolle er den Ton des Wortes etwas auflockern oder, im Gegenteil, seine unheilvolle Bedeutung betonen) dazu veranlasst habe, genauer gesagt eine Reihe von Pannen, die ihn plötzlich überfielen und völlig aus dem Rhythmus brachten.
Was die Ursachen für diese wiederkehrenden Krisen waren, ist schwer zu ermitteln. Was man jedoch weiß, ist, was ihre Auslöser gewesen sein könnten: lärmende Kinder, ein Brief eines anderen Freundes Oskar Baum, Ottlas Entscheidung, am 1. September nach Prag zu ziehen und Kafka mindestens einen Monat lang allein zu lassen, und schließlich das Erklimmen der Treppe zu seinem Zimmer. Jedes dieser mehr oder weniger trivialen Ereignisse setzte einen destruktiven Prozess in Gang, dessen schwerwiegendste Folgen Schlaflosigkeit und Angstzustände waren. Der Brief ist etwas chaotisch, als ob Kafka ihn in Etappen geschrieben hätte (vielleicht war er nur aufgeregt und konnte seine Gedanken nicht sammeln?) An einer Stelle gesteht er, dass er das Gespenst der Einsamkeit nicht ertragen kann. Und er fügt sogleich hinzu, dass er auch ein anderes Gespenst, nämlich die ständige Anwesenheit eines Menschen, nicht ertragen kann. Schließlich taucht aus dem Chaos seiner Gedanken eine richtige Selbstdiagnose auf. In ihm schlummern drei Arten von Ängsten: die vor der Einsamkeit, die vor dem Verlust der Einsamkeit und die vor einem Zwischenzustand, nämlich einer Mischung aus jemands An- und Abwesenheit. Mit der letzteren kann man leben, die andere raubt einem den Atem.
Versuchen wir "Das Schloss" unter dem Aspekt dieses Briefes zu betrachten. Damit ist jedoch die Gleichsetzung des Autors mit der Hauptfigur nicht gemeint. Eine solche autobiografische Interpretation wäre zu einengend. Es geht vielmehr darum, "Das Schloss" unter folgenden Begriffen und den ihnen entsprechenden Zuständen: Angst und Einsamkeit zu betrachten. Der Protagonist des Romans, K., ist ein selbsternannter Landvermesser, da er ständig den Abstand zwischen sich und anderen messen muss. Der Abstand darf weder zu groß sein (denn dann wird der Protagonist von der Einsamkeit überfallen), noch zu klein (denn dann wird er von der Anwesenheit der anderen überwältigt). Der Zwischenzustand ist ein Versuch, einen vermittelten Kontakt aufrechtzuerhalten, dessen Brüchigkeit ihn beängstigend macht. „Bezeichnend ist es übrigens", schrieb Kafka in einem Brief an Brod, „dass mir in leeren Wohnungen so wohl ist, aber wohl nicht in ganz leeren, sondern in solchen, welche voll Erinnerungen an Menschen sind und vorbereitet für weiteres Leben, Wohnungen mit eingerichteten ehelichen Schlafzimmern, Kinderzimmern, Küchen, Wohnungen, in die früh Post für andere eingeworfen, Zeitung für andere eingesteckt wird. Nur darf niemand der wirklichen Bewohner kommen, wie es mir letzthin geschehen ist, denn dann bin ich schwer gestört."
Ist es möglich, aus diesem Teufelskreis der Angst auszusteigen? Ist es möglich, sich auf die ultimative Einsamkeit einzulassen oder ganz in einer Beziehung zu einem anderen Menschen zu verwurzeln? Was müsste geschehen, damit K. einfach im Dorf am Fuße des Schlossbergs leben könnte?

Das Projekt wird mit finanzieller Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit organisiert.

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Details

Goethe-Institut Krakau

ul. Podgórska 34
31-536 Kraków

Sprache: Polnisch

Preis: Eintritt frei.
Wir bitten vor dem Workshop den Roman „Das Schloss" von Franz Kafka zu lesen.

Elzbieta.Jelen@goethe.de
Diese Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe Kafkas Gaukelei.