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Berlinale BloggerInnen 2025
Die Berlinale: Zehn Jahre voller Erinnerungen

Presseausweis des Berlinale-Bloggers Ahmed Shawky über dem Programmheft der Berlinale 2014.
©Ahmed Shawky

Ahmed Shawky, Berlinale-Blogger für das RUYA-Magazin, hat eine besondere Beziehung zum internationalen Filmfestival Berlinale. Im Laufe von 10 Berlinales – zunächst als freiberuflicher Filmkritiker bis hin zum diesjährigen Jury-Vorsitzenden der International Federation of Film Critics (FIPRESCI) – hat er die Veränderungen und die Entwicklung des Festivals miterlebt und viele besondere Erinnerungen gesammelt. In seinem ersten Blog erzählt er uns davon.

Von Ahmed Shawky

Es war im Februar 2014, als ich zum ersten Mal die Berlinale besuchte und es war mein erstes großes internationales Festival. Später bereiste ich die Festivals von Cannes, Venedig, Toronto, Sundance und andere. Ich war auf fast jedem bekannten internationalen Festival. Bei meinem ersten Besuch in Berlin aber war ich derart unerfahren – und so naiv, dass ich heute darüber lache - dass ich mir ein Zimmer am Alexanderplatz buchte, allein aus meiner Verehrung für Rainer Werner Fassbinders berühmte Serie heraus, die den Namen dieses Platzes unsterblich machte.

Warum hatte ich nicht nach dem Festivalort gesucht und ein Hotel in der Nähe des Potsdamer Platzes ausgewählt? Das kann ich mir nicht mehr logisch erklären. Aber vielleicht konnte ich die Stadt durch diesen Fehler viel besser kennenlernen. Mit einem Hotel näher am Festival-Ort wäre ich nicht mit der Berliner U-Bahn gefahren, eine der visuellen Sehenswürdigkeiten Berlins, wie ich später feststellte, als ich die gewaltigen Hauptstadtbusse kennenlernte, mit ihren zahllosen Haltestellen an jeder Ampel, mit ihren Fahrern, die ihre Passagiere gerne mit unerwarteten Bremsmanövern überraschen. Dazu der Weg über die Museumsinsel, die Allee Unter den Linden, die schon Mustafa Lutfi al-Manfaluti für die Übersetzung von „Unter den Zitronenbäumen“ von Alphonse Karr wählte.

Der erste Berlinale-Abend


Mein Anfängerfehler bewahrte mich vor einer bei Festivalbesuchern verbreiteten Krankheit: Man verbringt eine Woche oder länger in einer Stadt um dann bei der Abreise festzustellen, dass man außer dem Kinosaal und dem Weg dorthin nichts davon zu sehen bekommen hat. Mich verband vom ersten Abend an ein besonderes Verhältnis zu Berlin. Ich ging auf die Straße und suchte den Weg zum Festivalort. Dann stellte ich fest, dass das Pressezentrum bereits geschlossen war. Also begab ich mich in den Friedrichstadt-Palast und kaufte mir am Schalter ein Ticket für Rachid Boucharebs „Two Men in Town“. Das war der erste von hunderten Filmen, die ich in Berlin sehen sollte und der einzige, für den ich Eintritt zahlen musste. Während der folgenden zehn Festivaldurchgängen verschaffte mir mein Akkreditierungsausweis als Journalist Zutritt zu den Berlinale-Filmen.

Die Berline während der Corona-Epidemie

Ich habe mich nicht verrechnet. Denn wenn man die Jahre zusammenzählt, muss man berücksichtigen, dass ich an 11 Durchgängen teilgenommen habe, aber aufgrund einer Erkrankung an Covid-19 vor der Berlinale 2022 nicht durchgängig vor Ort sein konnte. Die Berlinale 2020 besuchte ich, als das Virus gerade begann sich auszubreiten und bevor es zur Pandemie wurde. Nur wenige Tage nach dem Ende des Festivals und nach der Rückkehr ins Heimatland wurden dann Anfang März die Flughäfen geschlossen. Bei der Berlinale 2021 war ich virtuell anwesend. Es war irritierend, den Berlinale-Slogan vor den Filmen auf meinem heimischen Bildschirm zu sehen. Zuhause war es weniger kalt und deutlich ruhiger, aber etwas fehlte, ein Gefühl, dass mich erst wieder überkam, als ich wieder morgens zum Festivalpalast rennen konnte. Unvergessliche Erinnerungen

Ich erinnere mich an so viele Situationen und Momente, dass ich sie unmöglich alle in einem Artikel auflisten kann. Ich erinnere mich, wie beeindruckt ich von der unterschiedlichen Architektur von Kino International und den Bauten in der Karl-Marx-Allee im damaligen Ost-Berlin war. Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal an der Verleihung der Teddy Bear-Preise für queere Filme teilnahm und darüber staunte, wie offen alle mit dem Outing ihrer sexuellen Identität umgingen und stolz darauf waren. Kam ich doch aus einer Gesellschaft, die sehr konservativ ist, wenn es um das öffentliche Zeigen von Gefühlen und Neigungen geht.

Ich muss lächeln, wenn ich mich an Dieter Kosslick erinnere, den langjährigen Berlinale-Direktor, wie er mit Hut und Schal bekleidet durch die Straßen rund um den Festivalpalast spazierte und für alle ein Lächeln übrig hatte. Kosslick war derart gut darin, den mit seinem Job verbundenen Stress zu überspielen, dass er auf mich immer wirkte, als sei er im Urlaub und genieße das Festival, anstatt die enorme Verantwortung zu schultern, die die Leitung eines Festivals dieser Größenordnung mit sich bringt. Ich erinnere mich, wie ich zu einem abendlichen Festessen zu Ehren des großen ägyptischen Kritikers Samir Farid eingeladen war, bei dem Kosslick ihm die Berlinale-Kamera für sein Gesamtwerk an kulturellen Beiträgen überreichte. Ich bedauere die Schließung des prächtigen CineStar-Komplexes, die einen großen Verlust für die Berlinale bedeutete. Damit verbunden sind auch die Erinnerungen an die Kneipe Billy Wilder, in der so manches abendliche Treffen mit Filmemachern, Journalisten und Freunden aus aller Welt stattfand.

Weniger betrauere ich die Schließung des benachbarten Arkaden-Einkaufszentrums. Sein inneres Design wurde verändert und es heißt nun Potsdamer Platz. Ich schwelge in nostalgischen Erinnerungen an das alte Design, stelle aber fest, dass das neue schöner und funktionaler ist.

Was die Filme angeht, so könnte ich ewig davon erzählen. Es reicht nicht aus, Dutzende großartiger Werke zu erwähnen, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben: „Boyhood“ von Richard Linklater, ‚„The Pearl Button“ von Patricio Guzmán, „Victoria“ von Sebastian Schipper, „On Body and Soul“‘ von Ildikó Enyedi und viele weitere Momente, in denen man das Kino verlässt und Geist und Emotionen noch von dem gerade Gesehenen in Beschlag genommen sind.
Berliner U-Bahn 2018.

Berliner U-Bahn 2018. | ©Ahmed Shawky

Die Berline steckt voller erfreulicher Überraschungen

Es war ein weiter Weg von einem jungen Mann, der zum ersten Mal nach Berlin kommt und eine halbe Stunde von seinem täglichen Ziel entfernt wohnt, zu einem Kritiker, der schon so viele Durchgänge besucht hat, dass er behaupten kann, das Festival gut zu kennen. Ein Weg, der gepflastert ist mit Erinnerungen, Filmen und Freundschaften und eine Persönlichkeit, die sich im Laufe der Jahre verändert und viel von ihrer Unschuld verloren hat. Unverändert geblieben sind dagegen die Aufregung vor jeder neuen Berlinale und die Vorfreude auf die neuen Erinnerungen, die dabei entstehen werden.

Inzwischen habe ich zehn Durchgänge als Journalist besucht und komme nun zu meiner elften Berlinale in einer Doppelfunktion als Jury-Vorsitzender der International Federation of Film Critics (FIPRESCI) und gleichzeitig als Journalist und Kritiker. Ich bin bereit für den neuen Berlinale Durchgang, von dem ich weiß, dass er, wie schon in den vergangenen Jahren gewohnt, voller erfreulicher Überraschungen sein wird.

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