Straßenfotografie in Deutschland ist eine knifflige Sache: Sind Passanten im Bild, kann sich der Fotograf schnell vor Gericht wiederfinden. Der Jurist Thomas Schwenke erklärt, welche Aufnahmen erlaubt sind.
Herr Schwenke, in Deutschland wird heute mehr denn je mit Smartphones fotografiert. Dabei geraten schnell fremde Menschen aufs Bild. Ist das rechtlich ein Problem?
Rein rechtlich betrachtet passieren andauernd Rechtsverletzungen, etwa Verletzungen des Persönlichkeitsrechts bei Snapchat. Solche Verstöße werden aber sehr selten zur Anzeige gebracht. Probleme gibt es nur bei Extremsituationen, etwa wenn jemand in der Sauna fotografiert oder Leute am Strand filmt.
Eine Einwilligung ist erforderlich
In Berlin hat Espen Eichhöfer, Fotograf der renommierten Bildagentur Ostkreuz, eine Passantin im Leopardenmantel auf der Straße abgelichtet. Die Abgebildete sah dies als Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild und hat gegen die Veröffentlichung geklagt. Laut Gerichtsbeschluss darf er das Foto nicht ausstellen. Zudem muss er die Abmahnkosten übernehmen. Welche Gesetze sollte ein Street Photographer kennen und beachten?
Dr. Thomas Schwenke
| Foto (Ausschnitt): © Nils Wiemer Wiemers
Da ist zunächst Paragraf 22 des Kunsturhebergesetzes: Diese Vorschrift entstand 1907, nachdem zwei Fotografen Reichskanzler Otto von Bismarck im Sterbezimmer fotografiert haben. Paragraf 22 verbietet es, Aufnahmen von Menschen ohne deren Einwilligung zu veröffentlichen oder zu verbreiten, wenn die abgebildeten Personen erkennbar sind – und das ist sehr schnell gegeben, etwa durch einen markanten Haarschnitt oder ein Tattoo. Eine Einwilligung ist aber nicht nur erforderlich, wenn ein Profi das Bild ausstellt oder in die Zeitung setzt, sondern auch wenn ein Hobbyfotograf das Motiv an einige WhatsApp-Freunde schickt.
Nun lebt die Straßenfotografie davon, dass Situationen sehr schnell erfasst und natürlich auch veröffentlicht werden. Schränkt Paragraf 22 nicht die künstlerische Freiheit erheblich ein?
Die Ausnahmen sind in Paragraf 23 geregelt: Wenn Fotografierte lediglich „Beiwerk“ sind, Teil der Umgebung – etwa auf einem Landschaftsfoto – darf das Bild veröffentlicht werden. Doch im Fall Eichhöfer ist die Dame eben nicht „Beiwerk“, sondern macht gerade diese Aufnahme aus. Eine weitere Ausnahme sind öffentliche Ereignisse, also Menschen auf Bühnen oder bei Demonstrationen. Wie bei Herrn Eichhöfer können sich Fotografen auch auf ein höheres Interesse der Kunst berufen. Doch selbst im Namen der Kunst darf die Privatsphäre einer Person nicht verletzt werden. Trauernde ungefragt auf einem Friedhof zu fotografieren ist nicht erlaubt – auch wenn das ein starkes Motiv für eine Ausstellung wäre. Ob möglicherweise das Recht des Künstlers gegenüber den Persönlichkeitsrechten der Fotografierten überwiegt, wird im Einzelfall entschieden. Es ist teilweise wirklich sehr schwer, diese Abgrenzung vorzunehmen. Ein Street Photographer muss schnell einschätzen können: Was fotografiere ich, welche rechtliche Lage liegt vor? Und es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Nach dem Gesetz kann sogar schon das Fotografieren selbst verboten sein, wenn die Aufnahme stark in die Privatsphäre oder sogar Intimsphäre eingreift.
Eine Person davor schützen, dass ihre Hilflosigkeit zur Schau gestellt wird
Mit solchen Persönlichkeitsverletzungen durch Fotos beschäftigt sich auch Paragraf 201a des Strafgesetzbuchs. Dieser wurde im Jahr 2015 verschärft. Worauf bezieht er sich?
Paragraf 201a bezieht sich auf besondere Verletzungen des höchstpersönlichen Lebensbereichs, etwa wenn jemand in seiner Wohnung fotografiert wird, oder in einer Umkleidekabine. Das kann auch mein Garten sein, um den ich eine hohe Hecke gezogen habe, weil ich mich dort gerne nackt sonne – und dann fliegt eine Drohne drüber und fotografiert mich.
Warum wurde der Paragraf verschärft?
2015 hat man ihn ergänzt, unter anderem um eine Person davor zu schützen, dass ihre Hilflosigkeit zur Schau gestellt wird. Denken Sie an Unfallopfer, die von Gaffern fotografiert werden. Gerade im Internet kursieren häufig Bilder, mit denen man sich über Missgeschicke anderer Personen lustig macht. Noch ein weiterer Absatz ist in Paragraf 201a hinzugekommen: Freiheitsstrafen oder Geldstrafe drohen demjenigen, der mit einer Aufnahme dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich schaden kann. Allerdings ist das weit gefasst: Was kann dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich schaden? Vielleicht wenn dieser Mensch füllig ist und sich ungelenk beim Tanzen verhält? Solche Streitfälle existieren bislang kaum, weil die Regelungen neu sind. Grundsätzlich muss ein Fotograf heutzutage sehr vorsichtig sein.
Straßenfotografen nutzen auch Drohnen, die hervorragende Luftbilder produzieren. Was geschieht, wenn damit unbeabsichtigt Persönlichkeitsrechte verletzt werden?
Der Rechtsverstoß muss vorsätzlich begangen werden. Wenn ich sofort abdrehe und glaubhaft sagen kann: „Oh, ich wusste gar nicht, dass Sie da unbekleidet im Garten liegen“, dann werde ich deswegen nicht bestraft.
Das Netz der Kameras wird lückenloser
Sind die deutschen Vorschriften im internationalen Vergleich besonders hart?
Wir liegen da im Durchschnitt. All diese Vorschriften sind zumindest in westlichen Ländern Teil einer übereinstimmenden Auffassung. Weil der Schutz der Privatsphäre nicht nur in Deutschland existiert, entsprechen die Vorschriften denen in anderen Ländern. In Großbritannien oder in den USA wird allerdings eher anhand konkreter Fälle entschieden, ob eine Rechtsverletzung vorliegt.
Rund 50 Millionen Smartphone-Nutzer gibt es bereits in Deutschland, Millionen Menschen haben rund um die Uhr eine Kamera bei sich. Welche Entwicklung zeichnet sich ab?
Vermutlich wird man über kurz oder lang davon ausgehen müssen, auf der Straße potenziell fotografiert oder gefilmt zu werden. Heute haben Mini-Drohnen, Datenbrillen und jedes Auto eine eingebaute Kamera – das Netz der Kameras zieht sich immer weiter zu und wird immer lückenloser.
Dr. Thomas Schwenke ist Rechtsanwalt in Berlin. Er berät Unternehmen, Agenturen oder Portalbetreiber zu Fragen des Datenschutzes, des Urheber- und Markenrechtes sowie des Rechts im Social-Media-Marketing. Neben seiner Anwaltstätigkeit hält er Vorträge zu diesen Themen, hat Bücher veröffentlicht und bloggt dazu.