Zwei Tage setzten sich Autoren, Wissenschaftlerinnen, Journalisten und Studentinnen auf der Konferenz „European Angst“ mit Populismus, Extremismus und zunehmender Europaskepsis auseinander. Eine Tagung des Goethe-Instituts Brüssel, die hoffen lässt.
Als im April 2016 die Vorbereitungen für die Konferenz European Angst begannen, hätten die Initiatorinnen Cristina Nord, Leiterin des Kulturprogramms Südwesteuropa, und Susanne Höhn, Leiterin der Region Südwesteuropa des Goethe-Instituts, einige politische Ereignisse des laufenden Jahres kaum für möglich gehalten: Weder den Brexit noch die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Doch schon damals, im Frühjahr, spürten sie ein bedrohliches Gefühl im Herzen Europas: Angst. Genauer: Die Sorge, das Friedenswerk Europa könne zerfallen, die Furcht, die Grundlagen des Zusammenlebens könnten in Frage gestellt, die gemeinsamen Werte pervertiert werden.
Europa ist kein Schmelztiegel
Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts.
| Foto: Caroline Lessire
Auf zwei intensiven Konferenztagen spürten nun die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz dieser Besorgnis nach, stellten Fragen und suchten Antworten. Europa, so erklärte Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts, in seiner Eröffnungsrede sei kein „Schmelztiegel“, der Profile und Konturen der einzelnen Länder homogenisiere. Viel eher gleiche Europa einem „Mosaik“, gefasst von einer gemeinsamen europäischen Verantwortung und getragen von einem Fundament aus Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Vor etwa 1.000 Zuhörerinnen und Zuhörern im Brüsseler Kunst- und Kulturzentrum Bozar trafen Autorinnen, Intellektuelle, Wissenschaftlerinnen und Journalisten verschiedener Nationalitäten in vier Diskussionsrunden aufeinander. Sie analysierten die Ursachen von Extremismus, dachten über Gründe für Rassismus nach, über die Rolle der Medien und über die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, dem Extremismus zu begegnen. Die zum Teil konträren Überlegungen wurden ergänzt und hinterfragt durch Kommentare von 42 Studentinnen und Studenten aus aller Welt, die an europäischen Universitäten studieren.
Studentinnen und Studenten aus aller Welt diskutierten mit.
| Foto: Caroline Lessire
Nicht nur Symptome heilen
Eine Grundtendenz der Konferenz kristallisierte sich schnell heraus: Man müsse den erreichten Status Quo hinterfragen und den Menschen besser zuhören, um sich gegen Populismus und rechte Tendenzen zu wappnen.
Johannes Ebert, der Generalsekretär des Goethe-Instituts, sprach auf der Konferenz.
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Der französische Philosoph Didier Eribon etwa beklagte die Ignoranz der „herrschenden Klasse“, die sich für das Leben des Volkes nicht zu interessieren scheine. Die Leute misstrauten den arrivierten Politikern, und viele wählten in Frankreich den Front National, „um endlich gehört zu werden“, so Eribon.
Der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoij Žižek erklärte, dass man die Gründe für die Unzufriedenheit anpacken müsse, nicht nur versuchen, die Symptome zu heilen. Für ihn sei der erste Schritt zuzugeben, dass man keine klare Antwort auf die derzeitigen Entwicklungen habe, für die wachsende Europaskepsis, den Populismus und den Extremismus.
Béatrice Delvaux, Vladimira Dvorakova und Didier Eribon.
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Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit
Die Freiheit, seine Meinung über Politiker oder gegen Missstände zu äußern, ohne Repressionen fürchten zu müssen, oder die Freiheit zu reisen, sind keine Selbstverständlichkeiten. Dies betonten zum Beispiel die Politologin Vladimira Dvoráková und der Journalist Martin Ehl aus Tschechien, sowie der polnische Journalist Łukasz Warzecha.
Der Umstand, dass der syrische Filmemacher und Schauspieler Firas Alshater nur per Video-Übertragung mit dem niederländischen Soziologen Paul Scheffer im Bozar diskutieren konnte, verdeutlicht, dass diese Freiheit nicht vorausgesetzt werden darf: Alshater war vor drei Jahren als Migrant von Syrien nach Berlin gekommen, sein derzeitiger Status lässt selbst eine kurze Ausreise aus Deutschland nicht zu. Wie er sich denn als Migrant in Europa fühle, fragte ihn Moderatorin Isolde Charim und bekam die Antwort: „Ich habe mir nicht ausgesucht, Migrant zu sein.“ An einem völlig fremden Ort neu anzufangen und eine fremde Sprache zu lernen, sei schwierig, ergänzte Alshater, der unter dem Künstlernamen Zukar in humorvollen YouTube-Clips erzählt, was er in Deutschland erlebt. Diese Videos haben ihn bekannt gemacht.
Verachtung für das Fremde
Herta Müller
| Foto: Caroline Lessire
Immerhin: In Berlin kann Alshater offen sagen, was er fühlt und denkt. Wie wertvoll das Recht auf freie Meinungsäußerung ist, führte die Autorin Herta Müller am ersten Abend der Konferenz aus. Die Nobelpreisträgerin erinnerte an die Grausamkeiten der rumänischen Diktatur, die Geheimdienste und die jahrzehntelange Fremdenfeindlichkeit in Osteuropa. „Es ist die Xenophobie von damals, mit der wir es heute zu tun haben“, sagte sie. „Die Verachtung der Fremden entstand damals in der Diktatur.“ Eine Erklärung, die in der nahen Vergangenheit zu suchen ist, einer Vergangenheit, von der viele annahmen, dass sie mit der Öffnung der Grenzen überwunden sei.
Was ist Populismus?
Was aber heißt Populismus eigentlich genau? Und welche Auswirkungen hat er auf eine Gesellschaft? Populisten, das seien jene, die bestimmten, wer dazugehöre oder nicht, wer „in“ oder „out“ sei, sagte Politikwissenschaftlerin Vladimira Dvoráková. Wenn aber die Gesellschaft einer solchen Einteilung folge, befördere sie Ausgrenzung und Diskriminierung und fiele im Endeffekt auseinander. „Wir haben viele Identitäten.“ Darüber waren sich Dvoráková, die türkisch-britische Schriftstellerin Elif Shafak und Slavoj Žižek einig. Bestimmt seien diese von Faktoren wie der Familiengeschichte, den Sprachen, die man spricht, der Ausbildung, der Religion, dem Geschlecht, der Wahl des Partners und vielem mehr.
Nach vielen Stunden intensiver Auseinandersetzung, bleibt besonders das emotionale Plädoyer einer Studentin im Gedächtnis. Sie rief dazu auf, mutig zu sein, die Angst zu überwinden und zu kämpfen für ein friedliches, vereintes Europa.
Klaus-Dieter Lehmann, Susanne Höhn und Paul Dujardin, der Leiter des BOZAR.
| Foto: Caroline Lessire
Von Sabine Buchwald