Kunst und Klima
„berlin modern”. Ein Museum in Zeiten der Klimakrise
„Wenn dieser Planet wegen des Klimawandels in hundert Jahren nicht mehr von Menschen bevölkert werden kann, dann braucht es auch keine Museen und Kunstwerke mehr“, erklärte Prof. Dr. Stefan Simon, der Direktor des Rathgen-Forschungslabors, 2021 in einem Interview mit der ZEIT. Auf diese Weise kommentierte einer der führenden deutschen Konservierungswissenschaftler die Pläne zum Bau des Museums des 20. Jahrhunderts in Berlin. Das Projekt des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron bezeichnete er als „Klimakiller“.
Von Magda Roszkowska
Prolog
Das Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts existiert seit 1968 in Berlin. Die Neue Nationalgalerie wurde von dem deutsch-amerikanischen Architekten Mies van der Rohe entworfen. Die Stahl- und Glaskonstruktion, die zu den Ikonen der Klassischen Moderne zählt, ist Teil des Kulturforums Berlin, das mehrere Museen, Bibliotheken, wissenschaftliche Institute und Musiksäle umfasst. Die Lage des Kulturforums in der Nähe Potsdamer Platzes hatte in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine symbolische Bedeutung. Bis 1989 war der Platz durch die Berliner Mauer geteilt – das Kulturforum war das Zentrum der zeitgenössischen Kultur in West-Berlin.Im Laufe der Jahre erwies sich der Glaspavillon der Neuen Nationalgalerie jedoch als zu klein, um die umfangreiche Sammlung mit Schlüsselwerken der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu präsentieren: Von der etwa 5000 Arbeiten umfassenden Sammlung, zu der auch Schenkungen und langfristige Leihgaben von Sammlern wie Erich Marx sowie Ulla und Heiner Pietzsch gehören, konnten maximal 172 Werke gezeigt werden.
2013 verkündete die Stiftung Preußischer Kulturbesitz also ihre Pläne zum Bau eines neuen Museums für zeitgenössische Kunst: das Museum des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich sollte das Gebäude hinter der Neuen Nationalgalerie entstehen, doch diese Lage missfiel dem privaten Kunstsammler Heiner Pietzsch. Er forderte eine prestigeträchtigere Lage und machte die Schenkung seiner Sammlung von dieser Entscheidung abhängig. Die Öffentlichkeit fragte sich, wieso sich die Stadt von einem privaten Kunstsammler vorschreiben ließ, wo sie ihr Museum zu bauen habe – schließlich steigere eine öffentliche Ausstellung der Sammlung noch zusätzlich den Wert der in ihr enthaltenen Kunstwerke (von denen viele bereits langfristig an das Land Berlin verliehen worden waren). Doch die Sammlung der Familie Pietzsch ist außergewöhnlich: Sie umfasst hochkarätige Werke des Surrealismus in Paris und des Abstrakten Expressionismus der New Yorker Schule, darunter Werke von Max Ernst, René Magritte, Joan Miró, Salvador Dalí, Jackson Pollock, Mark Rothko, aber auch Frida Kahlo und Diego Rivera. Dem Einspruch des Sammlers wurde also stattgegeben und der Standort des Museums auf den Platz zwischen der Neuen Nationalgalerie, der Philharmonie und der neoromanischen St.-Matthäus-Kirche verlegt. Der Auftrag zum Bau des Museums des 20. Jahrhunderts ging 2016 an die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die zuvor bereits so ikonische Gebäude wie das Tate Modern in London, die Elbphilharmonie in Hamburg, das Nationalstadion Peking und das Museum M+ in Hong Kong entworfen hatten.
1. Akt: Ein Haus für alle
Ursprünglich wurden die Kosten des Projekts auf 130 Millionen Euro veranschlagt. Später war von 200 Millionen und schließlich von 400 Millionen Euro die Rede. Die Schweizer Architekten erklärten, das Projekt erfordere ein weiteres Untergeschoss und eine aufwändige Klimatechnik, um eine konstante Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit zu gewährleisten. Zum Vergleich: Das vor Kurzem eröffnete Museum für Moderne Kunst in Warschau kostete lediglich 136 Millionen Euro.Als der Entwurf veröffentlicht wurde, wurde er von Kunstschaffenden und Regierenden als „Museum der Zukunft“ gefeiert. Die Berliner Bürger waren weniger begeistert und verspotteten das geplante Objekt als Scheune, Bierzelt oder Lagerhalle. Denn der Entwurf der Schweizer Architekten sah eine für ein Museum ungewöhnliche Form vor: ein Flachbau mit einem großen Satteldach und einer breiten Stahl- und Glasfassade, die dem Gebäude der Neuen Nationalgalerie zugewandt ist. Im Innenraum des Gebäudes sollten zwei sich kreuzende Boulevards das ganze Museum durchziehen, die Ausstellungsräume sollten ohne Wände und Türen in diese übergehen, sondern lediglich durch eine Art Luftschleier voneinander getrennt werden. Der Entwurf sah eine räumliche Öffnung nicht nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Richtung vor – bis unter das teils lichtdurchlässige Dach. Das neue Museum sollte ein „Haus für alle“ werden und kein elitärer Kunsttempel für „Eingeweihte“, die ein besonderes Wissen und ein Verständnis für Formen des künstlerischen Ausdrucks besitzen. Dem Mythos des Geheimen setzten Jacques Herzog und Pierre de Meuron eine absolute Transparenz entgegen. Die Stahl- und Glasfassade sollte den Besucher in den weiten Innenraum einladen, in dem sich neben der Ausstellungsfläche auch ein Restaurant, ein Lesesaal sowie Räume für Vorlesungen, Seminare und Workshops befinden würden.
2019 erfolgte der erste Spatenstich für den Bau des Museums des 20. Jahrhunderts, im Beisein des damaligen Berliner Bürgermeisters Michael Müller, der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters und des Architekten Jaques Herzog. Doch das Museum des 20. Jahrhunderts sollte so nie gebaut werden.
2. Akt: Stoppen Sie diesen Bau!
Die erste mediale Bombe platzte 2021, als der Direktor des Rathgen-Forschungslabors, das mit der Konservierung der Exponate sämtlicher Berliner Museen betraut ist, das Objekt als einen „Klimakiller“ bezeichnete. Prof. Dr. Stefan Simon versucht seit vielen Jahren, Konzepte für „grüne Museen“ voranzutreiben – Museen, die nicht nur Kunst ausstellen, sondern auch energetisch und ökologisch nachhaltig sind.Das ist keine einfache Aufgabe, denn Museen und Galerien sind regelrechte Energiefresser und verursachen erhebliche CO2-Emissionen. Nicht nur, weil sie ihre Exponate um die ganze Welt transportieren, sondern auch, weil die Temperatur und Luftfeuchtigkeit in Ausstellungsräumen – unabhängig von den äußeren Bedingungen – auf einem gleichmäßigen Niveau gehalten werden muss. Schon kleine Schwankungen können den Kunstwerken Schaden zufügen. Auch die Konservierung der Werke schadet der Umwelt. Ein weiteres Problem von Museen ist ihr Baustoff: Bei der Produktion von Beton entstehen große Mengen CO2. Stefan Simon verweist auf ein interessantes Paradoxon traditioneller Ausstellungsräume: Wir bauen Museen, um Kunstwerke über die Jahrhunderte für zukünftige Generationen zu bewahren, gleichzeitig zerstören wir durch den Bau und die Erhaltung dieser Museen die Lebensbasis ebendieser Generationen. Die Pläne zum Bau des Berliner Museums des 20. Jahrhunderts seien laut Stefan Simon ein Beispiel für ein solches Handeln. Der Entwurf sah vor, dass drei der vier Fassaden aus Beton bestehen sollten. Zusätzlich verschlinge die Klimatisierung der riesigen, offenen Ausstellungsräume Unmengen an Energie: rund 450 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, also ungefähr dreimal so viel wie in Museen, die bereits im 19. Jahrhundert erbaut wurden. Der Bundesrechnungshof bestätigte im Rahmen seines Prüfverfahrens die von Stefan Simon veröffentlichten Ergebnisse.
Die zweite mediale Bombe platzte ein Jahr später, als der Konflikt durch die gesellschaftspolitischen Bedingungen und die internationale Lage drastisch verschärft wurde. Im Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine, und die EU verhängte Sanktionen gegen russisches Gas. Die Energiepreise stiegen erheblich an, und der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen und die grüne Energiewende wurden zur obersten Priorität. Die Journalisten der ZEIT, die dem Projekt von Beginn an kritisch gegenüberstanden, forderten einen zeitweiligen Baustopp. Auch der britische „Guardian“ und das Architekturmagazin „Dazeen“ äußerten ihre Vorbehalte gegen das teure und umweltschädliche Projekt. Und sogar die neue Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth, räumte ein, dass Änderungen an dem geplanten Gebäude notwendig seien. Schließlich genehmigte der Deutsche Bundestag zusätzliche 9,9 Millionen Euro für eine Überarbeitung der Entwürfe. Auch die Architekten selbst reagierten auf die mediale Katastrophe und versprachen Änderungen. Der Gerechtigkeit halber muss erwähnt werden, dass viele andere ihrer Projekte eine Reihe von ökologisch nachhaltigen Lösungen beinhalten – bei der Ausschreibung zum Bau des Museums des 20. Jahrhunderts hatte der Nachhaltigkeitsgedanke jedoch offensichtlich keine Rolle gespielt.
3. Akt: Ein Haus für zukünftige Generationen
Im April 2023 wurde der überarbeitete Entwurf veröffentlicht. Auf dem Dach des Gebäudes soll eine Photovoltaikanlage von etwa 4.000 Quadratmetern installiert werden – damit wird das Museum schon bei seiner Eröffnung den Energieeffizienzstandard EGB 55 einhalten, der erst ab 2045 gelten wird. Für die Fassade sind nun Klinker ohne Beton anstelle der ursprünglich geplanten Beton-Klinker-Fertigteile vorgesehen. Zusätzlich sollen Recyclingmaterialien sowohl beim Beton, bei den Fassadenziegeln als auch beim Bodenbelag im Außenbereich eingesetzt werden. Durch die Anpassung der musealen Klimaanforderungen und die Entscheidung zur Integration energieeffizienter Heiz-Kühl-Böden konnte der Energiebedarf für die Klimatisierung um rund 20 Prozent reduziert werden. Um das Gebäude herum sollen zusätzliche Grünstreifen mit biodiverser Bepflanzung in unterschiedlichen Höhen entstehen, die zu einer Verbesserung des Mikroklimas beitragen und auch künftigen Klimaextremen standhalten können. Die Grünstreifen sollen unter anderem über Zisternen mit Regenwasser bewässert werden.Zusätzlich wurden auch die Flächen für soziale Interaktion erweitert: um ein Café, einen Biergarten und einen Buchladen. Außerdem soll es mehr ticketfreie Ausstellungsbereiche geben – ganz im Sinne eines „offenen Hauses für alle“. Die Baukosten sind inzwischen auf 450 Millionen Euro gestiegen. Die bauliche Fertigstellung des Gebäudes ist für 2027 vorgesehen.
Die vehementesten Kritiker des Projekts sind nach wie vor der Meinung, dass es am ökologisch sinnvollsten wäre, ganz auf das Museum zu verzichten.