In vielen Museen sind Arbeiten von Beuys zu sehen. Eigentlich könnte man sie sehen, wenn nicht das Coronavirus im Beuys-Jahr 2021 den Zugang zu seinem Werk verhindern würde. Aus diesem Grund hat das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit dem kuratorischen Team aus Düsseldorf und Berlin eine virtuelle Ausstellung vorbereitet.
Von Christoph Bartmann
Am 12. Mai dieses Jahres wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Beuys, der Zeichner, Bildhauer, Aktionskünstler und Akademielehrer, der Schamane und Parteigründer, den man selten ohne Filzhut und Anglerweste sah, war neben Andy Warhol wohl die ikonische Gestalt der Kunst nach 1945. Nach seinem Tod 1986 wurde es stiller um Beuys. Er hatte zwar noch immer seine Schüler und Jünger, doch in den Zeiten des heiß laufenden Kunstmarkts wirkte seine Position seltsam romantisch und idealistisch, wie aus der Zeit gefallen. Heute aber scheint es, als würde eine neue Generation Beuys wiederentdecken. Beuys, der Künstler-Aktivist, der Kritiker des Kapitals, der Heiler und heterodoxe Lehrer – das sind Motive, die den Mann aus Kleve am Niederrhein anschlussfähig machen für Haltung der neueren Kunst. Wäre etwa eine Figur wie Christoph Schlingensief vorstellbar ohne das Beispiel Beuys? Dass Beuys dabei umstritten ist und bleibt, hätte ihn sicher am wenigsten gestört.
Virtuelle Galerie
Für uns bietet der 100. Geburtstag den Anlass, Beuys‘ Werk und Erbe auch hierzulande in Erinnerung zu rufen. Zu Polen unterhielt Beuys eine besondere Beziehung. 1981 fuhr er mit Frau und Tochter im Transporter nach Lodz, auf dem Autodach eine Holzkiste mit tausend eigenen Werken, die er dem Muzeum Sztuki überließ. „Polentransport 1981“ hieß die Aktion, ein gutes Beispiel für die Beuys-typische Mischung aus Idealismus und Tatkraft. In Lodz und vielen anderen Museen der Welt kann man Arbeiten von Beuys sehen – oder man könnte sie sehen, wenn nicht die Pandemie im Beuys-Jahr 2021 den Zugang zu seinem Werk verhindern würde. Wir haben uns deshalb für eine virtuelle Galerie entschieden. In Zusammenarbeit mit dem kuratorischen Team von „Beuys2021“ in Düsseldorf und dem Berliner AR-Startup ZAUBAR präsentieren wir „Beuys verstehen“, einen immersiven Rundgang durch Beuys‘ Werk. Zu sehen und virtuell zu begehen sind einige seiner bekanntesten Arbeiten, etwa „Schlitten“, „Das Kapital“ oder „7000 Eichen“, Beuys‘ berühmte Pflanz-Aktion auf der Documenta 1982 in Kassel. Die virtuelle Ausstellung wird eingerahmt von Vorträgen der Beuys-Experten Eugen Blume und Wolfgang Zumdick, Gesprächen (Andres Veiel, Regisseur des Dokumentarfilmes „Beuys“, spricht mit der Beuys-Weggefährtin Rhea Thönges), Filmen sowie beuys-bezogenen Aktionen von Studierenden der Warschauer Kunstakademie.
Lebensthema Transformation
„Ich bin interessiert an Transformation, Veränderung, Revolution“, hat Beuys Ende der sechziger Jahre einem amerikanischen Interviewpartner gesagt – eine von vielen einprägsamen Beuys-Sätzen, die das Nachdenken lohnen (andere Beispiele: „Jeder Mensch ist ein Künstler“; „Ich kenne kein Weekend“; „Demokratie ist lustig“ oder „Die Ursache liegt in der Zukunft“). Unser Beuys-Zyklus will auch vermitteln, was Beuys mit Transformation gemeint haben könnte. Von Hause aus war Beuys Katholik – er wusste, was in der Messe die Wandlung bedeutet. Das Motiv der Transsubstantiation beschäftigte ihn zeitlebens, Stoffwechsel- und Wärmeprozesse auf Basis seiner Lieblingsmaterialien Fett und Filz leiten sein künstlerisches Tun und Denken. Beuys‘ erweiterter Kunstbegriff transformiert seine individuellen Mythologien ins gesellschaftliche Ganze. Veränderung und Revolution sollen gelingen mit einer neuen Ökonomie und Ökologie, wie sie durch Prozeduren der Kunst – aber einer Kunst von Allen – vorbereitet wird. Man wird Beuys nicht gerecht, wenn man ihm politische Naivität vorhält. Im Gegenteil: Wenige Künstler haben das Versprechen einer politischen Kunst so nachhaltig eingelöst wie Joseph Beuys.