Waldfriedhöfe
„Gestecke sind hier nicht erlaubt, denn sie passen nicht in die natürliche Umgebung des Waldes“
Manche möchten die Asche ihrer Angehörigen in der Nähe der Hauptwege bestatten, weil sie schon alt sind und nicht durch den ganzen Wald laufen wollen, um ihre Liebsten zu besuchen. Andere wiederum bevorzugen Intimität und Stille. Sie möchten gern inmitten der Natur und in aller Abgeschiedenheit Zeit mit ihren verstorbenen Angehörigen verbringen. Sie bringen Decken und Bücher mit und verbringen hier mehrere Stunden. Und wieder andere kommen mit der ganzen Familie und veranstalten ein Picknick. Sie machen Selfies von sich und dem Baum und vergleichen sie mit früheren Aufnahmen, um zu sehen, ob er bereits gewachsen ist.
Von Dorota Salus
„Harald wollte keine offizielle Bestattungszeremonie. Er mochte keine großen Reden“, erzählt Lars, ein Musiker und Lehrer aus Lüneburg, der vor etwa einem Jahr an einer Waldbestattung teilnahm. „Wir fuhren mit einer Gruppe von neun Freunden nach Barendorf, das nur etwa acht Kilometer von Lüneburg entfernt ist. Von der Familie war niemand anwesend. Ein Mitarbeiter des Friedhofs übergab uns die Urne, und wir gingen gemeinsam zu dem Baum, unter dem wir die Asche unseres Freundes beisetzen wollten“, berichtet Lars.
In der Erde war bereits ein Loch ausgehoben, das mit einem Stück Holz zugedeckt und mit Nadelzweigen geschmückt war. „Wir hatten vorher festgelegt, dass wir uns allein von ihm verabschieden wollten, ohne einen Trauerredner“, erinnert sich Lars. Als die Freunde im Kreis um das Grab standen, erzählte jeder von ihnen etwas über seine Beziehung zu Harald und schilderte einige gemeinsame Erlebnisse. „Das war sehr schön. Die Worte kamen von Herzen, ohne Steifheit und Zeremonie. Einfach eine gemeinsame Aktion von Freunden für einen Freund“, erzählt Lars. Anschließend öffneten sie eine Flasche Wein und brachten einen Toast auf den Verstorbenen aus. „Denn Harald war ein großer Weinliebhaber. Außerdem liebte er die Geselligkeit und das Leben. Er war kein gewöhnlicher Mensch. Diese Zeremonie passte zu ihm“, erklärt Lars und fügt hinzu: „Harald hatte sich selbst für diese Art der Bestattung entschieden. Unter anderem auch, weil er seine Angehörigen nicht mit der Grabpflege belasten wollte.“
Ob Lars sich darüber wundert? Kein bisschen. Bei traditionellen Bestattungen hatte er immer das Gefühl, dass all die Grabsteine, Kränze, Grablichter und Rituale im Grunde überflüssig sind. „Die Verstorbenen leben nicht in den Grabsteinen weiter, sondern in unseren Erinnerungen, in unseren Herzen. Und darauf würde ich mich gern konzentrieren“, resümiert Lars. Auch er selbst würde nach seinem Tod gern auf einem Waldfriedhof bestattet werden.
Buchen statt Grabsteine
Aus dem Wald kommen mir ein paar Pilzsammler mit einem weißfarbigen Hund entgegen. Ihnen folgt ein junger Mann im Trainingsanzug mit Kopfhörern auf den Ohren. Als kurz darauf auch noch eine Gruppe angeregt miteinander diskutierender Rentner den Parkplatz erreicht, kommen mir allmählich Zweifel, ob ich auch wirklich am richtigen Ort gelandet bin. Denn der Platz, auf dem ich stehe, erinnert mehr an einen Wanderrastplatz in den Bergen als an einen Friedhof. Es gibt sogar eine Info-Tafel mit einer Karte, auf der jedoch keine Gipfel mit Höhenangaben eingezeichnet sind, sondern lediglich drei Waldareale mit nummerierten Bäumen. Als ich mich näher mit dem Schema beschäftige, tritt eine Frau auf mich zu. Es ist Irka, mit der ich mich hier verabredet habe.Wir spazieren durch den Wald und je weiter wir gehen, desto weniger habe ich das Gefühl, mich auf einem Friedhof zu befinden. „Und genau darum geht es“, sagt Irka, die als Führerin im Friedwald Mühlenbecker Land in der Nähe von Berlin arbeitet.
„Dies ist kein traditioneller Friedhof, der von unserer ganzen Begräbniskultur geprägt ist. Es gibt hier keine Gestecke, keine Kerzen und keine Grabsteine. Es ist ein Wald, ein Stück Natur. Genau so wie die Menschen und ihre Asche. Und so soll es auch bleiben. Deshalb markieren wir die Stellen, an denen die Verstorbenen bestattet sind, auch nicht“, erklärt sie, und ich schaue diskret zu Boden. Vielleicht stehen wir ja gerade auf einem von ihnen? „Das kann schon sein“, sagt Irka und führt mich in einen dichten Buchenhain.
Erst jetzt bemerke ich, dass einige der Bäume mit schwarzen Plaketten oder Bändern versehen sind. Die meisten sind jedoch nicht markiert. „Dieser Wald ist erst 85 Jahre alt. Wenn man bedenkt, dass Buchen bis zu 400 Jahre alt werden, ist er also noch blutjung“, erzählt Irka. Sie weiß viel über die Natur, obwohl sie eigentlich Religionswissenschaften studiert hat. Zur Firma FriedWald kam sie 2001, als diese noch keine in Deutschland bekannte Marke war, sondern gerade erst anfing und auf viele Menschen eher befremdlich wirkte. Denn vor 20 Jahren waren Waldbestattungen für den Großteil der deutschen Bevölkerung noch völlig undenkbar..
Schwierige Anfänge
Das Konzept stammt aus der Schweiz, wo die Bestattungsgesetze weniger strikt sind als in Deutschland. Totenasche darf dort nicht nur auf einem Friedhof beigesetzt, sondern zum Beispiel auch in der freien Natur verstreut oder im Wald vergraben werden. Deutsche Hinterbliebene, die ihren verstorbenen Angehörigen zur ewigen Ruhe im Schoß der Natur verhelfen wollten, mussten sich also an ihre südlichen Nachbarn wenden. Hierbei half ihnen eine kleine, in Darmstadt ansässige Firma, die von der Juristin Petra Bach geleitet wurde. „Ich war – im Gegensatz zu einigen Menschen in meinem juristischen Umfeld – fest überzeugt, dass die Idee Zukunft hat und zu den gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit passt“, schreibt die Firmengründerin. Doch viele Menschen dachten damals anders. „Verrückt! Darmstädter verkaufen Gräber unter Schweizer Bäumen“, lautete eine Überschrift in der BILD-Zeitung. Es gab Gerüchte, die Firma sei eine Sekte, die die deutsche Tradition bedrohe und zwielichtige esoterische Praktiken betreibe. Gemeinsam mit einer Handvoll gleichgesinnter Mitarbeiter eröffnete Petra Bach schließlich 2001 in einem Wald in Nordhessen den ersten Friedwald-Standort in Deutschland.Heute gibt es in Deutschland circa 300 Waldfriedhöfe, und es werden immer mehr. Mit 74 Standorten betreibt die Firma FriedWald fast ein Drittel von ihnen. 136 000 Verstorbene fanden bereits auf den fast 3500 Hektar Bestattungswald der Firma ihre letzte Ruhe, insgesamt haben sich bisher über 324 000 Menschen für einen Baum oder einen Platz in einem Friedwald entschieden. Sämtliche Friedwälder entstehen in Zusammenarbeit mit den Kommunen, der Kirche und den Waldeigentümern. Der Nutzungsvertrag wird für die Dauer von 99 Jahren ab der Inbetriebnahme des Friedhofes geschlossen.
Zu Beginn entstanden Waldfriedhöfe überwiegend in der Nähe von Großstädten und Ballungszentren, deren Einwohner Neuerungen aufgeschlossener gegenüberstehen. Dies ist jedoch längst nicht mehr die Regel. Eine Umfrage unter 3 000 Befragten ergab, dass 35 Prozent der Deutschen sich vorstellen könnten, in der Natur bestattet zu werden.
Ein minimaler Eingriff
Währenddessen folge ich andachtsvoll Irka, die gerade vom Hauptweg abbiegt und mich zu einer mit einem blauen Band versehenen Eiche führt. Das System im Friedwald ist einfach, die Interessenten haben zwei Optionen: Entweder sie erwerben das Nutzungsrecht für einen Baum mit bis zu 20 Plätzen – ein solcher „Familienbaum“ kostet zwischen 2490 und 6990 Euro und ist mit einem blauen Band markiert. Oder sie erwerben für 770 bis 1200 Euro einen Einzelplatz unter einem gemeinschaftlich genutzten Baum – solche Bäume tragen ein orangefarbenes Band.„Doch nicht alle Bäume eignen sich als Bestattungsbäume“, reißt mich Irka aus meinen Kalkulationen, als ich die genannten Preise in Złoty umrechne. „Alte und ausgetrocknete Bäume scheiden aus“, fügt sie hinzu. Ein Bestattungsbaum soll schließlich mindestens die nächsten 99 Jahre überdauern. Ausgewählt werden Bäume unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Gattungen: Eichen, Buchen und Kiefern.
Die Friedwälder sollen möglichst wenig in das natürliche Ökosystem des Waldes eingreifen. „Unser Eingriff ist nur minimal“, erklärt Irka. „Er besteht lediglich darin, dass wir Plaketten mit den Namen und Daten der Verstorbenen an den Bäumen anbringen, wenn es jemand wünscht. Oder auch mit ausgewählten Sinnsprüchen“, fügt sie hinzu. Zum Beweis deutet sie auf einen mittelgroßen Baum, der eine kleine Plakette mit dem Namen Sebastian trägt. Neben dem Geburts- und Todesdatum steht die folgende Inschrift: „Lass mich schlafen, bedecke nicht meine Brust mit Weinen und Seufzen, sprich nicht voller Kummer von meinem Weggehen, sondern schließe die Augen, und du wirst mich unter euch sehen. Jetzt und für alle Zeit.“
„Sebastians Asche wurde, wie auch die der anderen Verstorbenen, in eine Urne gefüllt und in einer Tiefe von 70 bis 80 Zentimetern beigesetzt – in einem Abstand von etwa 2 Metern zum Baum, um die Wurzeln nicht zu beschädigen“, erklärt Irka sachlich. Die Urnen bestehen aus einem biologisch abbaubaren Material, das in der feuchten Erde allmählich zerfällt. „Ich werde immer wieder gefragt, wie lange das dauert, also habe ich einmal eine Urne mit Wasser gefüllt, um zu sehen, was geschieht. Nach zwei Tagen hatte sich die Urne bereits aufgelöst“, erzählt Irka. „Mit der Zeit wird die Asche der Verstorbenen von den Wurzeln aufgenommen und gelangt zurück in den Kreislauf der Natur“, sagt sie.
Traurig? Aber praktisch?
In den Antworten meiner deutschen Gesprächspartner taucht immer wieder der Wunsch auf, die Angehörigen nicht mit der Grabpflege zu belasten. Ich frage mich, ob es nicht vielleicht auch um die Angst vor der Einsamkeit, vor dem Vergessenwerden geht, um das Bewusstsein, dass sich möglicherweise niemand um das Grab kümmern wird? Das erscheint mir traurig. Als ich Irka davon erzähle, antwortet sie: „Es ist vielleicht traurig, aber auch praktisch. Die Deutschen werden, wie die Menschen überall auf der Welt, immer mobiler, sie ziehen in andere Städte oder sogar ins Ausland und können sich einfach nicht mehr um die Grabpflege kümmern. Also suchen sie nach Alternativen. Manche Eltern erwerben gleich zusätzliche Plätze für ihre Kinder, damit sie eines Tages wieder vereint sein können.“Doch es gibt noch mehr Gründe, warum sich Menschen für eine Waldbestattung entscheiden. Einer der wichtigsten ist die Nähe zur Natur und das Bewusstsein, ein Teil von ihr zu sein. Der Friedwald Mühlenbecker Land ist 14 Hektar groß. In den ersten drei Jahren seines Bestehens fanden hier 600 Bestattungen statt, weitere 1000 Plätze wurden bereits verkauft.
„Es ist ein relativ kleiner Friedhof, im Durchschnitt sind Waldfriedhöfe etwa 30 Hektar groß“, sagt Irka. „Doch wir bemühen uns ständig, die Fläche zu vergrößern, damit die Menschen einen Platz finden können, der zu ihnen passt. Manche möchten die Asche ihrer Angehörigen in der Nähe der Hauptwege bestatten, weil sie schon alt sind und nicht durch den ganzen Wald laufen wollen, um ihre Liebsten zu besuchen. Andere wiederum bevorzugen Intimität und Stille. Sie möchten gern inmitten der Natur und in aller Abgeschiedenheit Zeit mit ihren verstorbenen Angehörigen verbringen. Sie bringen Decken und Bücher mit und verbringen hier mehrere Stunden. Und wieder andere kommen mit der ganzen Familie und veranstalten ein Picknick. Sie machen Selfies von sich und dem Baum und vergleichen sie mit früheren Aufnahmen, um zu sehen, ob er bereits gewachsen ist. Manche bringen auch Gießkannen mit, um den Baum zu gießen, oder Maßbänder, um die Höhe und den Umfang des Stammes zu messen“, sagt Irka lächelnd.
Eine Form, die zu einem passt
„Vor einigen Tagen habe ich hier an der Beerdigung eines älteren Mannes teilgenommen. Seine beiden Töchter erklärten den Anwesenden, dass sie es ablehnten, die Zeremonie als einen Abschied zu bezeichnen. Weil sie nicht daran glaubten, dass ihr Vater wirklich gestorben war“, erzählt Irka. „Trotz seiner körperlichen Abwesenheit hatten sie weiterhin das Gefühl, dass er bei ihnen war. »Die Worte und die Zeit, die er uns gewidmet hat, leben in uns fort. Sie helfen uns, diesen Sturm zu überstehen – und auch all die anderen Stürme, die das Leben für uns bereithält. Die Liebe, das Vertrauen und die Weisheit, die er uns geschenkt hat, geben uns die Gewissheit, dass wir es schaffen werden«, sagten sie. Und zum Beweis trugen sie einen lustigen Dialog mit ihrem Vater vor: Sie fragten ihn, was er von der ganzen Situation hielt, und gaben an seiner Stelle die passenden Antworten.“„Menschen nehmen auf unterschiedliche Weise voneinander Abschied. Manche lesen einen Brief oder ein Gedicht vor, andere spielen ein Lieblingsstück des Verstorbenen auf der Gitarre oder bringen gleich eine ganze Band mit. Und wieder andere kommen mit ihrer ganzen Familie, breiten Picknickdecken aus, essen Kuchen und trinken Sekt. Oder sie bringen einen Pfarrer oder einen Trauerredner mit“, zählt Irka auf. Und eben darum geht es: Dass man eine Form findet, die zu einem passt. „Im Friedwald entscheiden die Trauernden selbst, wie sie Abschied von dem Verstorbenen nehmen wollen. Sie wollen nicht, dass ihnen jemand vorschreibt, wie sie dies zu tun haben“, erklärt Irka.
Wenn der geeignete Moment kommt, lässt Irka, die an vielen Bestattungen im Friedwald selbst teilnimmt, die Urne an einer Schnur in das ausgehobene Loch hinab. Die Angehörigen oder Freunde streuen Erde auf die Urne – manchmal sogar aus dem eigenen Garten. Manche legen auch einen Stein oder einen Brief mit hinein. Und zum Schluss wird alles mit Erde bedeckt.“
„Innerhalb weniger Wochen wird das Grab vom Wald aufgenommen. Man sieht dann nichts mehr davon, dass an dieser Stelle ein Eingriff des Menschen stattfand“, erklärt meine Begleiterin. „Ich versuche, das deutlich herauszustellen, wenn ich Interessenten durch den Friedwald führe. Ich möchte, dass sie wissen, wofür sie sich entscheiden und wofür sie bezahlen. Manche Menschen haben ein starkes Bedürfnis, das Grab ihrer Angehörigen zu pflegen. Sie möchten Kerzen und Gestecke mitbringen und auf diese Weise ihre Gefühle für den Verstorbenen zum Ausdruck bringen. Aber Kerzen und Gestecke sind hier nicht erlaubt, denn sie passen nicht in die natürliche Umgebung des Waldes.“
Alternative Bestattungsformen
Magdalena arbeitet als Produktmanagerin und Analytikerin für ein Bestattungs-Start-up mit dem Namen Mymoria. „Die Idee zu ihrem Unternehmen kam den Gründern, als einer ihrer Freunde verstarb und sie sich erstmals mit dem Bestattungswesen beschäftigen mussten. Die Bestattungsplanung erschien ihnen übermäßig aufwändig und pompös und passte überhaupt nicht zu ihrem verstorbenen Freund. Also begannen sie, darüber nachzudenken, wie man Beerdigungen vom Pathos befreien, wie man sie menschlicher und moderner gestalten könnte. Schließlich gründeten sie ein digitales Bestattungshaus für das 21. Jahrhundert. „Auf unserer Website können Angehörige eine komplette Bestattung planen, ohne das Haus zu verlassen“, erzählt Magdalena.Das Angebot umfasst vier Bestattungsarten, die Preisunterschiede zwischen ihnen sind erheblich. Die teuerste Option ist eine Sargbestattung, die Kosten liegen bei etwa 2000 Euro für eine Grabstätte auf einem traditionellen Friedhof und 1500 Euro für einen Grabstein. „Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass immer mehr Deutsche sich nach alternativen Bestattungsformen umsehen“, sagt Magdalena.
Im Falle einer Einäscherung gibt es mehrere Optionen. Am günstigsten ist es nach wie vor, in die Schweiz zu fahren und die Asche einfach auf einer Alpenwiese zu verstreuen. Eine beliebte Bestattungsart ist die Seebestattung: Eine anonyme Bestattung kostet rund 400 Euro, eine Beisetzung im Beisein der Angehörigen rund 1700, dazu kommen noch die Kosten für Einäscherung in Höhe von 1200 Euro. Und dann gibt es noch die Waldbestattung, deren Kosten wir bereits kennen: zwischen 770 Euro für einen Einzelplatz und mindestens 2490 Euro für einen Baum mit bis zu 20 Plätzen. Diese Bestattungsart wird auch von den Mymoria-Kunden immer häufiger gewünscht.
Bäume als Spiegel der Persönlichkeit
Auf unserem Spaziergang durch den Friedwald Mühlenbecker Land halten Irka und ich vor einem Baum an, auf dem eine Plakette in Form eines Grabsteins angebracht ist. Auf ihr befinden sich das Bild einer lächelnden, blonden Frau mit roten Wangen und der traditionelle Grabspruch: „Von allen geliebt, für immer unvergessen“. „Der Ehemann der Verstorbenen kommt jede Woche hierher, umarmt den Baum und unterhält sich mit seiner Frau“, erzählt Irka. „Er hat diesen Platz ausgesucht, weil seine Frau Geselligkeit liebte und immer wissen wollte, was um sie herum geschah. »Von hier hat sie eine gute Aussicht«, sagte er einmal zu mir.“ In der Tat, man hat von hier eine gute Sicht auf den Andachtsplatz mit Holzbänken und einem Rednerpult. Die Bänke wurden im Kreis aufgestellt, damit die Trauergäste sich während der Zeremonie miteinander unterhalten können.„Es ist interessant, zu sehen, aus welchen Gründen Menschen sich für einen bestimmten Baum entscheiden“, erklärt Irka. „Viele suchen nach einem Baum, der in gewisser Weise ihre Persönlichkeit widerspiegelt. Wenn Paare zum Beispiel einen Stamm sehen, der sich in zwei große Äste verzweigt, sagen sie: »Guck mal, das ist so wie bei uns: eine gemeinsame Basis und zwei unterschiedliche Charaktere!« Der Baum wird zu einem Spiegel der Persönlichkeit“, erklärt Irka. „Andere sagen: »Sieh hier, dieser Baum hat eine Wunde und trotzdem wächst und gedeiht er. Wie unser Vater, der es im Leben auch nicht leicht hatte und trotzdem nie aufgab.«“
Ganz in der Nähe sehe ich zwischen den Bäumen die weißen Flecken der anliegenden Häuser, und ich frage mich, ob die Anwohner vor drei Jahren nichts dagegen hatten, dass ihr Wald in einen Friedhof umgestaltet wurde. „Ganz im Gegenteil. Viele Menschen aus der Gegend haben sich sofort einen Platz gekauft, weil dieser Wald ein Teil ihres Lebens ist. Sie joggen hier, gehen spazieren, fahren Fahrrad und verbringen Zeit mit ihren Kindern“, erklärt Irka, und ich erinnere mich, in einer Broschüre gelesen zu haben, dass ein Drittel der Fläche Deutschlands mit Wald bedeckt ist.
Picknick
Um Allerheiligen herum wird es im Wald ein wenig voller. Denn obwohl es hier keine religiösen Symbole gibt, finden im Friedwald auch katholische und evangelische Beerdigungen statt. Schließlich sind etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Christen. Die sechs Prozent Muslime und unter ein Prozent Juden bestatten ihre Angehörigen nicht im Friedwald, weil ihr Glaube eine Einäscherung verbietet – und diese ist eine Voraussetzung für eine Waldbestattung.Noch vor 20 stellte das Konzept der Waldbestattung auch die deutsche katholische Kirche vor eine große Herausforderung. Viele traditionelle Katholiken konnten sich mit der Idee der Einäscherung nicht so recht anfreunden, ebenso wenig wie mit Bestattungen außerhalb von Friedhöfen, in nicht geweihter Erde.
Barbara kann sich noch gut an diese Zeiten erinnern. Sie ist in ihrer katholischen Gemeinde als Referentin und Seelsorgerin tätig – in Deutschland ist das möglich. Sie leitet Trauerandachten und Gottesdienste in Altenpflegeheimen, darf jedoch keine Sakramente erteilen.
Vor einiger Zeit leitete sie eine Trauerandacht auf einem Waldfriedhof in der Pfalz. Auf einem Teil des Friedhofs finden weltliche Bestattungen statt, auf einem anderen, der mit einem Kreuz gekennzeichnet ist, christliche.
„Die Zeremonie selbst unterschied sich in keiner Weise von einer Trauerandacht auf einem Pfarrfriedhof. Doch die Trauergäste hatten hier einen Raum, um sich miteinander zu unterhalten. Sie kamen aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands und kannten sich untereinander nicht, also lud ich sie zu einem gemeinsamen Gespräch ein. Wir saßen zusammen und tauschten Erinnerungen aus“, erzählt Barbara, die den Verstorbenen persönlich gekannt hatte. In einem bestimmten Moment hatte sie das Gefühl, bei einem Picknick zu sein. Der Wald war von Stimmengewirr erfüllt, und im Hintergrund zwitscherten Vögel. Die Trauergäste saßen im Kreis auf Holzbänken, und die Urne mit der Asche des Verstorbenen ruhte in der Mitte auf einem Baumstumpf. „Es entwickelte sich einfach so, weil wir im Wald waren und gutes Wetter hatten. Außerdem hatten wir zwei Stunden Zeit für die Zeremonie. Auf einem traditionellen Friedhof darf eine Bestattung maximal 30 Minuten dauern“, erklärt sie.
Als ich Barbara frage, welche Haltung die Kirche gegenüber der Tätigkeit der Firma FriedWald einnimmt, antwortet sie mir, dass jeder Seelsorger das für sich selbst entscheidet. Doch Waldfriedhöfe gewinnen auch in christlichen Kreisen zunehmend an Akzeptanz. „Auf manchen Pfarrfriedhöfen gibt es bereits abgetrennte Bereiche mit Bäumen, unter denen Urnen beigesetzt werden, ähnlich wie auf einem Waldfriedhof“, erklärt sie.
Ein Abschiedsbrief
Jetzt habe ich mit Irka so viel über den Tod gesprochen, dass ich sie schließlich frage, ob dieses Thema sie nicht allmählich belastet. Hat sie nicht langsam genug von all den Beerdigungen? Schließlich finden hier jede Woche etwa acht bis zehn Zeremonien statt.„Gestern kam ein Mann in den Wald, um seine verstorbene Frau zu besuchen. Er zeigte mir einen Brief, den sie vor ihrem Tod verfasst hatte“, erzählt mir Irka daraufhin. „Sie bat ihn, nicht um sie zu weinen, weil sie ihm so unendlich dankbar war. Dafür, was das Leben ihr geschenkt hatte, für die Liebe und Zärtlichkeit, die sie von ihrem Mann, ihren Kindern und ihren Freunden erhalten hatte. Und auch dafür, dass sie die Gelegenheit gehabt hatte, anderen ihre Zuneigung zu schenken. Ich fragte mich sofort, wie wohl mein eigener Abschiedsbrief aussehen würde. Ob ich wohl auch so glücklich und erfüllt wäre?“, erzählt Irka. „Also kurz gesagt: Nein! Ich habe weder genug vom Thema Tod noch von meiner Arbeit. Ich schätze sie, weil sie mich jeden Tag zum Nachdenken bringt und mich daran erinnert, was das Wichtigste im Leben ist.“