Coming out in der deutschen Kirche
"Es ist ein Wunder, dass wir unseren Glauben nicht verloren haben!"
Wie steht es um die LGBTQ-Community in Deutschland? Mit dem schwulen Museum in Berlin oder der langen Reihe in Hamburg scheint die gesellschaftliche Akzepttanz angekommen zu sein. Aber nicht in allen Bereichen lässt sich die eigene Sexualität offen leben – zwei Priester berichten über ihre Erfahrungen und ihren Glauben an nicht nur eine offene Gesellschaft, sondern auch Kirche.
Von Joanna Strzałko
Das Gebäude ist gelb-grau und unscheinbar. Die Straße ist ruhig, obwohl sie nur zwei Querstraßen von der stark befahrenen Allee entfernt ist, die zu dem von fröhlichen Touristen besiedelten Potsdamer Platz führt. Vor dem Eingang steht ein eleganter Motorroller, der dieselbe grellrote Farbe aufweist, wie das Schild über der Tür und den Fenstern. Eben hier, in der Lützowstraße 73 in Berlin-Tiergarten, hat das „Schwule Museum“ sein Zuhause gefunden, ein Museum, das der Geschichte der Schwulenbewegung in Deutschland gewidmet ist. Das Museum verfügt auch über ein Archiv, das über 20 000 Bücher, 4 000 Filme und 3 000 Zeitschriften enthält – und auch zahlreiche Dokumente zum Paragrafen 175, der bis Juni 1994 sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte.
In einem der Räume erzählt die Ausstellung mit dem Titel „Tuntenhaus Forellenhof 1990: Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus“ von den Ereignissen rund um das Gebäude in der Mainzer Straße 4. Nach dem Fall der Mauer entstand in vielen Straßen, deren Gebäude zum Abriss vorgesehen waren, eine bunte und junge Szene aus Hausbesetzer*innen, Student*innen, Künstler*innen und LGBTIQ+Personen, die gemeinsam von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bzw. Schwesterlichkeit träumten. In der Mainzer Straße und der nahe gelegenen Colbestraße entstanden Kneipen, Cafés, Buchhandlungen und Nachtclubs. Das Glück der Bewohnerinnen und Bewohner dieser neuen Utopie war jedoch nicht von Dauer. Am 12. November 1990 fuhren gepanzerte Fahrzeuge auf und 600 bewaffnete Polizisten drangen in die Häuser ein. Nach einer dreitägigen Straßenschlacht war der kurze Sommer des schwulen Kommunismus zu Ende.
In der weltoffenen Hafenstadt Hamburg hatten es die LGBTIQ+-Communities deutlich leichter. Der Stadtteil St. Georg mit seiner Flaniermeile Lange Reihe galt schon seit Jahren als „ihr“ Stadtteil. All jene, die ihre sexuelle Orientierung offen ausleben wollten, konnten hier unbehelligt spazieren gehen, durch die angesagten Boutiquen bummeln, in einem der lauschigen Cafés sitzen oder sich in einem der zahlreichen Nachtclubs vergnügen. Nur den wenigsten war bewusst, dass hinter den Mauern des Hamburger Erzbistums LGBTIQ+-Personen, die für die Kirche tätig waren, ihrer grundlegenden Rechte beraubt wurden. Und eben hier entstand im Frühjahr 2021 eine weitere Bewegung, die sich als #outinchurch bezeichnete.
Die Angst, sein Gesicht zu zeigen
Jens Ehebrecht-Zumsande arbeitet als Religionspädagoge für das Erzbistum Hamburg. Als er eines Morgens das SZ-Magazin in die Hand nimmt, kann er seinen Augen kaum glauben. Als er sich wieder gefangen hat, macht er ein Bild von dem bunten Cover und teilt es in den sozialen Medien. Unter dem Hashtag #actout ist ein Manifest deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler abgedruckt, das mit den Worten beginnt: „Wir sind Schauspieler*innen und identifizieren uns unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter und non-binär. Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten. Das ist jetzt vorbei.“„Das brauchen wir auch in der Kirche!“, kommentieren Jens Freunde und Bekannte seinen Post und fragen „Wann wollen wir damit anfangen?“
„Ich überlegte nicht lange, sondern rief kurzerhand einen guten Bekannten von mir an, den Theologen und Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus dem Erzbistum Paderborn“, erzählt Jens. „Bei uns ist es auch höchste Zeit, lass uns anfangen!“, beschlossen sie noch während des Gesprächs. Es war der 5. Februar 2021.
Auf der Suche nach LGBTIQ+-Personen in den Strukturen der Römisch-katholischen Kirche starten Bernd und Jens einen Aufruf in der Presse und im Internet. Sie erhalten zahlreiche Antworten. Die meisten der Angesprochenen erklären ihren Wunsch, sich an der Coming-Out-Kampagne zu beteiligen, doch sie bringen auch ihre Angst zum Ausdruck, ihr Gesicht zu zeigen und ihren Namen zu offenbaren.
„Interessanterweise hatten sie nicht so sehr Angst vor der Reaktion ihres Bischofs, sondern vielmehr vor den Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld, vor denen sie ihr wirkliches Ich bis dahin verheimlicht hatten“, berichtet Jens. „Sie hatten Angst davor, von ihrer Familie, von ihren Gemeindemitgliedern oder ihren Schülern zurückgewiesen zu werden.“
„Viele schwule und lesbische Kirchenmitarbeiter lebten in der Überzeugung, sie seien allein oder stellten nur eine verschwindende Minderheit dar“, sagt Bernd. „In dem Moment, in dem sie einander begegneten und ihre Erfahrungen austauschten, fassten sie den Mut, sich an unserer Kampagne zu beteiligen, der wir den Namen »#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst« gaben.“
An der ersten von Jens und Bernd initiierten Zoom-Konferenz nehmen 90 Personen teil. Gemeinsam erarbeiten sie ein Manifest, in dem sie ihre Forderungen an die Katholische-Kirche zum Ausdruck bringen. Ein Jahr später, als die Kampagne immer mehr Aufsehen erregt, unterschreiben über 120 000 Menschen die zugehörige Petition.
Ein Doppelleben
„Nach meinem Theologiestudium nahm ich eine Stelle als Religionspädagoge in einer kleinen Pfarrgemeinde in Kiel an – und die römisch-katholische Kirche wurde zu meinem Arbeitgeber“, erinnert sich Jens.„Niemand in der Gemeinde wusste, dass ich schwul war, aber die Leute sind ja nicht blind. Schon bald kamen ständig Sprüche wie »Wie schade, dass Sie nicht verheiratet sind! Sie wären ein so guter Vater – Sie können ja so gut mit Kindern umgehen!«“
Wenn Jens in eine Schwulenbar gehen will, fährt er mit dem Auto in das eine Stunde entfernte Hamburg. Doch immer öfter erhält sein Bischof anonyme Nachrichten, dass jemand ihn auf der Straße oder in einer Bar in Begleitung eines Mannes gesehen habe. „Ist das nicht verdächtig?“, fragen sie.
„Ich wollte mich nicht vor meinem Bischof outen“, erzählt Jens. „Schließlich durfte ich im Grunde gar nicht schwul sein. In meinem Arbeitsvertrag gibt es eine sogenannte Loyalitätsklausel, die besagt, dass das Leben in einer nicht heteronormativen Beziehung oder Ehe einen Loyalitätsverstoß gegenüber der Kirche bedeutet und ein Einstellungshindernis oder einen Kündigungsgrund darstellt. Diese Klausel diskriminiert nicht nur LGBTIQ+-Personen, sondern auch Heterosexuelle, die in einer nicht ehelichen Partnerschaft zusammenleben oder die geschieden sind und eine neue Beziehung eingehen. Dabei ist eine solche arbeitsrechtliche Regelung doch eine eindeutige Verletzung der Menschenrechte.“
Als einer der älteren Bistumsmitarbeiter ihn eines Tages wieder einmal zu sich zitiert, redet er ihm zu Jens' Verwunderung nicht ins Gewissen, sondern ermuntert ihn dazu, ein Doppelleben zu führen.
„Er sagte, ich könne mich treffen mit wem ich will, aber wenn ich weiterhin für die Kirche arbeiten wolle, solle ich es heimlich tun, sodass niemand mich sieht“, erzählt Jens. „Damit war ich nicht einverstanden. Denn wie sollte ich den Menschen in meiner Gemeinde, die mir tagtäglich ihr Vertrauen schenken, dann noch in die Augen sehen?“
Viele Menschen, die sich an der Kampagne #outinchurch beteiligen, haben ähnlich Erfahrungen gemacht. Ihre Bischöfe wissen genau, dass sie es mit einer Lesbe oder einem Schwulen zu tun haben, doch sie akzeptieren diese Tatsache, solange ihre Untergebenen ihre sexuelle Orientierung geheim halten. Die Probleme beginnen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.
(Link zur Dokumentation über die Coming-Out-Kampagne in der katholische Kirche)
„Es ist wie mit dem Zölibat“, sagt Jens. „Viele Pfarrer leben heimlich in einer Beziehung mit einer Frau. Und sogar wenn sie Väter werden und dies nicht an die große Glocke hängen, drückt der Bischof ein Auge zu. Aber sobald ein Pfarrer offen zugibt, dass er seit Jahren in einer Beziehung lebt und gegen das Zölibat verstößt, wird er sofort aus den kirchlichen Strukturen entfernt.“
Jens erklärt, dass viele Bischöfe dabei äußerst streng und rücksichtlos vorgehen. Einer der Teilnehmerinnen der Kampagne wurde von einem Tag auf den anderen gekündigt, obwohl sie hochschwanger war und ihr nur noch zwei Wochen bis zum Mutterschutz blieben. Sie hatte vor ihrem Arbeitgeber zugegeben, dass sie seit Jahren mit einer Frau und nicht mit einem Mann zusammenlebte. Sie blieb ohne finanzielle Unterstützung zurück, obwohl klar war, dass sie diese in ihrer Situation dringend benötigte.
„Deshalb lautet eine unserer Forderungen, dass die Bischöfe Verantwortung für das LGBTIQ+-Personen angetane Leid übernehmen und sich für die von uns geforderten Veränderungen einsetzen“, erklärt Jens.
Eine tiefe Dunkelheit
„Ich frage mich ständig, wie eine Institution, die sich auf das Evangelium und die Nächstenliebe beruft, uns das Recht auf Leben absprechen kann“, sagt Bernd Mönkebüscher. „Schließlich kann man von diesem ständigen Verheimlichen verrückt werden! Wie viele Kirchenmitarbeiterinnen und Kirchenmitarbeiter leiden aus diesem Grund an Depressionen, Essstörungen und Alkoholsucht oder versuchen, Selbstmord zu begehen, so wie ich!“Bernd wuchs in einer tiefgläubigen katholischen Familie auf. Den größten Einfluss auf ihn hatte sein gütiger, warmherziger Pfarrer. Der Junge bewunderte ihn und träumte davon, einmal so zu werden, wie er.
„Aus diesem Grund trat ich in das Priesterseminar ein“, erinnert sich Bernd. „Anfangs war ich dort auch sehr glücklich: Ich lernte, entwickelte mich weiter und lernte Menschen kennen. Doch nach einiger Zeit wurde mir klar, dass meine sexuelle Orientierung eine andere war als die von der katholischen Kirche gemeinhin akzeptierte. Und in diesem Moment umgab mich eine tiefe Dunkelheit. Ich schottete mich zunehmend ab und lebte in ständiger Angst davor, denunziert zu werden, denn wer sich zu seiner Homosexualität bekannte, wurde gezwungen, das Seminar zu verlassen und den Traum vom Pfarrerberuf aufzugeben.“
Als Bernd in den 90er-Jahren zum Priester geweiht wird, veröffentlicht einer der deutschen Bischöfe einen Artikel, in dem er sich dagegen ausspricht, dass homosexuelle Männer zu Priestern geweiht werden. 2005 äußert sich auch Papst Benedikt in diese Richtung, und einige Jahre später auch Papst Franziskus.
(auf dieser Seite kann man die Petition unterschrieben und die Forderungen der Kampagne unterstützen)
2015 kann Bernd nicht mehr weiter. Er steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
„Ich hatte genug davon, ständig in einer Lüge zu leben. Ich hatte mein Leben einer Institution geweiht, die mir das Recht auf Existenz absprach und die mich zwang, mein eigenes Ich zu verleugnen“, sagt er heute.
Schließlich nimmt Bernd psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Während einer vierjährigen, intensiven Behandlung durchlebt er unterschiedlichste, extreme Gefühlszustände: von tiefer Trauer und Auflehnung bis hin zu Stolz und Freude darüber, der zu sein, der er ist. 2019 veröffentlicht er in den sozialen Medien einen langen, bewegenden Text. Es ist sein Coming-Out. Er hat keine Angst mehr.
„In einem offenen Gespräch sagte mir mein Bischof, dass die sexuelle Orientierung von Priestern keine Rolle spiele, da wir ohnehin im Zölibat leben“, erzählt Bernd. „Zunächst nahm ich diese Äußerung mit Erleichterung auf, doch als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass mein Bischof das ganze schmerzhafte Thema mit diesem einen Satz einfach abgehakt hatte. Doch was ich benötige, ist ein offenes Gespräch darüber, was ich in all diesen Jahren durchgemacht habe und was diese Erfahrung mit mir gemacht hat.“
(hier veröffentlicht Bernd seine Gedichte, Gedanken und Predigten)
„Was hat dir dabei geholfen, diese schwierige Zeit zu überstehen?“, frage ich Bernd.
„Gute Freunde“, antwortet er mir. „Meine Arbeit, mit der ich Menschen helfe, die sich genauso verloren fühlen wie ich. Und auch Worte haben dabei geholfen, den Schmerz zu lindern. Oft fand ich Trost in der Geschichte des Propheten Elija, der während einer Wanderung durch die Wüste eine tiefe Glaubenskrise durchlebt. Als er sich hungrig und durstig unter einen Ginsterstrauch legt und Gott um seinen Tod bittet, hört er plötzlich eine Stimme, die sagt: »Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.«“
„Ja, früher glaubte ich, dass die Kirche nur Gutes tut“, seufzt Bernd. „Also war ich überzeugt davon, dass ich es war, mit dem etwas nicht stimmte. Diesen Stachel, diesen Schmerz und diese Wunde trage ich immer noch in mir.“
Der schwierige Umgang der Bischöfe mit dem Thema Sexualität
Am 24. Januar 2022 veröffentlichen die 125 Teilnehmer*innen der Aktion „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ ihr Manifest im Internet und starten eine Online-Petition. Schon bald unterstützen mehr als 70 der größten katholischen Verbände und Organisationen, darunter auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das Manifest. „Unser Glaube zeichnet sich doch durch Nächstenliebe aus!“ und „Ich bin zwar weder schwul noch lesbisch noch trans, dennoch möchte ich nicht, dass meine Kirche irgendjemanden aus ihrer Gemeinschaft ausschließt“ kommentieren die Gläubigen.
„Doch es gibt auch konservative Kräfte in der katholischen Kirche, die Angst vor Veränderungen haben und Kirche und Welt voneinander trennen wollen“, seufzt Jens. „Sie wollen nicht mit der Zeit gehen, wenden sich gegen den Fortschritt und halten an veralteten kirchlichen Lehrsätzen fest.“
Die Aktion #outinchurch findet internationale Beachtung, sowohl in der Presse als auch im Fernsehen. Die ARD produziert eine Dokumentation über LGBTIQ+-Personen, die hauptamtliche, ehrenamtliche, potenzielle und ehemalige Mitarbeiter*innen der römisch-katholischen Kirche sind – unter anderem in der Bildung, der Erziehung, der Pflege, der Verwaltung, der sozialen und karitativen Arbeit, als Kirchenmusiker*innen oder in der Kirchenleitung.
„Unsere Schicksale haben die öffentliche Meinung weltweit verändert“, sagt Bernd. „Viele Katholiken waren sich des Problems der Geschlechtsidentität in der Kirche gar nicht bewusst und hatten keine Ahnung, dass es so viele Menschen betrifft. Wir erhielten viel Unterstützung und auch Anfragen aus dem Ausland, wie man ähnliche Kampagnen zum Beispiel in Frankreich, Polen und Argentinien umsetzen könnte.“
„Das Interesse an unserer Aktion war so groß, dass die Bischöfe ihren Kopf nicht weiter in den Sand stecken konnten“, sagt Jens. „Vor allem, weil zur selben Zeit auch der Skandal um die Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Kardinal Ratzinger publik wurde. Über 27 Bischöfe äußerten sich nicht gar zum Manifest, die übrigen reagierten überwiegend positiv.“
„Und wie hat der Vatikan auf eure Kampagne reagiert“, frage ich.
„Es ist schwer vorstellbar, dass der Vatikan nichts von unserer Aktion mitbekommen hat, aber bisher hat er keinen Kommentar abgeben“, sagt Bernd.
„Wovor hat die Kirche solche Angst?“, frage ich nach.
„Meiner Meinung nach leidet die Kirche an einer geradezu neurotischen Fixierung auf das Thema Sexualität“, erklärt Jens. „Dabei haben die Kirchenoberen selbst ein großes Problem mit diesem Thema. Es ist doch interessant, dass sich nicht ein einziger Bischof an unserer Kampagne beteiligt hat. Dabei wissen wir genau, dass es auch in ihren Reihen Schwule gibt. Nun ja, sie dürfen eben noch weniger als wir.“
„Sexuelle Kontrolle ist ein mächtiges Herrschaftsinstrument“, fügt Bernd hinzu. „Ich denke, die Kirche will einfach nicht, dass die Menschen selbst über ihr Leben entscheiden.“
Jens und Bernd geben zu, dass es nicht ganz einfach ist, in einem Land zu leben, in dem die einen alle Freiheiten genießen und offen in homosexuellen Beziehungen leben dürfen und die anderen – jene, die für die katholische Kirche arbeiten – im Verborgenen leben müssen.“
„Es ist ein ständiger Spagat“, sagt Jens. „In der Kirche muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich schwul bin. Und der LGBTIQ+-Community muss ich erklären, warum ich immer noch für diese repressive Institution arbeite. Viele meiner homosexuellen Freunde haben schon vor langer Zeit jegliche Verbindung zur Kirche abgebrochen. Aber ich bin nun einmal – ebenso wie auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kampagne – eng mit der Kirche und dem katholischen Glauben verbunden. Also erkläre ich immer wieder, dass die Kirche auch ein Zuhause für mich ist und dass ich das Recht habe, in ihr zu leben. Und dass ich zu ihr gehöre wie zu einer Familie und ich nicht einfach aus ihr austreten kann wie aus einem Sportverein.“
„Wir können die nötigen Reformen nur von innen anstoßen,“ sagt Bernd. „Unsere Kampagne ist also auch ein Zeugnis des Glaubens. Ja, wir glauben fest daran, dass Veränderungen möglich sind.“
RAHMEN
Ursprünglich nahmen 125 Kirchenmitarbeiter*innen an der von Jens Ehebrecht-Zumsande und Bernd Mönkebüscher ins Leben gerufenen Kampagne „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ teil. Inzwischen sind es bereits über 300.Mitte Februar unterschrieben elf deutsche Generalvikare einen offenen Brief, in dem sie sich für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts einsetzten, unter anderem für die Streichung der sogenannten Loyalitätsklausel, die nicht nur LGBTIQ+-Personen diskriminiert, sondern auch heterosexuelle Kirchenmitarbeiter*innen, die in nicht ehelichen Beziehungen leben. Der Arbeitsplatz von Kirchenmitarbeiter*innen dürfe nicht von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem privaten Beziehungsstatus abhängen. Das Verhältnis zu Transgender-Personen ist weiterhin unklar.
In Deutschland dürfen gleichgeschlechtliche Paare seit dem 1. Oktober 2017 heiraten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es bis Ende 2021 bereits über 65 500 gleichgeschlechtliche Eheschließungen.
2021 gab es in Deutschland 21,6 Millionen Katholiken. Im selben Jahr traten 360 000 Mitglieder aus der katholischen Kirche aus.
Der Theologe, Pfarrer und Buchautor Bernd Mönkebüscher bietet in der Kirche St. Agnes in Hamm spezielle Gottesdienste für LGBTIQ+-Personen an. Die Gottesdienste „im Zeichen des Regenbogens“ finden an jedem letzten Sonntag um 18 Uhr statt.
Quellen
https://www.hamburg.de/lange-reihe
https://www.schwulesmuseum.de/
https://outinchurch.de/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1226/umfrage/anzahl-der-katholiken-in-deutschland-seit-1965/
https://www.kirchenaustritt.de/statistik
Oto NIEMCY (DAS ist deutschland)
Dieser Artikel gehört zu einer Reihe von Reportagen „Oto Niemcy“ (Das ist Deutschland), die das Goethe-Institut gemeinsam mit dem Magazin Weekend.gazeta.pl veröffentlicht.