Ökotourismus
EMISSIONSFREIES REISEN
Das Fahrrad ist ein emissionsfreies Fortbewegungsmittel und von wesentlicher Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung der Städte. In ländlichen Gebieten wiederum trägt der Ausbau der Fahrradinfrastruktur zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus bei. In Deutschland gibt es über 40 000 Kilometer Radwanderwege, in Polen über 20 000 Kilometer. Doch nicht alle von ihnen sind in gutem Zustand. Aus diesem Grund plant die Europäische Union, in den kommenden Jahren sechs Milliarden Euro in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur zu investieren.
Von Magda Roszkowska
Nach Angaben des polnischen Statistischen Hauptamtes wuchs die Gesamtstrecke von Radwegen in Polen im vergangenen Jahrzehnt um 146 % Prozent auf über 20 000 Kilometer. Die meisten von ihnen gibt es in der Hauptstadt Warschau (739 km), auf dem zweiten Platz liegt Posen (400 km). Der längste polnische Radweg führt entlang der östlichen Grenze, er durchquert fünf Woiwodschaften und hat eine Länge von 2 000 Kilometern.
„Die Länge des Green-Velo-Radwegs ist beeindruckend“, erklärt Piotr, der seit über zehn Jahren nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa mit dem Fahrrad unterwegs ist. „Schlechter sieht es mit der Qualität aus. Denn wie viele von den 2 000 Kilometern führen über löchrigen, von Unkraut überwucherten Asphalt oder über unbefestigte Waldwege, auf denen die Räder im Sand stecken bleiben oder von hervorstehenden Baumwurzeln blockiert werden?“, fügt er hinzu.
In der Tat: Aus einem Bericht der polnischen Obersten Kontrollkammer geht hervor, dass nur 300 Kilometer des Green Velo aus neu angelegten oder ausgebauten Radwegen sowie kombinierten Fuß- und Radwegen bestehen. Weitere 150 Kilometer bestehen aus ausgebauten Naturstraßen. Weitere Probleme sind die mangelnde Beschilderung der Route und vor allem das Fehlen einer gemeinsamen, überregionalen Strategie zu ihrer Instandhaltung und Optimierung.
„Ähnlich sieht es auf dem beliebtesten polnischen Radwanderweg, der Velo Baltica, aus, der 530 Kilometer entlang der Ostseeküste von Świnoujście bis Elbląg führt. Nur ungefähr die Hälfte der Strecke besteht aus festen, gut befahrbaren Asphalt- oder Schotterwegen“, berichtet Piotr. „Wenn man eine moderne Fahrradinfrastruktur schaffen möchte, genügt es nicht, einfach mit dem Finger über die Landkarte zu fahren, die bereits bestehenden Radwege und Waldpfade als Radwanderweg auszuweisen und ein paar Schilder mit einem Radfahrersymbol aufzustellen. Es reicht nicht aus, die schlammigeren Abschnitte mit Kies aufzufüllen und als befestigt zu erklären oder ein paar Betonplatten und billige Pflastersteine in die Gegend zu legen“.
Der 70-jährige Marcin aus Warschau hält den Mangel an zuverlässigen Informationen über den tatsächlichen Schwierigkeitsgrad der Strecken für das größte Problem des polnischen Radwegenetzes. Im vergangenen Sommer fuhr er gemeinsam mit seiner Tochter und seinem vierjährigen Enkel entlang der Radroute ER-6 durch Niederschlesien. Die Strecke ist 133 Kilometer lang und führt unter anderem durch den malerischen Landschaftsschutzpark Bobertal. „Ich habe nirgendwo Informationen darüber gefunden, dass der Radweg sich an manchen Stellen in einen schmalen Waldpfad verwandelt, der an einem ziemlich steilen Abhang voller Steine und Baumwurzeln entlangführt, in dessen Tiefe der Bober fließt. Mit einem vierjährigen Kind auf dem Kindersitz war die Strecke ausgesprochen gefährlich. Wir mussten unsere Räder über mehrere Kilometer schieben. An einer anderen Stelle verlief der Radweg über eine belebte Straße, auf der wir ständig von Lastwagen überholt wurden“, erinnert sich Marcin. Er ist der Meinung, dass man nicht alle Wege unbedingt gleich asphaltieren muss. „Gewisse Schwierigkeiten wie schlammige oder sandige Abschnitte oder Steigungen sind ein Teil dieses Sports und üben durchaus einen gewissen Reiz aus. Es ist nur gut, wenn man vorher weiß, was einen erwartet“, erklärt er abschließend.
In Polen begann man vor etwa einem Jahrzehnt, über die Schaffung einer modernen Fahrradinfrastruktur, also eines Netzes von gut befahrbaren, sicheren und komfortablen Radwanderwegen, nachzudenken. Eine solche Infrastruktur beinhaltet jedoch nicht nur Radwege, sondern auch Rastplätze, Touristenattraktionen, Geschäfte, Restaurants und vielfältige Übernachtungsmöglichkeiten. Aus diesem Grund erfordern entsprechende Projekte nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch ein Team von Experten und eine gut durchdachte Strategie. Einen solchen modernen Ansatz verfolgen in Polen vor allem die Woiwodschaften Westpommern und Kleinpolen. In Westpommern wurde bereits vor zehn Jahren ein Regionalbeauftragter für den Radverkehr ernannt. Viele Radwege wurden auf Deichen und ungenutzten Bahndämmen angelegt.
„Die schönste Strecke, die ich in Polen gefahren bin, war der 27 Kilometer lange Asphaltweg auf dem ehemaligen Bahndamm zwischen Połczyn-Zdrój und Złocieniec in Westpommern”, erzählt Justyna, die schon seit über zehn Jahren mit dem Rad durch Polen, Tschechien, Deutschland und das Baltikum reist.
Seit 2016 hat die Woiwodschaft rund 300 Millionen Złoty in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur investiert. Doch aus offiziellen Daten geht hervor, dass die Reisesaison in Westpommern durch die Schaffung von fünf ausgedehnten Radwanderwegen um zwei Monate, bis in den Oktober hinein, verlängert werden konnte.
Zu den besonders empfehlenswerten Strecken in dieser Region zählt die 345 Kilometer lange Westliche Seenroute, die zum großen Teil aus neu angelegten Asphaltwegen besteht und durch fünf Landschaftsschutzparks führt. Sehr beliebt sind auch der deutsch-polnische Stettiner Haff-Rundweg und der 235 Kilometer lange Abschnitt der Velo Baltica von Ustka bis Świnoujście. Von Usedom können wir anschließend entweder auf den Oder-Neiße-Radweg einbiegen, um nach 626 Kilometern die Quelle der Lausitzer Neiße im tschechischen Nová Ves zu erreichen, oder auch dem deutschen Abschnitt der Velo Baltica bis nach Flensburg folgen.
Als nächstes Projekt soll – wie die Beauftragte für den Radverkehr der Woiwodschaft Westpommern Wanda Nowotarska bekannt gab – ein 700 Kilometer langer Radwanderweg von Berlin über Stettin bis nach Kolberg entstehen.
Auch die Woiwodschaft Kleinpolen kann sich bereits einiger Erfolge rühmen. Das Projekt VeloMałopolska sieht die Schaffung von acht europäischen Radfernwegen mit einer Gesamtlänge von circa 1 100 Kilometern vor. Vier der Strecken konnten bereits realisiert werden.
„Der 235 Kilometer lange Abschnitt des Weichsel-Radwegs in der Woiwodschaft Kleinpolen, von dem 210 Kilometer bereits fertiggestellt wurden, ist ein hervorragend umgesetztes Projekt!”, erklärt Piotr. Die Strecke führt zu 68 Prozent über vom Autoverkehr getrennte Asphaltwege, die auf den Deichen der Weichsel angelegt wurden. „Auch der 30 Kilometer lange Rundweg um den Czorsztyń-Stausee bietet ausgezeichnete Bedingungen. Er ist der Teil des Velo Dunajec, der als der schönste polnische Radwanderweg gilt”, fügt er hinzu.
In der Tat: Auf einer Internetseite über die Radfernwege in der Woiwodschaft Kleinpolen lese ich, dass der Velo Dunajec an sieben Bergketten, drei großen Seen und sieben historischen Burgen entlangführt. Die noch nicht vollständig fertiggestellte Strecke führt 237 Kilometer von Zakopane über Nowy Targ und Nowy Sącz bis nach Tarnów. Erfahrene Radtouristen können sich auch an dem polnisch-slowakischen Radwanderweg entlang der Hohen Tatra versuchen.
Das Fahrrad ist ein emissionsfreies Fortbewegungsmittel und von wesentlicher Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung der Städte. In ländlichen Gebieten wiederum trägt der Ausbau der Fahrradinfrastruktur zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus bei. Aus diesem Grund plant die Europäische Union, in den kommenden Jahren sechs Milliarden Euro in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur zu investieren. Ganze 780 Millionen Euro davon soll Polen erhalten! Ziel der Investition ist es, die Zahl der mit dem Rad zurückgelegten Kilometer bis 2030 EU-weit zu verdoppeln. Bisher haben 20 Länder eigene nationale Radverkehrsstrategien verabschiedet, neun weitere arbeiten bereits an ähnlichen Strategiepapieren. In Polen wird über entsprechende Pläne noch immer diskutiert.
Deutschland entwickelte bereits 2019 einen Nationalen Radverkehrsplan, der vorsieht, dass die Anzahl der mit dem Rad zurückgelegten Wege bis 2030 auf 180 Wege je Person und Jahr und die durchschnittliche Länge der Wege auf 6 Kilometer zunehmen sollen (von 2017 rund 120 Wegen je Person und Jahr mit einer durchschnittlichen Länge von 3,7 Kilometern).
„Es sind drei Dinge, die einem als polnischem Radtouristen in Deutschland sofort ins Auge fallen: die Zahl der Radfahrer, der Anteil von E-Bikes und das Alter der Radfahrer. Es gibt sehr viele Radfahrer in Deutschland, darunter auch viele ältere Menschen mit E-Bikes“, berichtet Piotr, der in den Ferien eine ausgedehnte Fahrradtour durch Sachsen unternahm, unter anderem auf dem beliebten Elberadweg.
Nach einer 2021 durchgeführten Umfrage waren 51 Prozent der Radreisenden in Deutschland zwischen 45 und 64 Jahre alt. Ihr durchschnittliches Alter betrug 52,7 Jahre. Mehrtägige Radreisen mit Übernachtungen werden hingegen überwiegend von Personen im Alter zwischen 25 und 44 Jahren unternommen.
2023 wurden in Deutschland 4 Millionen Fahrräder verkauft. Zum ersten Mal wurden mehr E-Bikes als klassische Fahrräder abgesetzt. Insgesamt 3,6 Millionen Deutsche unternahmen im vergangenen Jahr eine Radreise mit mindestens drei Übernachtungen, und 5 Millionen eine Kurz-Radreise mit bis zu zwei Übernachtungen.
In Deutschland werden bereits seit den 90er-Jahren Radwanderwege geschaffen, inzwischen beträgt ihre Gesamtstrecke etwa 40 000 km. Ein Teil von ihnen verläuft entlang der großen Flüsse: der Elbe, des Rheins, der Spree, der Oder oder der Weser. Der beliebteste von ihnen ist der Weser-Radweg, der 520 Kilometer vom Weserbergland bis an die Nordseeküste führt. Die Strecke ist vor allem für Familien mit Kindern geeignet, weil sie zwar flach, aber dennoch landschaftlich abwechslungsreich ist. Einige der Abschnitte können auch mit dem Boot zurückgelegt werden. Das erste, 40 Kilometer lange Teilstück der Strecke wurde bereits 1987 im nordrhein-westfälischen Höxter eröffnet!
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„Auch der Oder-Neiße-Radweg eignet sich hervorragend für Familien mit Kindern. Er bietet ausgezeichnete Bedingungen, ist flach, einfach und sicher. Für Radtouristen wie mich, die vor allem nach abwechslungsreichen Landschaften suchen, ist er vielleicht ein wenig langweilig. Aber man kann auch gut Abstecher unternehmen und zum Beispiel die wunderschönen Radrouten durch die Brandenburger Wälder erkunden“, erzählt Justyna.
Erfahrenere und anspruchsvollere Radtouristen fahren entlang der Alpen auf dem Bodensee-Königssee Radweg. Die Strecke ist 410 Kilometer lang, nicht überall asphaltiert und hat viele steile Anstiege, bietet dafür aber beeindruckende Ausblicke.
Der drittbeliebteste Radwanderweg in Deutschland ist der Ostseeküstenradweg. Er beginnt auf der Insel Usedom, auf der sich auch die größte Schmetterlingsfarm Europas befindet. Auf der größten deutschen Insel Rügen kann man die Naturschutzgebiete Spyckerscher See und Mittelsee und die über hundert Meter hohen Kreidefelsen bewundern, entlang der historischen Gebäude im Stil der Bäderarchitektur flanieren oder die von den Nationalsozialisten erbaute, 4,5 Kilometer lange Ferienanlage Prora besichtigen, die heute als Museumsmeile genutzt wird. Der Ostseeküsten-Radweg führt über Waldwege, asphaltierte Radwege und kleine Landstraßen am Meer entlang. Das erste, etwa 200 Kilometer lange Teilstück endet in Rostock.
Polnische Radtouristen blicken in Blogs, Internetforen und in den sozialen Medien neidisch auf die Qualität des Radwegenetzes in Deutschland. Doch auch die deutschen Radwanderer sind nicht unkritisch und verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf Dänemark. Schließlich gilt Kopenhagen immer noch als die fahrradfreundlichste Stadt Europas. Direkt dahinter rangiert München.