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Die pikante Geschichte der Krakauer Wurst

Krakauer Wurst
Krakauer Wurst | © Goethe-Institut

Kardamom in der Krakauer? Ganz zu schweigen von Ingwer und Zimt. Selbstverständlich hätte ein echter sarmatischer Feinschmecker sich ohne diese und viele andere exotische Gewürze kein verdauliches Schweinefleisch vorstellen können.

Von Agnieszka Kuś

Wurst hat einen wichtigen Stellenwert unter den kulinarischen Vorlieben vieler Polen – das wussten sogar die Genossen in der Zeit der Volksrepublik. In der Parteiführung wurde etwa über die Einstellung der Produktion der Zitronenwurst (Cytrynowa) nach Art der Krakauer Wurst (Krakowska, die aber ganz anders beschaffen ist als die in Deutschland als Krakauer bezeichnete Sorte) beraten. Im Mai 1956 fand zu diesem Thema eine Sitzung in Form einer Verkostung statt. Einer der Teilnehmer war Tadeusz Gede, der bis 1956 stellvertretender Premierminister und später lange Zeit Botschafter in der UdSSR und der DDR war, bevor er diplomatische Stellen übernahm, die mit dem Industrie- und Handelsressort verbunden waren.
           
Bei diesem Treffen galt es zu entscheiden, welche Wurstsorten in der staatlich kontrollierten Produktion belassen und welche zurückgezogen werden sollten. Den sozialistischen Verkostern ging es nicht so sehr darum, neue Trends im polnischen Fleischerhandwerk zu kreieren als vielmehr um Sparmaßnahmen. So wurde vorgeschlagen, die Fülle für die Saybuscher Wurst, die Żywiecka, in der Krakowska zu verwenden und Tadeusz Gede regte eine Änderung der Zusammensetzung der Zutaten für die Myśliwska, die „Jägerwurst“ (die wiederum nichts mit der deutschen „Jagdwurst“ zu tun hat), an. Die Parteigenossen waren sich durchaus der Verbundenheit bewusst, welche die Bürger für bestimmte Wurstsorten empfanden, dennoch schreckten sie nicht davor zurück, Rezepturen zu manipulieren und damit zur Vernichtung alter kulinarischer Traditionen beizutragen.  
           
Die Frage der Versorgung der Gesellschaft mit Fleisch- und Wurstwaren, deren Preis in den Zeiten der Volksrepublik unter den Produktionskosten lag, hatte Einfluss auf die Stabilität des Systems. Versorgungsengpässe wurden den Machthabern als Beweis ihrer Unfähigkeit ausgelegt. Die Propaganda der VRP und die verhältnismäßig günstigen, staatlich subventionierten Lebensmittel weckten einen allgemeinen Konsumismus im Fleisch- und Wurstsektor. Vor dem Krieg war der Fleischgenuss für die meisten Polen ein kaum erschwinglicher Luxus und die Kommunisten versprachen schließlich einen Wandel zum Besseren.
           
Die Krakowska überlebte diese Säuberungsaktion, aber auch die Parteiaktivisten selbst mussten zugeben, dass sie nicht genauso schmeckte wie vor dem Krieg. Gemäß dem Eintrag in das Register der traditionellen Produkte des Ministeriums für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sollte die heutige Trockene Krakowska nach Pfeffer, Kümmel, Knoblauch, Salz und eventuell Muskatnuss schmecken. Vor dem Krieg waren diese dick geschnittenen Dauerwürste noch etwas anders zubereitet worden. Laut Andrzej Różycki, einem Krakauer Wurstereimeister und Autor eines Fleischereilehrbuchs aus dem Jahr 1926, waren etwa 2 cm breit geschnittene hochwertige Schweinefleischstücke mit Salz, Zucker und Salpeter zu marinieren und anschließend mit Pfeffer, Knoblauch, Piment und Kardamom abzuschmecken.
           
Kardamom, Muskatnuss und viel Pfeffer in polnischer Wurst? Eine solche Gewürzmischung mag uns heute exotisch anmuten, aber die Küche der Schlachta, des altpolnischen Adels, war tatsächlich von einer Vorliebe für Wurzelgewürze geprägt. In Georg Andreas Böcklers Handbuch Nützliche Hauß- und Feldschule (die erste Auflage erschien 1678 in Nürnberg) steht ein Rezept für „Brat-Würstlein auf Polnische Art“. Das Fleisch war mit Salz, Pfeffer, Nelken, Muskatnuss, Mazis, Ingwer, Zimt, Koriander, Anis und Kerbel sowie etwas Muskateller abgeschmeckt. Erwähnt sei auch, dass Schweinfleisch in früheren Jahrhunderten als schmackhaft, aber schwer verdaulich galt, was durch die Zugabe von Koriander, Anis und Kerbel abgeschwächt werden sollte.
           
Die besten Schweinfleischstücke und teuren Gewürze brauchte man für die elitären Wurstsorten. Als der junge Ambroży Grabowski 1797 seine Buchhändlerlehre begann, war sein Appetit aber sicherlich größer als sein Geldbeutel. Die Krakauer Würste mochte er gern. Er speiste bei Marktfrauen, die sogenannte Hundewürste (Psie Kiełbaski) anboten, die in mobilen Öfen – mit Ton abgedichteten Holzkisten – zubereitet wurden. Die fingerbreiten Würste bestanden aus dick geschnittenem Schweinefleisch von minderer Qualität und waren außerdem recht fett. Sie wurden in Tonschüsselchen mit dem Sud, in dem sie gekocht hatten, gereicht. Viele Jahre später wurde Ambroży Grabowski zu einer Autorität im Bereich der polnischen Geschichte und zum Nestor der Krakauer Bildungsbürgerfamilie Estreicher. Da durfte er es natürlich nicht mehr bei Hundewurst bewenden lassen.
           
Nicht alle teilten die Begeisterung für Krakauer „Street Food“. Tragbare Öfen, die auf den Straßen aufgestellt wurden, sogenannte Farynas, galten nicht zu Unrecht als primitivste Art der Gastronomie. Mikołaj Rej, der Vater der polnischen Literatur, hegte gegen sie eine ausgesprochene Abneigung, dennoch verdanken wir ihm eine der ältesten Beschreibungen dieser Art von Gastronomie. In der Kategorie Fleisch und Wurst eröffnen seine Liste Bratwürstchen neben Salceson (Presssack) und gebratener Leber mit Essig und Zwiebeln. Rejs Zeitgenossen erwähnen insbesondere seinen gesegneten Appetit, der allerdings von der schnellen städtischen Lebensweise und einer im Vorbeigehen verspeisten Wurst auf dem Krakauer Hauptmarkt Abstand nahm.
           
Die Farynas sind von den Krakauer Straßen in der Zeit des Ersten Weltkriegs verschwunden. Ihre Tradition setzt gewissermaßen der legendäre blaue Lieferwagen der Marke Nysa fort, der nachts an der Markthalle in der Grzegórzecka-Straße steht. Es ist ein bisschen schade, dass keine städtische Wurstküche überdauert hat, die sich noch einer mittelalterlichen Provenienz rühmen könnte. Zwar gibt es den Schweidnitzer Keller in Breslau schon seit 1273, aber wir finden keinen Ort, wo man solche Spezialitäten bekommen könnte wie im historischen Wurstkuchl auf der Steinernen Brücke in Regensburg, das offiziell seit Mitte des 12. Jahrhunderts besteht. Das heutige Gebäude stammt aus dem 17. Jahrhundert, aber der Geruch, der Geschmack und die jahrhundertealte Tradition würden Ambroży Grabowski mit Sicherheit in helle Begeisterung versetzen.
 

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