Das Elitäre in den Künsten | Musik
Take a walk on the wild side. Lou Reed zwischen Elitismus und Popularität

01Key Visual Eliten
Igor Miske © Unsplash

Für die Beschreibung von Popmusik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führen die Attribute elitär und populär schnell in ein Dickicht aus weiteren (vermeintlichen) Gegensatzpaaren wie Mainstream versus Underground, Hochkultur versus Subkultur oder Pop versus Kunstmusik, die sich weder eindeutig antipodisch noch parallel zu den Attributen elitär und populär verhalten. Geradezu paradigmatisch für diese verwobenen Bedeutungsebenen ist das Wirken der Rocklegende Lou Reed.

Die vielen in diesem Zusammenhang aussagekräftigen Ereignisse und Wendungen seiner Geschichte werden im Folgenden in drei exemplarischen Stationen kondensiert. Diese Stationen stellen jeweils eine andere Konnotation von elitär und populär dar. Dabei wird eine Oszillation zwischen diesen Polen deutlich, die nicht in klaren Definitionen aufzulösen ist. Gerade dieses Spannungsfeld ist es, das Popkultur, und hier im besonderen Popmusik, ausmacht und immer wieder neu ihr gesellschaftliches Potential erschließt.
 

The Velvet Underground & Nico

The Velvet Underground & Nico | © Billy Name, Wikipedia, bearbeitet, CC0-1.0

1967: Die erste Station markiert eine Form der Popkultur-Elite, die sich quer zu Dichotomien wie Pop und Kunst und damit auch quer zu einer klassischen Vorstellung von elitärer Kunstmusik und populärer Popmusik positioniert. Bevor Lou Reed seine Solokarriere startete, war er Mitglied der Band The Velvet Underground, die er mit seiner markanten Stimme und seiner kompromisslosen Experimentierfreude unverkennbar prägte. Velvet Underground erzielten im ersten Jahrzehnt, in dem Lou Reed noch ein aktives Mitglied war, kaum nennenswerte kommerzielle Erfolge. Stattdessen waren sie Teil der New Yorker Avantgarde – besonders durch ihre Zusammenarbeit mit Andy Warhol, die hier exemplarisch mit dem Erscheinen des maßgeblich von Warhol produzierten Debütalbums The Velvet Underground & Nico (1967) verzeichnet ist. In diesem Umfeld mischte sich Popkultur mit Kunst auf eine Weise, die einen Gegensatz zwischen populär und elitär sowie eine zwingende Kopplung von Popkultur mit dem Attribut populär im Sinne von massentauglich aus den Angeln hob. 

1996: Avant-Pop-Acts wie The Velvet Underground prägten das Bild von Subkulturen als Keimzellen politischer Opposition und innovativer Musik. Konträr dazu wird Popmusik in einer ebenso gängigen Lesart mit Massenkultur gleichgesetzt. Popularität ist aus dieser Perspektive mithilfe von Verkaufszahlen zu messen. Auch für diese Facette des Popmusik-Business ist Lou Reed ein schillerndes Beispiel. Nach seiner musikgeschichtlich einflussreichen, aber kommerziell erfolglosen Zeit bei Velvet Underground spielte er schon mit seiner zweiten Soloplatte Transformer (1972) Platin ein. Die Verlaufskurve seiner weiteren Chartplatzierungen ist zwar wechselhaft, aber auf sein gesamtes Musikerleben gesehen stetig ansteigend. 1989 gelang ihm mit dem Album New York der internationale Durchbruch. Am Ende wurde sein Kultstatus als Rocklegende mit einer zweifachen Aufnahme in die Hall of Fame (1996 mit The Velvet Underground, 2015 posthum als Solokünstler) symbolisch zelebriert. 
Rock and Roll Hall of Fame

Rock and Roll Hall of Fame | © Andrew Hitchcock, Flickr, bearbeitet, CC-BY-2.0

Dieser außerordentliche Erfolg befeuerte außerdem eine retrospektive Aufwertung seiner frühen Zeit mit The Velvet Underground. Wenn auch die Band durch ihren großen künstlerischen Einfluss auf nachfolgende Generationen in Kennerkreisen längst als Pionier gefeiert wurde, ist doch eine überdurchschnittlich gut verkaufte Neuauflage der Platte The Velvet Underground & Nico (Super Deluxe Edition inkl. Bonus Tracks & Hardcover Buch, 2012) anlässlich ihres 25jährigen Erscheinens ohne diesen Erfolg nicht zu erklären. Diese Neuauflage ist außerdem ein Beispiel für den Zyklus zwischen authentischer Produktion und ökonomischer Aneignung, der das komplizierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mainstream und Opposition (und die damit einhergehende spezifische Form des Wortpaares populär und elitär) bestimmt. 
 
Lou Reed 1977

Lou Reed 1977 | © Arista Records/Photo by Mick Rock, Wikipedia, bearbeitet, CC0-1.0

2000: Auch die Neuauflage von Lou Reeds umstrittenster Platte Metal Machine Music (1975) wird von diesem Mainstream-Erfolg getragen. Zum Entsetzen seiner damaligen Plattenfirma RCA und zum Ärger der meisten seiner Fans veröffentlichte Lou Reed 1975 eine Platte, deren Klangmaterial aus reinem Gitarrenfeedback besteht. Nach nur drei Wochen wurde Metal Machine Music wieder aus dem Sortiment genommen und führte über zwanzig Jahre ein Schattendasein als Bootleg. Mit dieser Provokation hätte sich Lou Reed damals fast seine Karriere zerstört. 25 Jahre später, im Jahr 2000, wurde die Platte von Bob Ludwig neu gemastert und bei Buddha Records neu aufgelegt. Auf einmal (zu einem Zeitpunkt also, an dem musikgeschichtliche Entwicklungen Kategorien wie Noise und Drone hervorgebracht hatten), wurde die Platte ein voller Erfolg, und zwar nicht in der Kategorie „Popmusik“, sondern in der Kategorie „zeitgenössische Kunstmusik“. Das Ensemble zeitkratzer hat die Platte transkribiert, in eine 34seitige Partitur für elf Instrumente transferiert und – teilweise mit Lou Reed persönlich – live aufgeführt. In Szenen experimenteller avantgardistischer Musik wurde Metal Machine Music daraufhin als visionäre Pionierplatte einer nachfolgenden Noise-Generation gefeiert – sie wurde also populär in einem elitären Kontext und ist darüber hinaus ein Sinnbild für die Popularisierungstendenzen zeitgenössischer Musik.
 
 
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