In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der moderne Ausdruckstanz in den USA in engem Austausch mit Deutschland. Danach gingen US-amerikanische Tänzer*innen ihre eigenen Wege. Die Popularität des Modern Dance wurde auch durch politische Entscheidungen beeinflusst.
In den Dreißigerjahren bekam der amerikanische Modern Dance erstmals einen nationalen Charakter und erreichte den Höhepunkt seiner Beliebtheit in den darauffolgenden Jahrzehnten. Zeitgenössischer Tanz wurde in Kunsthochschulen und an Universitäten institutionalisiert, begeisterte ein breites theateraffines Publikum und leistete einen wichtigen Beitrag zum goldenen Zeitalter des amerikanischen Musicals in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Beliebtheit ließ sich jedoch nach dem Boom der Siebzigerjahre nicht fortsetzen. Am Ende des Jahrhunderts hatte sich der moderne Tanz, der jetzt postmoderner Tanz genannt wurde, zu einer elitären Form entwickelt, die hauptsächlich in New York und an Universitäten aufgeführt wurde.
Von 1900 bis 1930 waren der amerikanische und der deutsche moderne Tanz im Prinzip nicht zu unterscheiden. Solist*innen wie Isadora Duncan und Ruth St. Denis tourten sowohl durch Europa als auch durch die Vereinigten Staaten und sprachen besonders weiße Frauen der Mittelschicht an, die neue Möglichkeiten der weiblichen Mobilität in den Performances sahen – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne.
Isadora Duncan. Aquarell über Tintezeichnung von Abraham Walkowitz, um 1915 | © Abraham Walkowitz, Brooklyn Museum, Wikipedia, bearbeitet, CC0-1.0
Viele der Zuschauer*innen nahmen selbst Unterricht in der neuen Bewegungskunst; die Partizipation von Amateur*innen war besonders an den Universitäten verbreitet. Die Ausbildung im modernen Tanz war darüber hinaus Teil einer breiteren Bewegung im Theater und im Film. 1916 gründeten Ruth St. Denis und Ted Shawn ihre Denishawn-Schule in Los Angeles und trainierten während des nächsten Jahrzehnts sowohl Stummfilmschauspieler*innen als auch Tänzer*innen. 1921 begann Martha Graham, am Neighborhood Playhouse in Greenwich Village zu unterrichten und nicht nur Tänzer*innen, sondern auch Schauspieler*innen wandten ihre Methoden für expressive Bewegungen an.
In den Dreißigerjahren etablierte der amerikanische Modern Dance seinen nationalen Charakter durch die Versuche amerikanischer Tänzer*innen, ihre künstlerische Praxis von den deutschen und europäischen Vorgängern abzuheben. Zwischen 1934 und 1939 bildete die Bennington School of the Dance unzählige moderne Tänzer*innen aus, von denen viele anschließend Studiengänge im Fach Tanz an Universitäten und Kunsthochschulen mitbegründeten. Einige der Bennington Künstler*innen waren außerdem Teil einer politisch linken Tanzbewegung, deren Mitglieder zu jener Zeit gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen ausbildeten und vor einem Publikum von revolutionären kommunistischen Arbeiter*innen auftraten. In den Dreißigerjahren schlossen sich afroamerikanische Künstler*innen wie Katherine Dunham der Modern Dance-Bewegung an und stellten sie damit als eine von Weißen geprägte Kunstform in Frage, als die sie sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte.
Katherine Dunham, 1938 | © Library of Congress, Picryl, bearbeitet, CC0-1.0
In den Vierziger und Fünfzigerjahren zogen Modern Dance-Performances, insbesondere die von Martha Graham und Katherine Dunham, ein breiteres Theaterpublikum an. Die modernen Tänzerinnen Helen Tamiris und Hanya Holm begannen, Musicals am Broadway zu choreographieren und boten so vielen Tänzer*innen eine Anstellung. Gleichzeitig finanzierte die US-Regierung in den Fünfzigerjahren internationale Tourneen der modernen Tänzer*innen Martha Graham und José Limón und setzte sie als diplomatisches Mittel im Kalten Krieg ein. Die Popularität der Kunstform in den Nachkriegsjahren erreichte ihren Höhepunkt in den sechziger und Siebzigerjahren, als die neugegründete Regierungsorganisation National Endowment for the Arts US-Tourneen von Modern Dance-Ensembles finanzierte. Die Gegenkultur jener Zeit sah den modernen Tanz als Bestandteil einer breiteren sexuellen Revolution und als eine „Rückkehr zum Körper“ an – die Kontaktimprovisation fand während dieser Jahre eine weite Verbreitung.
Martha Graham und Bertram Ross in Visionary Recital, 1961 | © Carl Van Vechten, Library of Congress, Wikipedia, bearbeitet, CC0-1.0
In den Achtzigerjahren verlor der Modern Dance jedoch sein breites Publikum aufgrund von Einschnitten in der Kulturförderung durch die Reagan-Regierung. Eine postmoderne Ästhetik, wie sie erstmals bei dem Choreographen Merce Cunningham und dem Judson Dance Theater in Erscheinung getreten war, dominierte die Kunstform. Dies führte dazu, dass das breite Theaterpublikum zunehmend das Interesse am modernen Tanz verlor. Es gab allerdings auch Ausnahmen: In den Sechzigerjahren ließ Alvin Ailey eine afrikanistische Ästhetik in den modernen Tanz der Jahrhundertmitte einfließen und sein Ensemble zieht bis heute ein großes Publikum an. In den frühen Neunzigerjahren schuf Bill T. Jones epische Werke als Antwort auf die Kulturkämpfe jener Zeit – Last Night at Uncle Tom’s Cabin/The Promised Land und Still/Here – die große Zustimmung fanden. Seither hat Jones mehrere erfolgreiche Musicals choreographiert, darunter Fela! und Spring Awakening.
1984 sah Bill T. Jones einen Auftritt von Pina Bausch während ihrer Premierensaison in New York; ihr ausladender Tanzstil sollte zu einem der vielen Einflüsse auf seine nachfolgende Karriere werden. In den achtziger und Neunzigerjahren begann der moderne amerikanische Tanz Einflüsse aus dem Ausland aufzunehmen: nicht nur aus dem deutschen modernen Tanz, sondern auch aus dem japanischen Butoh sowie modernem Tanz aus Lateinamerika und Asien. In der Tat stellen Historiker*innen durch diese jüngste Globalisierungsbewegung die nationale Perspektive auf den deutschen und amerikanischen Tanz in Frage und setzen sich stattdessen für eine transnationale Geschichte der Bewegung ein (Manning 2019). Die Globalisierung hat jedoch keineswegs zum Populismus geführt: Studien des National Endowment for the Arts zeigen, dass Liebhaber*innen des modernen Tanzes noch immer zu den gebildetsten aller Kunstkonsumenten gehören.
Bibliographie:
Daly, Ann. 1995. Done Into Dance: Isadora Duncan in America. Indianapolis: University of Indiana Press.
Foulkes, Julia. 2002. Modern Bodies: Dance and American Modernism from Martha Graham to Alvin Ailey. Chapel Hill: University of North Carolina Press.
Jowitt, Deborah. 1988. Time and the Dancing Image. New York: William Morrow.
Manning, Susan. 2004. Modern Dance, Negro Dance: Race in Motion. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Manning, Susan. 2019. “Dance History,” in: Bloomsbury Companion to Dance Studies, ed. Sherril Dodds. London: Bloomsbury Publishing.
Perpener, John O. 2001. African American Concert Dance: the Harlem Renaissance and Beyond. Urbana: University of Illinois Press.
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