Bluegrass ist eine spezifisch amerikanische Populärmusik, die ihre Wurzeln in den Traditionen anglo- und afroamerikanischer Stringbands hat. Das Genre und dessen Bezeichnung wurden Mitte der 40er Jahre von Bill Monroe und seinen Blue Grass Boys erfunden. Als eine professionelle und kommerzialisierte Form der Folkmusik schwankte Bluegrass im Laufe seiner Geschichte zwischen zwei Paradigmen: einem eher populistischen, bei dem die Musik hauptsächlich von den Folk-Communities gehört und gespielt wurde, die sie auch hervorgebracht hatten, und einem elitären, bei dem Außenstehende versuchten Folk für künstlerische oder akademische Zwecke zu nutzen.
Seit dem frühen 20. Jahrhundert haben Musikwissenschaftler*innen und Musiker*innen anderer Genres großes Interesse an Bluegrass und seinen Vorgängergenres gezeigt, allerdings auf eine Art, die die Musik zur Ware macht und sie dabei radikal verändert. Gleichzeitig haben sich Bluegrass und ihm verwandte Stile als anpassungs- und widerstandsfähig erwiesen und die Verbindung zu den Folk-Communities, in denen sie ihre Wurzeln haben, nie verloren. Diese Communities, denen jeder Elitismus fremd ist, beanspruchen ihn immer noch für sich.
Die Ursprünge des Bluegrass liegen in der Tanz- und Unterhaltungsmusik, die von weißen und schwarzen Amerikaner*innen im 19. Jahrhundert auf der Geige und dem Banjo gespielt wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts war sie größtenteils immer noch eine Art von volkstümlicher Musik, die hauptsächlich in den Communities gespielt und gehört wurde, die sie auch hervorgebracht hatten. In den 20er und 30er Jahren trat verstärkt ein akademisches Interesse an der Musik auf, als die Institutionalisierung der amerikanischen Folklorestudien zu einer Vielzahl von Dokumentationen und Forschungsprojekten führte.
Carl Sandburg
| © Al Ravenna, World Telegram staff photographer, Carl Sandburg NYWTS, bearbeitet, CC0 1.0
Liedersammlungen wie Carl Sandburgs American Songbag (1927) überführten Folksongs aus einer mündlichen Tradition in den Kontext der Hochkultur. Ein Gegengewicht zu dieser elitären Entwicklung war die Etablierung der „Roots Music“ in der Musikindustrie. Dies waren die ersten kommerziellen Aufnahmen der heutigen Country Music. Stringbands wie The Skillet Lickers hatten, noch bevor man ihren Stil offiziell als Bluegrass bezeichnete, erheblichen kommerziellen Erfolg.
Bluegrass als Genre etablierte sich im Laufe der 40er Jahre als der Mandolinist Bill Monroe einen ambitionierten, virtuosen und progressiven Ansatz für seine Country-Stringband entwickelte. Dieser Ansatz kombinierte den Drei-Finger-Stil am Banjo von Bandmitglied Earl Scruggs mit dem eindringlichen Gesang von Lester Flatt und Monroe selbst. Der Stil stellte sich bei einem breiten Publikum als außergewöhnlich erfolgreich heraus, verband er doch Folk-Traditionen mit einem kompromisslosen, beinahe jazzigen Modernismus.
Anfang der 60er Jahre fand der Bluegrass im Folk-Revival seinen Platz und galt als Beispiel für die Art Musik, die der Folklorist Alan Lomax als „folk music with overdrive“ bezeichnete, als Folkmusik mit Schnellgang. Im Zuge dieses Revivals fanden tausende junge, gebildete und wohlhabende Fans zu dieser im Grunde ländlichen Musik und Bluegrass wurde zunehmend an Universitäten und in großstädtischen Nachtclubs gespielt.
In den 80er Jahren kam ein neuer Typ von „Pop-Bluegrass“ auf, der die rauen Kanten des Genres für ein Mainstream-Publikum glättete. Die bekannteste dieser neuen Berühmtheiten war Alison Krauss und ihre Band Union Station. Krauss erhielt mehrere Grammy Awards. Die Popularisierung des Bluegrass erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 2000 mit dem Film O Brother, Where Art Thou? (der Soundtrack enthielt unter anderem Musik von Krauss), während die Musik gleichzeitig ein neues Niveau an Virtuosität und Raffinesse erreichte. Bis zum Jahr 2000 hatte sich der Bluegrass soweit etabliert, dass die Musik an Universitäten und Konservatorien gelehrt wurde. Neuere Bluegrass-Künstler*innen entwickelten ihren Ausdruck eher in Richtung einer zeitgenössischen Kammermusik weiter. Besonders hervorzuheben ist hier das Album The Goat Radio Sessions, für das die virtuosen „Newgrass“-Bandleader Chris Thile und Stuart Duncan mit den klassischen Musikern Edgar Meyer und Yo-Yo Ma für eine höchst anspruchsvolle Kollaboration zusammenkamen, die die Grenzen hergebrachter Genres überschreitet.
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