Nur sechs Jahre beherbergte das Bauhaus Dessau die Hochschule für Gestaltung, darauf folgte eine wechselvolle und dramatische Geschichte der Schließung, teilweisen Zerstörung und temporären Nutzung. 1976 wurde das sanierte Gebäude zum 50. Geburtstag in der DDR wiedereröffnet und nach der Stiftungsgründung im wiedervereinten Deutschland in die UNESCO Welterbeliste aufgenommen.
Hunderttausende internationale Tourist*innen kommen jährlich, um das Bauhausgebäude in Dessau zu besichtigen. Das von Walter Gropius entworfene und 1926 errichtete Gebäude fehlt in keinem Standardwerk der Architekturgeschichte und hält den Bildern, die seit 90 Jahren um die Welt zirkulieren, stand: Es ist immer noch faltenlos schön.
Verändert haben sich sein Umfeld, seine institutionelle Struktur, seine Nutzer*innen und Gäste, seine Abläufe und seine Heizung.
Die Radikalität des Bauhausgebäudes wird vor allem mit seiner Konstruktionsweise, seiner horizontalen, die Bewegung betonenden Organisation der Baukörper, vor allem aber mit seiner Glasvorhangfassade assoziiert. Der nahezu schwebende, entmaterialisierte, von der Schwere der tragenden Wand entlastete Werkstattflügel hat seine damaligen Besucher*innen in Erstaunen versetzt. Die Faszination lässt sich auch darauf zurückführen, dass beim Bewegen durch die Räume nahezu körperlich erfahrbar wurde, was das Leben in den 1920er Jahren zu strukturieren begann: Die tradierte gebaute Umgebung der Gründerzeit schien der Simultanität von medial verbreiteten Bildern und Botschaften, der Beschleunigung des Alltags, der Verdichtung sozialer Erfahrungen und räumlicher Beziehungen nicht mehr zu entsprechen. Glasbauten brachten nicht nur die Begeisterung der Architekten für diesen Baustoff zum Ausdruck, sie verkörperten eine neue, moderne Alltagskultur.
Dabei waren Bauten aus Glas kein Novum: Bereits 1911 hatte Gropius für die Schuhleistenfabrik Fagus in Ahlfeld einen Curtain Wall entworfen.
Außenansicht des Glashaus-Pavillon | © Unbekannt, Wikipedia, bearbeitet, CC0-1.0
1914 präsentierte Bruno Taut seinen Glaspavillon auf der Werkbundausstellung in Köln. Fünf Jahre später im Nachbeben der Novemberrevolution initiierte er den Briefzirkel Die Gläserne Kette: Hier tauschten Künstler, Schriftsteller und Architekten wie Paul Scheerbart, Wenzel Hablik, Hans Scharoun und Walter Gropius ihre utopischen Gedanken aus. In Zeichnungen und Texten schlugen sie eine neue Architektur, geschaffen aus den transparenten, spirituellen Qualitäten des Glases, vor, die auf gotische Kathedralen Bezug nahm.
Walter Benjamin zitiert in seinen Überlegungen zur „Erfahrungsarmut“ als Signatur der Zeit Paul Scheerbart, der die Menschen in beweglichen Behausungen aus Glas untergebracht sah. Glas sei schließlich, so Benjamin „ein hartes und glattes Material, an dem sich nichts festsetzt“; mit der neuen „Glaskultur“, an der auch das Bauhaus mitwirkte, entstünden Räume, in denen es schwer sei „Spuren zu hinterlassen“.1 Zugleich war es Benjamin, der die populären Glasarchitekturen des 19. Jahrhunderts, die Bahnhöfe, Ausstellungshallen und Kaufhäuser als „Traumhäuser des Kollektivs“ beschrieb. In den Glasbauten breche sich eine neue moderne Kultur Bahn, die eine klassenlose Gesellschaft vorwegnähme.
In diesen aufgeladenen kulturellen Debatten wurde das Bauhausgebäude wie eine in Glas und Stein materialisierte Utopie wahrgenommen, offen für Deutungen aus unterschiedlichsten ideologischen Lagern. Waren die modernen medialen Kulturen konstitutiv für das Bauen aus Glas, so trugen Filme, Zeitschriften, Bücher, Ausstellungen und Fotografien zur internationalen Verbreitung derselben bei. 1927 veröffentlichte Walter Gropius in dem Buch Internationale Architektur das Bauhausgebäude zusammen mit internationalen Beispielen einer neuen weltumspannenden Baugesinnung. Die ikonischen Bilder der Fotografin Lucia Moholy trugen zur Popularisierung eines bestimmten Blickregimes des Gebäudes bei. Ihre Fotos vom Bauhausgebäude waren auch auf der Ausstellung Machine Age 1927 zu sehen – der ersten umfassenden Schau internationaler Avantgarde in Kunst und Architektur in New York.
Alfred Barr, fasziniert von den Glasbauten, besuchte auf seiner Europareise auch das Bauhaus. Diese Begegnung inspirierte nicht nur die Gründung des Museums of Modern Art 1929, dessen erster Direktor Barr wurde, sondern auch die Idee, eine Ausstellung dieses neuen „Baustils“ in New York zu organisieren.
Gemeinsam mit Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock unternahm er weitere Reisen, um Material für eine Publikation über die zeitgenössische Architektur mit dem Titel The Internationale Style. Architecture since 1922 zusammenzutragen. Die an formalen stilistischen Kriterien orientierte Einordnung der europäischen Bauten von Hitchcock und die damit verbundene Auslassung der politischen und sozialen Kontexte des Neuen Bauens prägte auch die 1932 stattfindende Ausstellung Modern Architecture. International Exhibition. Die Schau ist ein Meilenstein in der Kanonisierung und Popularisierung des Bauhausgebäudes als Stil: Dazu trug die modulare Regelmäßigkeit, der Verzicht auf das Ornament und die Auflösung des massiven Baukörpers hin zur Architektur des Raumes bei.2 Dass die deutschen Emigranten Walter Gropius, Marcel Breuer und Mies van der Rohe, die wenige Jahre später in die USA übersiedelten, diese Popularisierung und Uminterpretation des Neuen Bauens hinnahmen, hatte wohl auch mit ihrem Status als Exilanten und dem Bemühen um Anerkennung in einem für sie fremden Land zu tun.
Rekonstruierte Fassade des Bauhauses Dessau
| Wikipedia, bearbeitet, CC-BY-SA-4.0'
Glashäuser wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum amerikanischen Markenzeichen der machtvollen Repräsentation großer Unternehmen: Das Lever Building von SOM 1952 oder das Seagram Building von Mies van der Rohe 1958 in New York sind Signaturen dieses Wandels vom Experiment zum Mainstream.
Wirtschaftsboom, Massenkonsum und Konzernkapitalismus im geopolitischen Kontext des Kalten Krieges schrieben den Bauten aus Glas eine andere Bedeutung zu. Die eleganten, glatten, technisch perfekten Fassaden symbolisierten nicht nur den Aufstieg und Erfolg großer Konzerne, sie organisierten auch deren Operationen und gaben diesen eine ästhetische Form. Obwohl beraubt von den utopischen Ideen der frühen Jahre, wurden Glashüllen von amerikanischen Botschaftsgebäuden und Hotels zu Wahrzeichen westlicher Freiheit, Demokratie und kultureller Überlegenheit.3 Zudem gehörten Curtain Walls bald zum gängigen Repertoire der Bauwirtschaft in den USA. Im Sweet‘s Katalog – einem der führenden Baumärkte dieser Jahre – ist auch der Curtain Wall im Angebot. So verwundert es nicht, dass in den Architekturzeitschriften der einstige europäische Import zur amerikanischen vernakulären Architektur umgedeutet wurde.
Solchermaßen aufgeladen war die Reintegration der Glasbauten in das Nachkriegswestdeutschland als normative Architektur, als Kontrapunkt zur Monumentalität des Nationalsozialismus und als Symbol der Bindung an westliche Werte der Freiheit und Demokratie folgerichtig. Das Dreischeibenhochhaus in Düsseldorf, 1957 von den Architekten Hubert Petschnigg und Helmut Hendrich für die Phoenix Rheinrohr AG errichtet, gilt als frühes Zeugnis dieser erneuten transatlantischen Konversationen entlang des Curtain Wall.
Bauhaus-Logo | © Oskar Schlemmer, Wikipedia, edited, CC0-1.0
Trotz der Komplizenschaft mit Kapitalismus, Kaltem Krieg und Kommerz: Glasvorhangfassaden dieser Jahre enthielten in ihrer DNA das Versprechen von sozialem Aufstieg und Wohlstand. Erst an den schicken, von John Portman entworfenen Spiegelfassaden der Postmoderne bricht sich das Versprechen moderner Transparenz. Schließlich haben die mit dünnen Glashäuten verspannten Bankentürme von Dubai bis New York und von Shanghai bis London als Wahrzeichen des neoliberalen global operierenden Finanzkapitalismus von ihren Vorfahren lediglich die Idee der Freiheit der Geldflüsse übernommen.
1 Benjamin, Walter. (1991). Erfahrung und Armut. In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, vol. 2. Frankfurt/Main, p. 213
2 Thöner, Wolfgang. (2003). Austreibung des Funktionalismus und Ankunft im Stil. In: Regina Bittner (ed.), Bauhausstil zwischen International style und Lifestyle. Berlin, p. 121
3 Ockman, Joan. (1997). Towards a theory of normative architecture. In: Steven Harris and Deborah Berke (eds.), Architecture of the Everday. Princeton, p. 131
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