Das Elitäre in den Künsten | Musik
HipHop - Die Musik der Stunde
Wegen des überwältigenden Artenreichtums der HipHop-Kultur lassen sich Paradigmenwechsel nur schwer darstellen: Seit seiner Entstehung vor 40 Jahren ist die Musik aus der Bronx zu der weltweit dominanten popkulturellen Kraft schlechthin geworden. Im Folgenden sechs exemplarische Momente – unzählige andere fehlen.
1. Sugarhill Gang, Rapper’s Delight (1979)
„Now what you hear is not a test, I’m rapping to the beat / And me, the groove and my friends are gonna try to move your feet.“ Bereits die erste Strophe des 15 Minuten langen Rap-Epos (und ersten großen Verkaufserfolgs) macht klar, worum es geht: die Füße zu bewegen. Die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Dies ist im Wortsinn eine Musik der Straße, der unteren Schichten, der block parties – aber sie schielt schon um die Häuserecken und zu den Banktürmen von Manhattan.
2. Public Enemy, Fight the Power(1989)
Public Enemy-Chefideologe und main rapper Chuck D wütet gegen all-amerikanische Idole wie Elvis Presley und John Wayne und verkündet: „We gotta fight the powers that be!“ Der Song klingt wie ein Soundtrack zum kommenden Aufstand – zugleich ist er musikalisch ungehört komplex, sampelt James Brown und Bürgerrechtsredner, und Jazz-Legende Branford Marsalis steuert ein Saxofon-Solo bei. Die akademische Elite zeigt erstmals Interesse, Musikwissenschaftler analysieren den Track, bis die Ohren bluten.
3. Cornel West, Sketches of My Culture (2001)
Cornel West, Professor für Theologie und afroamerikanische Studien unter anderem in Princeton und Harvard, verfällt bei Vorträgen und Vorlesungen ohnehin gern in rhythmischen Sprechgesang und hat sich in seinen theoretischen Schriften immer wieder mit HipHop auseinandergesetzt. Es war daher wohl nur eine Frage der Zeit, wann er sein erstes Rap- und Spoken-Word-Album veröffentlichen würde. Das Ergebnis war nicht unbedingt ein ästhetischer Game Changer für den HipHop, führte das Genre aber immerhin tief in die Heiligen Hallen der Ivy League.
Ungefähr zur selben Zeit wurde ein platinblondierter Bengel aus Detroit mit virtuos gereimten Verbalinjurien und beatkräftiger Unterstützung des Gangsta Rap-Veteranen Dr. Dre zum finanziell erfolgreichsten Rapper aller Zeiten. Eminems autobiographisch gefärbten Berichte aus der weißen Unterschicht machten HipHop für den westlichen Mainstream kompatibel. Zugleich führte die LP mit Songs wie Stan avancierte postmoderne Erzählformen in den HipHop ein.
5. Wu-Tang Clan, Once Upon a Time in Shaolin (2015)
Haben Wu-Tang-Clan-Mastermind RZA oder sein Produzent Cilvaringz den Aufsatz von Walter Benjamin über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit gelesen? Das Doppelalbum Once Upon a Time in Shaolin wirkt jedenfalls wie eine Reaktion auf Benjamins berühmte Schrift. Von der CD wurde nur ein einziges Exemplar gepresst, dieses auratische Unikat wurde für zwei Millionen Dollar verkauft. In einem Interview wiesen RZA und Cilvaringz alle Vorwürfe des finanziellen Elitismus weitaus von sich und verwiesen auf den gritty sound. Bittere Ironie: Der Käufer war ausgerechnet der Pharma-Mogul Martin Shkreli.
Lamars viertes Album stieg auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts ein, er verkaufte über drei Millionen Exemplare, die Lead-Single landete auf Barack Obamas Jahresend-Playlist, und neben einem Grammy erhielt Lamar für das Album den Pulitzer-Preis. All das für ein Werk, das musikalisch schroffe Kanten hat und lyrisch erkennbar durch Lamars Kindheit und Jugend in Compton geprägt ist: „I know murder, conviction / Burners, boosters, burglars, ballers, dead …“ Die Straße und das Weiße Haus, Armut und Erfolg, Popularität und Elitismus lagen wohl niemals näher beieinander.
Zurück zur Übersicht