Das Elitäre in den Künsten | Bildende Kunst
Fotografie als Kunst: Wie sie wurde, was sie ist
Die Entwicklung der kreativen Fotografie folgte von Anfang an einem sehr holprigen Pfad: Sie kämpfte um Anerkennung als eigene Kunstform, sie litt unter der elitären Abschottung Alfred Stieglitz, sie blühte wieder auf durch die Gruppe f.64 und wurde schließlich fester Bestandteil moderner Kunst.
Die französische Regierung stellte der Welt im Jahr 1839 die grundsätzlichen Schritte, um ein Bild einzufangen und festzuhalten, frei zur Verfügung. Und doch stellte sich dieser Prozess als recht undurchschaubar und schwierig dar und erforderte besondere Fertigkeiten. Das Verfahren bestand darin, lichtempfindliche Silberplatten über Quecksilberdämpfen zu entwickeln, was oft zu langsamen Vergiftungen führte.
Bereits in diesen Anfangstagen sah sich die Fotografie dem Vorwurf ausgesetzt, sie könne nicht zu den schönen Künsten gehören; wird sie doch von einer Maschine, der Kamera, gemacht. Bis zur Jahrhundertwende war der Prozess schließlich stark vereinfacht und außerdem ungefährlich geworden. Kameras waren überall auf der Welt erschwinglich und fanden weite Verbreitung. Die Fotografie als Hobby boomte und sogenannte Camera Clubs waren plötzlich überall. Fotograf*innen mussten nicht einmal mehr selbst den Film entwickeln oder Abzüge von Negativen erstellen. Jeder konnte ein Foto machen, wie die Kodak-Werbung verkündete: „Sie drücken den Knopf, wir machen den Rest.“ Während des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts verfolgten die meisten Fotograf*innen einen Stil namens Piktorialismus, bei dem die Fotografien dem Aussehen etablierter Kunstrichtungen nachempfunden waren. Weichzeichner-Objektive, matt-strukturiertes und braungetöntes Fotopapier, das Manipulieren der lichtempfindlichen Emulsion des Negativs, romantische Ausleuchtung, eine gewollte Vereinfachung der Details – viele verschiedene Effekte wurden angewandt, um eine Fotografie wie eine Kohlezeichnung, eine Radierung oder eine Pastellzeichnung aussehen zu lassen: Manipulationstechniken, die zeigen sollten, dass die Hand des Menschen die Maschine bezwingen und somit die Fotografie als Kunst anerkannt werden konnte. Außerdem waren pseudo-historische Themen ein beliebtes Motiv, um die ernsthaften Absichten des bzw. der Fotograf*in zu kommunizieren. (Anne Brigman, The Soul of the Blasted Pine, 1907)
Als junger Mann studierte der Amerikaner Alfred Stieglitz (1864-1946) Fotochemie in Deutschland und brachte es dort in Fotografenkreisen dank zahlreicher Preise in verschiedenen Salons und Ausstellungen zu Prominenz. Er kehrte nach Hause zurück und leitete den Camera Club in New York. Stieglitz lehnte den Piktorialismus einschließlich der beliebten Weichzeichner-Objektive ab, und wählte stattdessen Linsen, die einen scharfen Fokus erlaubten. Dem traditionellerweise eingesetzten Studio-Licht zog er natürliches Licht vor. Sein Sucher nahm ungekünstelte, natürliche Kompositionen in den Blick, die er auf den Straßen der Stadt fand. Sein Ziel war es, die Fotografie als ein respektiertes und unabhängiges Medium zu fördern und eine Vision der Fotografie als Kunst zu kultivieren. Stieglitz eröffnete eine sehr einflussreiche Kunstgalerie in New York. Während er über die nächsten vier Jahrzehnte, während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, Fotografien, Malerei und Skulpturen ausstellte, fand er nur eine Handvoll Fotograf*innen, die er als seiner Unterstützung würdig erachtete. Zu Lebzeiten war er sicherlich einer der einflussreichsten Fotografen der Welt, kultivierte dabei aber eine Atmosphäre der Exklusivität. Er repräsentierte nur Künstler*innen, die, sinnbildlich gesprochen, vor ihm auf die Knie fielen. Seinen Käufern stellte er Höchstpreise in Rechnung und verkaufte nur an die, die er für würdig erachtete. Die von ihm kultivierte neue Sensibilität lehnte den Piktorialismus ab, feierte jedoch den Elitismus.
Im Jahr 1932 beschloss eine amerikanische Fotografie-Bewegung, die Group f.64, ihren eigenen Kurs einzuschlagen und die Fotografie ohne Stieglitz’ ausschließende Praktiken als Kunst zu etablieren – dazu gehörte für sie auch die Gleichstellung von Männern und Frauen. Die Mitglieder der Gruppe verurteilten Stieglitz als der Realität und der modernen Welt entfremdet, nachdem sie seine Anerkennung nicht gewinnen konnten. Exklusiv war die Gruppe nur in ihren gemeinsamen Überzeugungen. Sie waren sich außerdem darin einig, dass die Fotografie ein für alle Mal den Piktorialisten entrissen werden musste. Gemeinsam gelobten sie, eine eigene künstlerische Identität zu finden, die im Gegensatz zu der von Stieglitz stehen sollte.
Group f.64 benannte sich nach einer winzigen Blendeneinstellung: Brennweite f.64. Eine kleine Linsenöffnung in Kombination mit einer ausreichend langen Belichtungszeit ergab das fein fokusierte Bild mit einer großen Tiefenschärfe, die sie in ihren Abzügen einforderten. Die Fotografie ist das Medium des Lichts – Licht, das von einer Linse fokussiert wird. Sie ist in der Lage, ein Bild von ausgesuchter Detailschärfe, mit großer Schärfentiefe und der ganzen Palette an Tonalitäten zu produzieren. Die Fotografie kann ein Ausdruck von Unmittelbarkeit sein. Sie kann die Welt einfangen, wie sie vom Fotograf*innen gesehen und dargestellt wird (wenn sie auch nicht die wirkliche Realität abbilden kann).
Höchstwahrscheinlich war die Group f.64 die erste Kunstbewegung, die von Anbeginn von sowohl Männern als auch Frauen getragen wurde. Ihre Mitglieder*innen kamen aus allen sozialen Schichten. Drei von ihnen waren Studenten, zwei waren Porträtfotografen in einem Studio, einer war ein gescheiterter klassischer Pianist, außerdem gab es eine Hausfrau, einen Bankier, einen Kaufhausleiter, einen Fotoassistenten und einen Zeitungsfotografen. Alle arbeiteten in ihrer Freizeit daran, sich als kreative Künstler*innen, als kreative Fotograf*innen auszudrücken.
Um ihre Philosophie bekannt zu machen, beschlossen sie, ihren Plan für die Fotografie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Tradition anderer Avantgarde-Bewegungen jenes Jahrhunderts verfassten sie ein Manifesto, um ihre Überzeugungen öffentlich zu verkünden und einen Aktionsplan aufzustellen. Dieses hängten sie an der Wand ihrer ersten Museumsausstellung im November 1932 im M.H. de Young Memorial Museum auf.
Ihnen war bewusst, dass nicht nur die Vorbildfunktion ihrer Fotografien, sondern auch aktive Aufklärung eine Schlüsselrolle in diesem Feldzug einnehmen musste. Das bedeutete für sie das Schreiben von Büchern und Magazinartikeln. Es bedeutete das Unterrichten von Workshops und die Einrichtung von Schulen und Fotografie-Instituten an Universitäten und Museen. All diese Dinge setzten sie in die Tat um: Making a Photograph, ein Basislehrbuch darüber, wie man ein fein fokussiertes Negativ und einen scharfen Abzug von diesem Negativ macht (1935); das erste Institut für Fotografie in einem Museum—das Museum of Modern Art (MoMa), New York (1940); und das erste Institut für Fotografie (als kreative Kunst) an einer Universität, die anerkannte Abschlüsse anbot—das San Francisco Art Institute (1945).
Sie machten deutlich, dass die wahren Stärken der Fotografie auf das komplette Panorama des fotografischen Ausdrucks angewandt werden konnten. Wer waren diese Fotograf*innen? Was waren ihre Beiträge? Einige von ihnen sollten zu den größten Künstler*innen ihrer Zeit werden.