STRWÜÜ
bangaloREsidenten@ISRO
Das Künstlerduo STRWÜÜ fand 2014 zusammen.
Sie kidnappten eine Pflanze, aßen für einen Stopmotionfilm und performten zusammen mit einer Riesenseerose in einem Wasserbecken. Sie machten unhörbare Klangobjekte, versuchten sich gegenseitig gleichzeitig als Marionetten zu benutzen und legten ziemlich lange einen Stock auf einem Papier ein kleines Stückchen weiter. Sie schichteten Tiere zu sich immer weiter erneuernden Mustern, versahen alte Drucker mit Prothesen und liessen Taubenflöten in einer riesigen Halle kreisen. Sie verknüpften Schnüre, um Klänge zu formen, überbrückten Zeit, um Raum zu generieren, begleiteten Industriebauten beim oszillieren und zwangen Luft zu tanzen. Sie beraubten Ventilatoren ihre kühlenden Wirkung, kochten Harz, um Reibung zu erzeugen und versenkten ein Myzel in Klagen.
ABSCHLUSSBERICHT
Wir waren zu Gast bei der Indian Sonic Research Organisation (ISRO). Diese stellte uns einen Atelierraum zur Verfügung, in dem wir sehr bald weitere lokale Akteure kennen lernten. Dies lief schon nach kurzer Zeit auf eine Interaktion mit Pascal Sieger und Yashas Shetty zu. Wir zeichneten eine Performance in einem Chromakey Studio auf. Die Aufnahmen dieser Session nahmen wir am Ende unserer Residenz mit zur weiteren Bearbeitung.
ISRO organisierte uns mit der freundlichen Unterstützung von Srishti Institute of Art, Design and Technology auch unsere Wohnung, in der wir während unseres Aufenthaltes zusammen mit Professoren und Gastdozenten von Srishti lebten. Diesen Umstand genossen wir ungemein und führte wie zu erwarten zu einigen spannenden Abendgesprächen auf unserem bald sehr geliebten Balkon, welche hin und wieder in den entscheidenden Momenten von dem vor Ort ansässigen Affenrudel in neue Richtungen gelenkt wurde.
KOMPLEXE SYSTEME / FRUSTRATION UND GELASSENHEIT
Auch wenn die Bewohner und Besucher Bangalores sich gerne über den lokalen Verkehr beschweren, war dieser mit seiner eigenen Ästhetik und Regeln für uns ein zentrales Motiv unseres Interesses.
Wir hatten begonnen uns in den „local mode" einzutunen und bewegten uns zunehmend mit den lokalen Bussen, anstatt wie zu Beginn mit Taxis durch die Stadt. Dies war anfänglich etwas schwierig und führte uns des Öfteren in falsche Richtungen oder auf endlos lange, umständliche Umwege bis wir mehr und mehr den Bogen heraus hatten. Wir gewannen bald den Eindruck, dass vieles nicht nur der Verkehr oder der öffentliche Nahverkehr dieser Stadt auf den ersten Blick chaotisch wirkt, sich dahinter aber klare Regeln und Ordnungsprinzipien verbergen.
Die Logistiken hinter dem Kosmos der Märkte mit seinen tausenden an Straßen und dezentral organisierten Nischen, die von Werbetafeln und einem Sortiment an Waren überfüllt sind, dass sie jedem Einkaufszentrum das Fürchten lehren würden, können wir nur erahnen. Von andern schon genauer betrachtet wurden schon die Lebensmittellieferanten "Dabbawala" in Mumbai. Die Dabbawalas liefen täglich ca. 200.000 Essen aus und bringen später die leeren Behälter wieder an ihren Ursprungsort zurück. Die gesamte Organisation dieses Systems scheint schier undurchschaubar, wurde aber aufgrund seiner hohen Effizienz und unglaublich niedrigen Fehleranfälligkeit zum Objekt wissenschaftlicher Studien der Harvard Business School und des Indien Institute of Management. Auch die Abläufe am zentralen Waschplatz "Mahalaxmi Dhobi Ghat" sind arbeitsteilig organisiert und folgen einem klaren Codesystem.
Vor allem aber ist hier alles erst mal eines: Viel! Die Ahnengeschichten der Gottheiten sind überbordend oder die Vorstellungen, was heilig ist, die Anzahl der Sprachen, fast jede Familie hat eine eigene Idee, was man essen darf und was nicht. Alles ist mit tausenden von Regeln durchwoben.
Wir begannen diese scheinbar chaotischen Organisationssysteme auch mit den Kompositionsregeln indischer Ragas und Talas zu vergleichen. Die beiden Grundstrukturen der klassischen hindustanischen Musik für Melodie und Rhythmus klingen für nicht-indische Ohren schnell unberechenbar und wirr, folgen aber ebenfalls festen Regeln, welche unter anderem die Möglichkeiten der Improvisationen präzise festlegen.
Wir fragten uns, ob die Menschen hier, schon alleine dadurch, dass sie mit derartiger Musik aufwachsen, andere Arten von Organisationsprinzipien verinnerlicht haben, oder ob die Musik eine Äußerung derartiger über die Gesellschaft aufgenommenen Strukturen sind und ob sich solche Phänomene eventuell auch in anderen Kulturen auffinden lassen.
Im Verlauf unseres weiteren Aufenthaltes organisierte unser Gastgeber Yashas Shetty von ISRO für uns einen Besuch in den Laboren des National Centre for Biological Sciences (NCBS). Wir trafen uns dort mit den WissenschaftlerInnen Dr. Mukund Thattai und Dr. Shannon Olsson, die wir zu unseren Thesen zu Verkehr und den regionalen gesellschaftlichen Organisationsstrukturen interviewten und mit ihnen bald über die Frustration von Molekülen, virtuelle Realitäten für Insekten und den Einfluss des Stadtverkehrs auf die Zubereitung von Essen sprachen.
AUSGANG
Diese Beobachtungen und Gespräche waren die Hauptimpulse zur Entwicklung unseres Konzeptes zu dem schon in unserem Antrag umrissenen Themenkomplexes: unserem Interesse an konstant optimierten Lösungen von Alltagssituationen und Dingen in Bewegung.
Wir entwickelten drei Veranstaltungen, welche aus unterschiedlichen Blickwinkeln jeweils eigene Teilbereiche ziviler Selbstorganisation und Sonic Culture reflektierten.
Ein Konzert, das wir mit unseren vor Ort neu entwickelten Drum-Soundmodulen auf einem mächtigen 4.2 Sound System in einem verlassenen U-Bahn Tunnel gaben.
Eine Ausstellung in der Galerie des Bangalore International Centers, in der wir durch artistische Doppelpendel lose Heideggers "Gelassenheit zu den Dingen und Offenheit für das Geheimnis" mit der Haltung und dem chaotischen Erscheinungsbild von indischen Organisationsphänomenen in einer Soundinstallation in Verbindung brachten.
Zuletzt organisierten wir einen Abend im Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan zur kulturellen und politischen Besonderheit der Club-Kultur als Safespace und Ideengenerator. Der Abend war in drei Micro-Events aufgesplittet: einem Filmscreening, einer Podiumsdiskussion und einer anschließenden Musiknacht mit regionalen und internationalen DJs. Die Veranstaltung verstanden wir als eine Kommunikationsplattform zu der seit ein paar Monaten stark veränderten Situation Bangalores, welche es Clubs nahezu unmöglich macht, weiter zu existieren. Das Programm machte Bezüge vom hiesigen Status Quo zu der Rave-Kultur der frühen neunziger Jahre in England als auch zu den aktuellen Geschehnissen in Tbilisi auf.
Leider mussten wir die Veranstaltung im letzten Moment aufgrund einer kurzfristigen Bekanntmachung der Regierung absagen, die für diesen Tag - welch Ironie des Schicksals - jegliche Abendveranstaltungen untersagte. Trotzdem möchten wir uns bei allen KünstlerInnen, DenkerInnen, AktivistenInnen, Ex-ClubbesitzerInnen und DJs bedanken, die sich freundlicher Weise dazu bereit erklärt hatten, mitzumachen oder uns ihre Filme zeigen zu lassen.
Im Ganzen können wir sagen, dass wir die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan als sehr freundlich, hoch professionell und uns in allen Bereichen unserer Tätigkeit voll unterstützend wahrgenommen haben. Namentlich danken möchten wir gerne Herrn Dr. Heimes, Frau Maureen Gonsalves und Charlotte Rauth vom Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan, sowie Yashas Shetty, Mr.P, Mr.N und Sushil Sylvester von der Indian Sonic Research Organisation, dem Team von Art in Transit, vor allem Frau Arzu Mistry und Yash Bhandari sowie Herrn Raghu Tenkayala vom Bangalore International Center.