Art Start 2019
Der Morgen stirbt nie
Artstart: Junge Künstler_innen, die man 2019 auf dem Schirm haben sollte
Ausstellung in zwei Teilen
Goethe-Institut (Budapesta Str. 1):
Harita Asumani, Teodor Genov, Nevena Ekimova, Joro Peev, Dina Stoev
Credo Bonum Galerie (Slavyanska Str. 2):
Veneta Androva, Mitch Brezounek, Stoyan Ilev, Joanna Petkova, Natali Sarkisyan, Daniela Takeva
Kuratorinnen: Vessela Nozharova und Stefka Tsaneva
26. Januar - 22. Februar 2018
Aus einer spontanen Ausstellung im eher an Kulturveranstaltungen armen Januar wurde Art-Start zu einer jährlich wiederkehrenden Veranstaltung. Sie will nicht nur die neuen Namen der Kunstszene Bulgariens aufspüren, sondern stellt auch Fragen zur heutigen jungen Generation und zur Kunst von morgen.
Die Ausstellung zeigt junge Künstler_innen bis 35 Jahre, deren Werke begeistern und deren Entwicklung sich zu verfolgen lohnt. Manche haben gerade die Akademie abgeschlossen, manche haben im Ausland studiert und kommen gerade zurück, manche sind hier noch ganz fremd. Die Auswahl will eine Momentaufnahme der aktuellen Kunstszene und –entwicklungen sein und damit Trends und neue Richtungen suchen und identifizieren helfen.
Art Start präsentiert 2019 nicht nur neue Namen, sondern regt auch zum Nachdenken an, ab dem heutigen Tag, von wo aus die Zukunft beginnt. "Der Morgen stirbt nie“ ist ein Mantra des Trostes, das sowohl optimistisch als auch pessimistisch sein kann. Wo sind wir jetzt und was ist morgen? Wie weit ist die Zukunft und wie weit kommt unsere Fantasie?
Die Suche nach den jungen Künstlern_innen, die wir dieses Jahr auf dem Schirm haben sollten, durchlief erneut verschiedene Regionen und Gebiete - von Sofia über Gabrovo und Veliko Tarnovo bis zu Leipzig, Berlin und Antwerpen, von Malerei, Zeichnung und Illustration bis zu Video und Installation. In der dritten Ausgabe von "Art Start" in Folge nehmen teil: Veneta Androva, Harita Asumani, Mitch Brezounek, Teodor Genov, Nevena Ekimova, Stoyan Ilev, Joro Peev, Joanna Petkova, Natali Sarkisyan, Dina Stoev, Daniela Takeva. Viele von ihnen können Sie auch bei den organisierten Führungen an beiden Orten der Ausstellungseröffnung am 26. Januar treffen.
Teodor Genovs Arbeit bewegt sich zwischen Erotik und Ironie. In seinem illustrativen Stil verformen sich die Bilder und erhalten ein grotesk-sarkastisch, geradezu perverses Aussehen. Genovs Werk ist inspiriert vom Titel der Ausstellung “Der Morgen stirbt nie” ("Tomorrow never dies") - ein Film aus dem Jahr 1997 über den unglaublich perfekten, mutigen, schönen, intelligenten, geheimnisvollen, sexy-charismatischen, selbstbewussten, weißen und heterosexuellen James Bond. Mit seiner Arbeit „You are the new tomorrow and tomorrow belongs to us“ verformt Genov die zu einem Archetyp gewordenen Figur des Agenten 007, schussbereit und von schönen Frauen umgeben, unlogisch spärlich gekleidet, und definiert seinen Heroismus neu. Sind das die Helden unserer Generation? Und gehört die Zukunft den Helden?
Ob sie uns, euch oder einer anderen Generation oder Klasse gehört, die Zukunft ist vor allem unklar und ungewiss, sie ist eine Finsternis, in die wir nur hineinschauen, über die wir Prognosen machen und unsere Wünsche und Hoffnungen hineinprojizieren. Die Arbeiten von Joro Peev sind analoge Objekte, die über das Digitale aktiviert werden. Sobald sie mit einem Blitz fotografiert werden, ändern sie sich „automatisch“ - der schwarze Hund wird zum Dalmatiner, der Globus zum Fußball, und das dunkle Haus ist plötzlich von Menschen bewohnt. Damit macht Peev einen ironischen Kommentar zur digitalen Kultur, in der das Smartphone bzw. sein Bildschirm zur Verlängerung unseres Auges geworden ist. Sehen wir die Dinge auf dieselbe Weise „live“ wie auf dem Bildschirm des Smartphones? Und welches Auge sieht die Dinge "so wie sie sind" - unseres oder das der Kamera?
Die Frage nach der Zukunft bringt Nevena Ekimova zum Nachdenken über ihre Vergangenheit, den fortwährenden Faden von der Kindheit bis heute, dessen Weg sich irgendwie – man weiß nicht genau wie - in einer unbekannter, aber jedenfalls sichereren Zukunft verliert. "Die Zeit läuft unheimlich absichtlich weiter" ist vor allem ein Erinnerungs- und Wortspiel. Kein Wort ist zufällig. Jedes löst eine Kettenreaktion aus Erinnerungen, Reflexionen, Geschichten und Objekten aus, die der Besucher lesen und mit seinen Händen fühlen kann. Chronologisch und in einer geraden Linie angeordnet zeichnen die fünf Wörter den Verlauf der Zeit, die sicher und zielstrebig "weiter" fließt.
Der morgige Tag als intimer nach innen gewandter Blick steht in der Arbeit von Harita Asumani im Mittelpunkt. Ja, genau wie der Titel sagt, als ein "Raum-Zeit-Kontinuum", ein Konzentrat aus einem ganzen Jahr mit seinen 365 Tagen und unzähligen Träumen, aus dem ein Destillat in Form eines gemalten Selbstporträts und eine collageartigen mental map aus Wünschen und Plänen entsteht. In Asumanis Werk finden sich ein spezifischer Optimismus und ein ganz besonderer Humor – der sich vor allem gegen die Künstlerin selbst richtet. Und es scheint, als ob dieser rosarote Optimismus von der jungen Generation von heute dringend gebraucht wird.
Dina Stoevs Arbeiten sind wie ein Spiegel - sein eigener Spiegel. Wir betrachten die Gesichter in Dina Stoevs Gemälden und es ist fast immer ein und dasselbe Gesicht, das methodisch und sorgfältig mit jedem weiteren Bild aufgebaut und gefestigt wird. Mit einem fast literarischen Ansatz kreiert und entwickelt Stoev - nach seinem Ebenbild - einen Protagonisten, der allmählich eine solche Dichte erhält, dass wir uns nicht mehr sicher sein können, ob er real, ein Spiegelbild oder eine Fiktion ist. Diese Figur sehen wir plötzlich in einer mörderischen Perspektive, die uns mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs in die Zukunft bringt. Die Figur ist jedoch statisch, sie scheint fast eine Leiche zu sein. Und genau wie der Körper ist auch das Gesicht irgendwie leichenhaft, in einem unbeschreiblichen Entsetzen und vor Überraschung verzerrt, die eigentlich nur der Tod hervorrufen kann. Mit seinem "Polarlicht" bringt Dina Stoev die Angst vor der Zukunft und ihre Unvermeidlichkeit zusammen.
///Credo Bonum///Goethe-Institut///
Die Zukunft kann man am besten in der Vergangenheit und in der Erinnerung finden. Von Wort zu Wort, von Generation zu Generation - eine Geschichte, von der die Zukunft ausgeht. Die Geschichte ist jedoch transzendent, unzuverlässig und glitschig - ebenso wie die Menschen mit ihrem unzuverlässigen Gedächtnis. All diese Aspekte der Erinnerung und deren Rekonstruktion, schließlich die Auswirkungen auf die Zukunft stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Daniela Takeva. Sie stellt eine neue Videoarbeit vor, in der fünf Personen ein und dieselbe Geschichte erzählen. Das Video stellt die ersten Aussagen solchen gegenüber, die nach dem Kennenlernen der Aussagen der anderen gemacht wurden. Die Unterschiede und die Veränderungen in der Geschichte sind so bemerkenswert, dass man sich zwangsläufig die Frage stellt, ob es sich um absichtliche Verdrehungen oder unbewusste Lüge handelt? Um unsere Wahrnehmung der Wahrheit vollends zu verwirren, hat Takeva auch eine weitere, fiktive Person eingeführt, die kein Augenzeuge des Geschehens war – aber doch davon berichtet.
"Der Morgen stirbt nie” ist für Mitch Brezounek Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Zukunft und unseren natürlichen Ressourcen. Hier, in unseren geografischen Breiten, ist Wasser selbstverständlich. Das im Überfluss zur Verfügung stehende Wasser, das mit fröhlichem Plätschern und im virtuosen Wirbel in den Abfluss fließt, kann seinen Kreislauf endlos fortsetzen, solange wir nicht den Wasserhahn zudrehen. Es ist etwas Extravagantes und Üppiges daran, das Wasser zu verschwenden, ohne das wir doch nicht leben können. Wir meinen, wir hätten unseren evolutionären Höhepunkt erreicht, an dem wir die Grundlagen unserer Existenz im Griff haben. Was an und für sich Anlass für ein Festmahl wäre. Der morgige Tag ist wohl egal. Oder, wie Bresunek dazu meint: "Zum Wohl!"
Die Zukunftsvision von Stoyan Ilev ist ebenfalls düster. In den beiden Serien porträtiert Ilev Frauen, deren Posen vage an die Anonymität und Künstlichkeit von Bildern in Frauenzeitschriften erinnern. Die Farbe und die leuchtenden Töne überlagern sich auf den Figuren, wobei sich die Zeit am Boden jedes Lebens absetzt. Überlagerung und nochmals Überlagerung, bis sich die Figuren in einer unbestimmten und düsteren Zukunft verlieren und darin geradezu ertrinken. Ilev geht von der Deutung des deutschen Philosophen Oswald Spengler aus, dass Kulturen unweigerlich die Entwicklung der Organismen durchmachen – sie werden geboren, sie leben, um schließlich wieder zu sterben. Wenn wir annehmen, dass Ilev die Zukunft in der letzten Phase des Zyklus sieht, so werden seine weiblichen Figuren zu einem traurigen Symbol der Körper, die dem Konsum zum Opfer gefallen ist.
Die Bilder von Ioanna Petkova offenbaren einen beunruhigten Blick in die Zukunft. Unscharfe Bilder tauchen flüchtig auf, nur um wieder zwischen blinkenden Farbflecken wie blitzschnelle Impulse zu verschwinden. Petkovas Bilder sind wie unsere Augenlider, wenn wir die Augen schließen - wenn die Lichtkonturen eine schmerzhafte Spur hinterlassen und die Dunkelheit in blinkenden Farben vibriert. Und wenn wir die Augen öffnen, beginnt der morgige Tag.
Die Arbeit von Natalie Sarkisyan ist eine philosophische Reflexion über die Zeit und ihre Unendlichkeit. Und genauer über unsere extremen, vergänglichen, fragilen Objekte, in denen wir den monotonen Schritt der Zeit in die Ewigkeit erkennen können. Es scheint, dass die Spirale das Unendliche in einer einzigen Form synthetisiert. Sarkisians "Ode an die Zukunft" stellt einen Versuch dar, die Form der Ewigkeit durch die Fotografie einzufangen.
Art Start richtet sich an junge Künstler, die gerade erst an die Öffentlichkeit treten und sich der Kunstszene zeigen wollen. Diese Welt ist bei weitem nicht der freundlichste Ort auf unserer Erde. Gleicht Kunst mit all ihren Ersatz- und Bestandteilen, Zahnrädern, Kolben und Fließbändern nicht einer riesigen Maschine, die Bedeutung erzeugen, aber dabei auch viel Unangenehmeres produzieren kann? Die Jungen in der Kunst stehen am Eingang der Maschine, berauscht von dem vielstimmigen, aber mechanischen Chorspiel. Einmal eingetreten, kann sie die Maschine auch zermahlen. Ein Unterschied zur industriellen Produktion besteht vielleicht darin, dass Kunst mit Liebe (und Hass), Bewunderund (und Neid) zu tun hat – etwas zutiefst Menschliches. Oder wie Veneta Androva mit ihrem Video "Art me harder" das sie speziell für die Art Start-Ausstellung gedreht hat, sagt: „To start in art, oh baby, I know it is hard, it is so so hard”...