Interview mit Fabio Landolfo
Die Macht gemeinschaftlichen Handelns
Der Stadtplaner und Aktivist glaubt an das große Potential des zivilen Engagements. Er geht davon aus, dass nach der Krise das Verhältnis zwischen dem Staat und den Bürgern einen großen Umbruch erleben wird. Er träumt von einer Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist und der Politik Alternativen aufzeigt.
Von Maria Carmen Morese & Johanna Wand
Welchen Raum nimmt Ihre Arbeit in der Isolation ein?
Gleichzeitig viel und wenig. Wenig, weil sich meine Arbeit durch die Beziehungen und die Zusammenarbeit mit anderen auszeichnet; viel, weil ich denke, dass uns diese Zeit dazu anregt, zu verstehen, wie sich Beziehungen und gemeinschaftliches Handeln verändern, indem wir neue Wege der Integration physischer und virtueller Netzwerke beschreiten. Wir sind gezwungen unser Tempo zu verlangsamen, und es bietet sich uns die Möglichkeit nachzudenken.
Wie alle schwierigen Momente eröffnet auch die gegenwärtige Krise neue Möglichkeiten. Was können wir aus dieser Situation lernen?
Das ist schwer vorherzusagen, solange die Krise nicht überwunden ist. Aber wir können etwas aus der Art und Weise, wie sie gehandhabt wird, ableiten. Wir sehen, dass das große Engagement der Basis (Maker-Bewegung, Bürgersolidarität) die Handlungsunfähigkeit des Staates (schlechtes Gesundheitssystem, Mangel an medizinischer Ausstattung, unzureichende soziale Stoßdämpfer) und des Marktes (Verlagerung der Produktion, illegale Arbeit) überwinden kann. In Europa gibt es mindestens zwei gegensätzliche Modelle: das der absoluten Zentralisierung Ungarns und das schwedische Modell, das allein auf dem Prinzip des Vertrauens gründet. Die Zahlen der Infizierten zeigen, dass beide Länder ein erfolgreiches Krisenmanagement betreiben. Doch wie wirken sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen auf die Idee vom Staat und das Verhältnis zwischen Institutionen und Bürger aus? Welches Europa aus dieser Krise hervorgehen wird, hängt davon ab, welches dieser beiden Prinzipien sich durchsetzen wird.
Die neuen Umstände erschüttern und beunruhigen uns, aber sie ermutigen uns auch zu visionärem Denken. Von welchem Danach träumen Sie?
Ich kann mir vorstellen, dass wir lernen werden, die Verbundenheit mit anderen nicht länger als selbstverständlich hinzunehmen und die Gemeinschaft zu schätzen, angefangen bei der Nachbarschaft. Ich kann mir vorstellen, dass wir lernen werden, der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, der Staatshaushalte, der Schulen und des Gesundheitswesens mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In Zukunft werden wir verstärkt Gegenvorschläge unterbreiten. Vor allem, wenn uns gesagt wird, dass man die Dinge nur in einer bestimmten Art und Weise tun kann. Wir werden lernen müssen, Alternativen abzuwägen, und uns entscheiden müssen, dies gemeinsam zu tun.