Interview mit Roberto Andò
Eine Zeit voller Unruhe und Schmerz
Das Kulturleben ist essentiell und muss so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden, schreibt uns der Leiter des Staatstheaters Mercadante, Neapel.
Von Maria Carmen Morese & Johanna Wand
Welchen Raum nimmt Ihre Arbeit in der Isolation ein?
Als Autor und Regisseur bin ich daran gewöhnt, viel Zeit mit dem Schreiben zu verbringen. Das tue ich zurückgezogen, allein, in meinem Arbeitszimmer. Für mich sind das Phasen des Glücks und großer innerer Einkehr. Die Isolation als Folge der Epidemie hat jedoch ganz andere Vorzeichen und ist nicht unbedingt mit künstlerischer Arbeit vereinbar. Im ersten Monat des Shutdowns existierten Desorientierung und der Wunsch, das Geschehen zu verarbeiten, nebeneinander. Diese Zeit ist kein Gewinn. Es ist eine kranke Zeit, die Unruhe und Schmerz bringt.
Wie alle schwierigen Momente eröffnet auch die gegenwärtige Krise neue Möglichkeiten. Was können wir aus dieser Situation lernen?
Die Krise muss uns veranlassen, unsere Beziehung zur Umwelt und zur Natur sowie unseren Umgang mit Zeit zu überdenken. Unser arroganter Wettlauf um die Weltherrschaft ist durch das Virus gestoppt worden, und das wird uns noch lange in Schach halten. Es gibt Auswirkungen in allen Bereichen, von der Politik bis zur Wirtschaft. Wir müssen neue Prioritäten setzen, den Gang wechseln. Aber ich bin nicht sehr optimistisch, was die Fähigkeit des Menschen betrifft, aus seinen Fehlern zu lernen.
Die neuen Umstände erschüttern und beunruhigen uns, aber sie ermutigen uns auch zu visionärem Denken. Von welchem Danach träumen Sie?
Im Moment denke ich darüber nach, wie ich das Filmprojekt, an dem ich arbeite, fortführen und das Theater, das ich leite, wieder öffnen kann. Ich halte es für wichtig, die Aktivitäten wieder aufzunehmen, die unserem Leben einen Sinn geben, und Kino, Theater, Musik, Kunst sind dabei ganz wesentlich.
Biographie
Roberto Andò wurde 1959 in Palermo geboren. Nach dem Studium der Philosophie arbeitete er als Regieassistent mit Francesco Rosi und Federico Fellini, später mit Michael Cimino und Francis Ford Coppola. Entscheidend für seine Entwicklung war die Begegnung mit Leonardo Sciascia, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband.
Seit 1980 ist er abwechselnd als Theater- und Filmregisseur tätig, wodurch er internationale Bekanntheit erlangte. Unter seinen jüngsten Arbeiten sind international so erfolgreiche Filme wie „Viva la libertà“ (Es lebe die Freiheit, 2013), „Le confessioni“ (Die Geständnisse, 2016) sowie „Una storia senza nome“ (Eine Geschichte ohne Namen, 2018). Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt / Main widmete Roberto Andò 2019 eine Retrospektive im Rahmen des Festivals des italienischen Films Verso Sud. 2016 veröffentlichte er seinen ersten Roman „Il trono vuoto“ (wtl.: Der leere Thron, Bompiani), ausgezeichnet mit dem Premio Campiello. Seit 2019 leitet er das Staatstheater Mercadante.