Autoritratto a occhi bendati
"Selbstporträt mit gebundenen Augen, die Performance 2021". Kann man das eigene Gesicht neu gestalten? Die perfomative Aktion.
Von Alessandra Corti
Wer bin ich, was mache ich.
Bildende Künstlerin, Performerin und Autorin von Kunsttherapieprojekten.
Selbstporträt.
Das Selbstporträt per Freihandzeichnung ist der Vorläufer des digitalen Selfies. Es ist der Ausgangspunkt und somit die Basistechnik der elementaren Selbstdarstellung in der Image-Gesellschaft. Eine Regression von der digitalen Technik zur manuellen Zeichnung, auf der Suche nach den wahren Beweggründen: dich selbst kennenlernen.
Mit verbundenen Augen.
Die Künstlerin ist eine Jägerin. Immer im Dunkeln, immer in Gefahr, immer wachsam, immer bei den Waffen. Sie weiß nicht, ob sie trifft, auf was sie zielt und nicht einmal, ob sie Jägerin oder Beute ist. Das unterdrückte Verlangen, beeindruckt zu werden. Das performative Handeln mit verbundenen Augen folgt diesem Weg.
Performatives Handeln.
Instinktiv ein physischer Trieb und tiefgreifende psychologische Erwartung. Das performative Handeln ist das, was mir am meisten Angst macht, aber auch das, was mich am meisten reizt.
Das Gefühl, eingeladen zu werden, zu leben. Eine Art, ich bin zu sagen. Heute steht die Identitätsfrage im Mittelpunkt. Ein Ort der Zusammenstöße und Widersprüche. Ein Ort mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Ein morbider Ort und therapeutischer Ort. Ich glaube, dass diese Arbeit, zusammen mit anderen dieser Art, ein machbarer "gastfreundlicher" Weg ist, ein Weg der Akzeptanz und Selbstfürsorge.
Vor einigen Monaten bin ich bei der Zusammenarbeit an einem kollektiven Video auf das Werk von Beuys gestoßen. Ich habe mich verbunden gefühlt, ein Gefühl der Zugehörigkeit und des zeitlichen Zusammentreffens.
Sein Werk spricht uns heute an. Der Begriff der Freiheit, der Begriff der Biografie und die Handlungen gegenüber der Natur sind Ausdruck einer Vision, eines Körper-Welt-Bewusstseins, das heute, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, der virtuellen Erfahrungen und der unkörperlichen Lebensformen, von entscheidender Bedeutung ist.
Wie ich meine Arbeit anfertige.
Lange Spaziergänge, mindestens 10 km pro Tag. Ich beobachte die Natur, die Pflanzen, den Wald. Kleine pflanzliche Formen, Zeichen, Spuren von unsichtbaren Welten. Zuhause blättere ich in meinen Lieblingsbüchern, die auf meinem Nachttisch liegen. Ich betrete fantastische Welten. Mir kommen hundert Ideen. Ich wähle ein paar aus. Ich spreche mit meinen Freund*innen und Berater*innen. Ich versuche, neue Bekanntschaften aufzubauen. Ich wirble das ganze Material zusammen. Kurz gesagt, eine Arbeit im Küchentopf.
Was mich beeinflusst.
Gordon Matta-Clark, James Hillman, Rosalind Krauss, Joseph Beuys, Thomas Bernhard, Rita Charon, Maria Lai; ich vertrete die Worte von Gianfranco Ferroni, welcher behauptet: "Ich weiß natürlich nicht, ob ich es kann. Ich versetze mich in diese absolute Bedingung, mein kulturelles Wissen über die Objekte, das Gepäck auf den Schultern, völlig auszuschalten und diese mit einem jungfräulicheren Auge zu betrachten, wenn möglich, wie jemand Unwissendes".
Was mich am meisten inspiriert.
Die Sichtweise, sowohl meine als auch die der anderen. Ich versuche zu verstehen, wie die Menschen mit den Tatsachen des Lebens umgehen. Ich fühle mich als ein System, das in der Lage ist, Filter, Sensoren und Anwendungen zu integrieren und zu entkoppeln.
Warum ich male.
Es handelt sich nicht wirklich um Malen. Ich beobachte beharrlich, mache viele Fotos. Den Fotos entnehme ich Linien, die zu meinen Zeichnungen werden. Was mich zum Leuchten bringt, ist die Farbe. Das Ausmalen von Zeichnungen dient mir dazu, das Wunder der kindlichen Welt neu zu erfahren.
Künstlerische Erfahrung, Technik und Medium.
Ich beginne mit dem Medium: Das „Feld" und "Werkzeuge" sind mein Medium. Ein "Feld" anzuordnen bedeutet, ein Energiefeld der Beobachtung zu schaffen. Die "Werkzeuge" sind meine Werte, meine Fähigkeiten, meine Sensibilität, meine Fähigkeit zu interpretieren und auszudrücken: Sie haben dieselbe Funktion wie früher Pinsel, Farben, Handwerksausrüstung, die vollständige, komponierte Darstellungen erforderten, dieses langsame, handwerkliche Tun, das in der Werkstatt gelernt wurde.
Was ich zu vermitteln versuche. Welche Botschaft ich vermitteln möchte.
Ein Selbstporträt als innere Reise. Die Umsetzung einer bildlichen Darstellung des eigenen Gesichts. Die Möglichkeit, mit den Fingern den Linien und Zeichen des eigenen Gesichts zu folgen, der eigenen Geschichte als Landschaft, die entsteht. Die Biografie als eine Nähmaschine, die etwas flickt. Ich habe mich immer für meine Art, eine Künstler*in zu sein, geschämt, und habe immer versucht, mich zu verstecken. Eine schwere Krankheit lehrte mir dann Gelassenheit, und mich selbst zu achten. Hier entsteht meine Arbeit. Seitdem versuche ich, mein Gesicht neu zu gestalten. Ich lese meine Vergangenheit neu. Wie eine Pflanze, die sich wieder belebt, die greifbare Gegenwart auszuleben, die ich mit meinen Händen berühren kann. Das Verbinden der Augen dient dazu, die Sicht zu trüben.