Premiere in Venedig | 20.11.2021
Die Konferenz im Jahr 2038
Am Wochenende fand in der Lagune Venedigs die „Konferenz der Abwesenden“ statt. Bei der Theaterperformance des deutschen Künstlerkollektivs Rimini Protokoll in Koproduktion mit dem Goethe-Institut sind die Referent*innen selbst nicht anwesend, sondern werden vom Publikum repräsentiert. So regen Rimini Protokoll zum Nachdenken über neue – klimafreundliche und pandemietaugliche – Möglichkeiten der Repräsentation an. Wenn ich davon erzähle, gleicht das dem Öffnen einer Matrjoschka, da das Theaterprojekt hier in einen zusätzlichen Kontext eingefügt wurde.
Von Flavia Parea
Der venezianische Kontext
Beherbergt wurde die Konferenz der Abwesenden von 2038, dem deutschen Pavillon der 17. Architekturbiennale in Venedig zum Thema: How will we live together? Darüber hinaus war sie Teil von Performing Architecture, einem Programm des Goethe-Instituts in Zusammenarbeit mit der Biennale. Diese miteinander verbundenen Settings führten zu einem stimmigen gemeinsamen Narrativ. Die diesjährige Biennale spürt nämlich neuen Arten des gemeinschaftlichen Zusammenlebens nach, der Frage, wie sich der öffentliche und der private Raum bewohnen lassen, und Performing Architecture fügt sich in diese Überlegungen ein. Indem es die performative Dimension der Architektur erforscht, versucht das Programm des Goethe-Instituts, Individuum, Kollektiv und Institutionen neu zu definieren. 2038, die interdisziplinäre Kurator*innengruppe des Pavillons, teilt mit Performing Architecure den Blick in die Zukunft. Sie bieten eine utopische und optimistische Sicht auf die Zukunft, indem sie die Gegenwart des Jahres 2038 erzählen – und zwar vollständig anhand von QR-Codes im Inneren des Pavillons, der ansonsten komplett leergelassen wurde. So gab es hier Raum und die Möglichkeit, das Stück von Rimini Protokoll aufzuführen.Die Herausforderungen des Pavillon-Kontextes
Um von dieser Erfahrung zu erzählen, muss man schon am Tag des Aufbaus und der Proben anfangen. Schon morgens war klar, dass die Konferenz der Abwesenden durch den Rahmen der Architekturbiennale in Venedig neue Nuancen bekommen würde. Das wurde noch offensichtlicher, als wir am Ende des Tages Stefan Kaegi interviewten, einen der Mitbegründer von Rimini Protokoll. Im Gespräch mit ihm wurden die Herausforderungen deutlich, die mit der Aufführung des Stücks im Rahmen von 2038 bzw. im größeren Kontext der Länder-Pavillons einhergehen.Auch wenn der deutsche Pavillon mit 2038 perfekt im Einklang mit den Fragen steht, die die Konferenz der Abwesenden aufwirft, ist er doch kein Theater. Während bisherige Aufführungen von der dunklen, einladenden Atmosphäre der Theaterräume profitierten, musste die Konferenz auf der Biennale in einem weißen, leeren Raum ohne weniger ausgeleuchtete Bereiche ins Werk gesetzt werden, also in einem „white cube“, wie Stefan es zu Recht nannte.
Neben den Räumlichkeiten sicherte das Theater auch eine andere Aufmerksamkeit von Seiten des Publikums, das hier, schon gespannt auf den nächsten Pavillon, jedem Länderpavillon nur ein paar Minuten widmet, ein Foto macht und wieder geht. Man muss die Aufmerksamkeit also sofort wecken. So gingen mir am Ende des ersten Tages folgende Fragen durch den Kopf: Wird es Leute geben, die ein oder zwei Stunden ihrer kostbaren Zeit zur Verfügung stellen und vielleicht auf andere Pavillons verzichten, um in die Konferenz einzutauchen? Wird die Performance ihren Platz innerhalb der Biennale finden können?
Das Resultat
Die erste Aufführung gab die Antwort auf diese Fragen: Ja.Die Performance passte sich sowohl dem sie umgebenden Ambiente an als auch den anderen Bedürfnissen der Zuschauer*innen, ohne dabei ihre Eigenheiten zu verlieren, und schaffte mit ihrem Angebot der körperlichen Beteiligung der Zuschauer*innen eine anregende Erfahrung innerhalb der Biennale. Als wir anschließend außerhalb des Pavillons mit verschiedenen Menschen sprachen, wurde deutlich, dass alle bereichert und zufrieden herauskamen, ob sie nun für die gesamte Aufführung geblieben oder nur zehn Minuten Aufmerksamkeit erübrigt hatten. Natürlich waren nicht alle bereit, sich mit derselben Zeit und Mitwirkung einzubringen, aber die verschiedenen Modalitäten, wie man in den Genuss des Stücks kommen konnte, fächerten dessen Bedeutungsmöglichkeiten noch weiter auf. Die Befragten waren begeistert, dass ihr Biennale-Rundgang durch diese Erfahrung unterbrochen worden war und sie die Möglichkeit bekommen hatten, jemandem ihre Stimme zu leihen; all das dank der performativen Telepräsenz, die die Zuschauer*innen in Venedig direkt erfahren konnten, um dann weiter zwischen den Pavillons umherzuschweifen, vielleicht in Gedanken noch bei dem Leben der Person, die sie kurz zuvor dargestellt hatten.