Konferenz der Abwesenden
Fragen des Theaters an unser Leben

Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro
Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro | © Goethe-Institut Portugal | Illustration: Raquel Pedro

Die „Konferenz der Abwesenden“ hatte am 24. Februar am Teatro do Bairro Alto (TBA) Premiere, gefolgt von zwei weiteren öffentlichen Aufführungen und dem Workshop „Akademie der Abwesenden“ unter Leitung von Helgard Haug (Rimini Protokoll). Außerdem war er Thema im Publikumsklub, den das TBA regelmäßig organisiert. Alle drei Aufführungen des interaktiven Stücks waren gut besucht, und jede einzelne davon war einzigartig.

Von Raquel Pedro

Über die Aufführung

Das Bühnenbild bilden gewöhnliche Gegenstände (ein Regal, zum Beispiel) und audiovisuelle Elemente (Grafiken, eine Stimme), die Informationen vermitteln. Das Publikum ist zur Beteiligung aufgefordert, nicht nur durch vorbereitete Beiträge von – abwesenden – Redner*innen aus aller Welt, sondern auch durch Abstimmungen. Durch die Beteiligung rücken Fragen des Publikums in den Mittelpunkt: Zuschauende werden zu Protagonist*innen des Stücks, und physische Anwesenheit wird überwunden durch „Avatare“: Wer stellt wen dar? Wie lässt sich eine Person, die nicht anwesend ist, darstellen?

Die Ernsthaftigkeit der Darstellung von Personen, die man nicht selbst ist sowie der vom Rimini Protokoll zusammengetragenen Geschichten kontrastiert dabei mit der gelösten Stimmung und dem Lachen derjenigen, die jeweils die Bühne betreten. Was erzählt wird, fußt auf politischen und gesellschaftlichen Themen der Gegenwart und spiegelt Besorgnisse wider: Die Geschichte eines Juden, der den 2. Weltkrieg überlebte, Genderfragen, wenn eine Reise in den Weltraum laut der Astrophysik der wissenschaftlichen Erforschung ihrer Auswirkungen auf den weiblichen Körper dient, das Umweltengagement des Aktivisten Les Knight, der überzeugt ist, die Rettung unseres Planeten liege darin, sich nicht fortzupflanzen, also in dem sich daraus ergebenden Aussterben der Menschheit. Nicht zufällig endet das Stück mit genau diesem Beitrag und überlässt die Kontroverse darüber dem Publikum.

Dass es dabei nicht nur um reines Meta-Theater geht, wird darin deutlich, dass die Schauspieler*innen selbst sich um Reduzierung von Treibhausgasen bemühen, indem sie nicht mit dem Flugzeug angereist sind. Repräsentanz ist das beherrschende Thema der zweieinhalb Stunden, in denen das Publikum auf die Bühne tritt, um sich „für jemand anderen“ auszugeben und damit – wie es Francisco Frazão, künstlerischer Leiter des TBA, ausdrückt – „das eigentliche Spiel des Theaters“ zu zeigen. Die Zuschauer*innen sind Schauspieler*innen, eine Position, die noch dadurch verstärkt wird, dass sie am Schluss auf die Bühne gerufen werden, um sich zu bedanken und mit Applaus bedacht zu werden. Die Diversität der Vortragenden zeigt wiederum, was Helgard Haug über das Anbieten „unterschiedlicher Blickwinkel“ einer gleichen Geschichte sagt. Man kann Überlegungen darüber anstellen, wie sich dies zur Gefahr einer einzigen Geschichte verhält, wie sie Chimamanda Adichie benennt, zitiert wiederum von der portugiesischen Regisseurin Raquel André in ihrem Stück Coleção de Espetador. In diesem Stück betreten ebenfalls Personen die Bühne, die nicht Schauspieler*innen sind und ihre eigene Lebensgeschichten über Theaterstücke, Filme, Museen etc. erzählen, die sie besucht und gesehen haben. Beide Stücke betonen, wie wichtig der Blickwinkel und die Vielfalt der  möglichen Erzählungen für eine Situation oder ein Ereignis für die Wiedergabe einer Geschichte sind.

Und wenn jemand nicht darstellbar ist? Eine der Reden der Konferenz der Abwesenden muss durch eine sehr spezifische Person vorgetragen werden, eine Person, die wir nie kennenlernen, falls nicht genau jemand mit deren Eigenschaften im Publikum ist. Im Publikum der ersten Aufführung gab es ein oder zwei nicht weiße Personen, die aber keine Aktien an der Börse hatten. Im Publikum der letzten zwei Aufführungen gab es nicht einmal eine Person, die nicht weiß war. So kann der oder die Vortragende nicht präsent gemacht werden. Diese Abwesenheit macht auf die aufmerksam, die nicht dargestellt werden können und vermittelt dem Publikum das Gefühl einer Leere. Dies löst Überlegungen aus: Welches Publikum geht überhaupt ins Theater? An wen richten wir uns? Welche Schlüsse lassen sich daraus über die Stadt Lissabon ziehen? Die Szene verstärkt den Ansatz des Rimini Protokoll noch einmal, indem sie verdeutlicht, wie sehr das Stück selbst nicht frei ist von Perspektive.
  • Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro © Goethe-Institut Portugal | Illustration: Raquel Pedro

    Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro

  • Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro © Goethe-Institut Portugal | Illustration: Raquel Pedro

    Konferenz der Abwesenden in Lissabon, Illustration von Raquel Pedro

Über die Akademie der Abwesenden

Zur Akademie der Abwesenden kamen Personen aus darstellenden Künsten zu einem Workshop zusammen, in den Helgard Haug die Entstehungsgeschichte und Form der Konferenz der Abwesenden erläuterte und vertiefte. Organisiert wurde der Workshop im Rahmen des Projekts ReMapping Memories Lisboa-Hamburg, über Themen wie Abwesenheit, Sichtbarkeit, Repräsentanz und Widerstand in der postkolonialen Stadt. Die Methode von Rimini Protokoll wird vervielfältigt und gibt Darstellenden, Studierenden oder auch Pädagog*innen, die sich auf das Theater der Unterdrückten beziehen, Werkzeuge an die Hand. Über den Tag verteilt gab es mehrere Gesprächsrunden, in denen interessante Punkte angesprochen wurden. Zunächst wurde sich darüber ausgetauscht, inwiefern die Aufführung „falsch“ oder „geprobt“ gewirkt hätte, als wären es nicht wirklich die Leute aus dem Publikum gewesen, die dort auf der Bühne gestanden hatten. Nach der Klärung der Funktionsweise kam es zu einer Diskussion über Fragen der Repräsentanz und darüber, wie es sich mit „Abwesenden“ und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Dimensionen arbeiten lässt. Angesprochen wurde zum Beispiel die dauernde Abwesenheit von Bruno Candé und Gilberta Júniar, einem Schwarzen Mann und einer trans Frau, die beide ermordet und brutalen „Hassverbrechen“ zum Opfer fielen. Mehrere Teilnehmende sprachen über Abwesenheiten, die sie in ihren eigenen Leben empfinden und erklärten etwa, „trotz großer Lust an der Aufführung gestern teilzunehmen“, nicht in der Lage gewesen zu sein, sich aufzuraffen, und sich doch „durch eine andere junge Frau, die heute hier ist“, repräsentiert gefühlt zu haben. Die Gemeinsamkeit war in diesem Fall eine jeweils subalterisierte Position in der Gesellschaft, von der aus weiter zu sprechen sein wird, um sie sichtbar und unmittelbar präsent zu machen.

Sowohl die Akademie als auch die Konferenz der Abwesenden werfen Fragen auf, die über das reine Anbieten von Lösungen hinausgehen. Mit einigen weiteren Fragestellungen können wir weiter arbeiten: Wer ist in unserem Leben abwesend? Warum? Wie hätten wir sie präsent machen können? Auf die selbe Weise, wie es in der Konferenz der Abwesenden möglich war?

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