Das Humboldt Forum
Eine Reise in Berlins Vergangenheit

Nach neun Jahren Baustelle wurde der neue Berliner Museumskomplex für Besucher*innen eröffnet. Wir waren dabei.
Nach neun Jahren Baustelle wurde der neue Berliner Museumskomplex für Besucher*innen eröffnet. Wir waren dabei. | © Goethe-Institut Italien | Foto (Detail): Roberto Sassi

Nach neun Jahren Baustelle und zahlreichen Kontroversen wurde der neue Berliner Museumskomplex am 20. Juli endlich für Besucher*innen geöffnet. Die vieldiskutierten ethnologischen Sammlungen und das Museum für Asiatische Kunst werden allerdings erst ab 22. September öffentlich zugänglich sein. Um sich die Wartezeit bis dahin zu verkürzen, hat Roberto Sassi das Humboldt Forum am Tag seiner Eröffnung besucht.

Von Roberto Sassi

KELLERGESCHICHTEN

Trotz ihrer versteckten Lage unter der Erde verraten Keller oft viel über die Geschichte eines Gebäudes, insbesondere, wenn es sich um ältere Bauwerke handelt. Hier überlagern und mischen sich unterschiedliche Epochen, und das gewöhnlich in spontanerer Form als anderswo, gerade weil diese Räume kaum Beachtung erfahren. Aus diesem Grund beschließe ich, am Tag der Eröffnung des Humboldt Forums etwas Ungewöhnliches zu tun: Ich beginne meine Besichtigung im Schlosskeller.
Eine Informationstafel am Eingang räumt gleich ein mögliches Missverständnis aus: Obwohl es sich bei dem neuen Museumskomplex um eine Neuinterpretation des zwischen 1443 und 1451 errichteten Hohenzollernschlosses handelt, gehen die ersten Bebauungen des Areals auf das Mittelalter zurück, als das Gebiet noch in die beiden Städte Berlin und Cölln aufgeteilt war. In dem vom italienischen Architekten Franco Stella entworfenen Bau finden daher auch die Überreste eines Dominikanerklosters und die Mauern nachfolgender Epochen Berücksichtigung, die heute neben den 2008 errichteten Fundamenten zu sehen sind.
  • Im Schlosskeller befinden sich die Überreste eines Dominikanerklosters und die Mauern nachfolgender Epochen. Hier befand sich einst die Schlossküche. © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Im Schlosskeller befinden sich die Überreste eines Dominikanerklosters und die Mauern nachfolgender Epochen. Hier befand sich einst die Schlossküche.

  • Das hier ist ein Ventilator, den Wilhelm II. 1894 im berühmten Weißen Saal installieren ließ. © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Das hier ist ein Ventilator, den Wilhelm II. 1894 im berühmten Weißen Saal installieren ließ.

  • Hier sehen wir ein verrostetes und scheinbar unbedeutendes Hinweisschild eines öffentlichen Telefons, das jedoch ein wichtiges Detail verrät: Anfang der dreißiger Jahre konnten die Berliner*innen das Schloss frei betreten, um zu telefonieren. © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Hier sehen wir ein verrostetes und scheinbar unbedeutendes Hinweisschild eines öffentlichen Telefons, das jedoch ein wichtiges Detail verrät: Anfang der dreißiger Jahre konnten die Berliner*innen das Schloss frei betreten, um zu telefonieren.

Vor dem Betreten des Museums hatte ich mit einer kurzen Reise durch die Geschichte Berlins gerechnet, und genauso kommt es auch. Dem Rundgang folgend erfahre ich, dass die heute nicht mehr erkennbare Hofküche im 18. Jahrhundert sogar über einen eigenen Hühnerstall verfügte und das kaiserliche Wachhaus um 1900 mit einer Heizungsanlage und Holzfußböden ausgestattet war. Von der Treppe, die den Wachen Ende des 19. Jahrhunderts einen schnellen Zugang zum Großen Schlosshof ermöglichte, sind nur noch wenige Stufen erhalten. Der Anblick einer Treppe, die nirgendwohin führt, verwirrt und in gewisser Hinsicht ist das allgemein ein wenig der Effekt dieser Ausstellung. Sie zeigt viele Objekte und jedes davon erzählt von einem bestimmten historischen Moment. Zu den spannendsten zählen ein Ventilator, den Wilhelm II. 1894 im berühmten Weißen Saal installieren ließ, sowie ein verrostetes und scheinbar unbedeutendes Hinweisschild eines öffentlichen Telefons, das jedoch ein wichtiges Detail verrät: Anfang der dreißiger Jahre konnten die Berliner*innen das Schloss frei betreten, um zu telefonieren.

BERLIN – STADT DER GESCHICHTEN

Im großen, hellen Foyer des Humboldt Forums sehen sich die Besucher*innen neugierig um, machen Fotos und versuchen, sich mit Hilfe des Museumspersonals zurechtzufinden. Einige blicken gebannt auf den sogenannten Kosmographen, einen zwanzig Meter hohen Turm aus dreidimensionalen Bildschirmen, die über die aktuellen Ausstellungen informieren. Andere Besucher*innen schlendern die rationalistischen Balkone entlang, die in bewusstem Kontrast zum imposanten barocken Eingangsportal stehen.

In einem an das Foyer angrenzenden Raum sind Skulpturen und Fragmente ausgestellt, die das Berliner Schloss zu verschiedenen Zeiten zierten. Ein Stück weiter fasst eine 27 Meter breite Videoinstallation 800 Jahre Stadtgeschichte in nur 14 Minuten zusammen. Während ich die Bilder an mir vorbeiziehen lasse, denke ich, dass die Verdichtung der Vergangenheit ein zentraler Aspekt des neuen Berliner Museums ist – nichts Ungewöhnliches für einen multifunktionalen Bau, der im kulturellen und touristischen Leben der deutschen Hauptstadt eine zentrale Rolle einnehmen will.
  • Das Kaiserpanorama ist ein Medium, dass es mehreren Personen gleichzeitig ermöglichte, stereoskopische Bilderserien mit dreidimensionalen Anschein durch ein Guckloch zu betrachten. Es wurde Ende des zwanzigsten Jahrhundert von August Fuhrmann erfunden und war in Deutschland noch bis in die zwanziger Jahre in Gebrauch. © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Das Kaiserpanorama ist ein Medium, dass es mehreren Personen gleichzeitig ermöglichte, stereoskopische Bilderserien mit dreidimensionalen Anschein durch ein Guckloch zu betrachten. Es wurde Ende des zwanzigsten Jahrhundert von August Fuhrmann erfunden und war in Deutschland noch bis in die zwanziger Jahre in Gebrauch.

  • Innenansicht des Schlüterhofs © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Innenansicht des Schlüterhofs

  • Am Eingang bekommen die Besucher*innen ein Chiparmband, um die verschiedenen Etappen der Ausstellung interaktiv zu besichtigen. Sie können den Parcours individuell gestalten, indem sie den Beschriftungen auf den einzelnen Türen folgen. © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Am Eingang bekommen die Besucher*innen ein Chiparmband, um die verschiedenen Etappen der Ausstellung interaktiv zu besichtigen. Sie können den Parcours individuell gestalten, indem sie den Beschriftungen auf den einzelnen Türen folgen.

  • Balkonsicht auf das Foyer © Goethe-Institut Italien | Foto: Roberto Sassi

    Balkonsicht auf das Foyer

Es überrascht mich daher nicht, dass die im ersten Stock gezeigte Ausstellung „Berlin Global“ das Motto „Stadt der Geschichten“ trägt. Der interaktive Rundgang zeigt die entscheidenden Ereignisse, die Berlin zu der Stadt gemacht haben, die sie heute ist – eine Metropole, die „mit der Welt verbunden ist“, wie es in den am Eingang verteilten Broschüren heißt. Die Ausstellung umfasst sieben Themenbereiche: Revolution, Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode und Verflechtung. Ich erkunde die 4.000 Quadratmeter von „Berlin Global“ mit einem Chiparmband am Handgelenk. Es ermöglicht mir, mit den einzelnen Stationen entlang des Rundgangs zu interagieren (und am Ende eine Auswertung meiner Entscheidungen auszudrucken). Die Ausstellung ist intelligent und gut kuratiert. Sich hier zu langweilen, ist praktisch unmöglich. Sie scheint sich vor allem an jene zu richten, die wenig über Berlin wissen, also an Tourist*innen, hält aber auch für mich eine Überraschung bereit: Zum ersten Mal habe ich die Gelegenheit, einen Blick in ein echtes Kaiserpanorama zu werfen.

Als ich das Humboldt Forum zwei Stunden später verlasse, denke ich zurück an dieses interaktive und digitale Erlebnis, an die Großbildschirme, die Audiostationen, die Touchscreens, das enorme Wandbild von How&Nosm und an die „Diskokugel“, eine kleine Diskothek, in der man tanzen und Musik der vergangenen hundert Jahre anhören kann. Ich denke zurück an diese ganzen Technologien, betrachte die originalgetreu rekonstruierte barocke Fassade des Schlosses und fühle mich ein wenig desorientiert.

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