Deutschland in Italien
Max Renkel, wie man die Welt durch Kunst in Ordnung bringt
Der Maler und Bildhauer Max Renkel wurde 1966 in München geboren, lebt und arbeitet aber seit Jahren in Italien. Er ist auch Kunsthandwerker, das Material für seine Skulpturen hat er selbst erfunden. Ein Vollblutkünstler, wie man zu sagen pflegt.
Von Giovanni Giusti
„Möchtest du wissen, was Kunst ist?“, diese Frage stellt Max mir unvermittelt. Es ist beinahe, als schwinge sie zwischen den Zeilen unseres Gespräches mit. Und die Antwort, die er selbst darauf gibt, könnte dieses Interview eröffnen oder abschließen, oder es sogar ersetzen.
„Kunst ist eine hochentwickelte Kulturdisziplin, ihr Inhalt lässt sich schwer in ein paar Sätze fassen. Es handelt sich um eine Mischung aus zwei Fragen: Wie leiste ich gute Arbeit, egal welcher Art? Wie bringe ich die Welt in Ordnung? Das sind überaus schwierige Fragen, und die Antworten darauf scheitern meist. Sie können sich aber, auf sehr konstruktive Weise, einem guten Ergebnis annähern.
In Max steckt auch ein Philosoph. Seine Kommunikationsstärke räumt gleich alle Gemeinplätze über die angebliche Reserviertheit der Deutschen beiseite, und auch jede professionelle Zurückhaltung, die noch mit dem „Du“ einhergehen könnte, zu dem wir von Anfang an greifen. Du hast München verlassen und dich für Rom entschieden. Wieso?
Ich bin von München nach Hamburg gezogen, noch vor dem Mauerfall, dann habe ich in Italien gearbeitet, in Modena, und ein paar Jahre lang bin ich hin und her gependelt. Aber heute braucht man als Künstler einen größeren urbanen Kontext, und in Italien gibt es da Neapel, Rom und Mailand, vielleicht noch Turin, vor allem aber die drei erstgenannten. Und so bin ich nach Rom gekommen, eine Stadt, die ich schon von Kindesbeinen an kenne.
Der Fluss der Kunst
Wir befinden uns in der Galerie Mario Iannelli in Rom, wo noch bis zum 31. Dezember deine aktuelle Ausstellung „Score, Form, Two Heads“ zu sehen ist. Aus dem Katalog erfahre ich Folgendes: „… in einem typischen Cut-up-Verfahren präsentiert Renkel eine Gruppe von drei Werken, ‚Score‘, eine Komposition aus Aststücken, die in einen leeren Rahmen eingefügt wurden, ‚Form‘, eine gemalte abstrakte Form, und ‚Two Heads‘, zwei Skulpturen mit primitiv anmutenden Gesichtszügen.“ Deine persönliche Reise greift also sehr weit zurück, in die Zeit vor Auftauchen des Homo Sapiens. Inspiriert hat dich, so die Begleittexte zur Ausstellung, das wahrscheinlich älteste bekannte Kunstobjekt, der geheimnisvolle, drei Millionen Jahre alte Kiesel aus der Makapansgat-Höhle in Afrika. Wo vielleicht alles begonnen hat, wo, wie du sagst, „alles im Fluss war, auch die Kunst“. Wo aber hat der Künstler Max Renkel seinen Ausgangspunkt, wo kommt er her?Künstler zu sein ist ein Beruf wie viele andere auch. Menschen entwickeln in ihrer Jugend Interessen, ab einem gewissen Punkt wird es dann ernster, bis man sich schließlich für ein bestimmtes Studium entscheidet. Und so war es auch bei mir. Ich bin mit großer Leidenschaft bei der Sache, ich mag, ich liebe meine Arbeit.
Vielleicht idealisiere ich die Kunst und die Künstler ein wenig. Aber hat es noch Sinn, von italienischen, von deutschen Künstlern zu sprechen? Oder sollten wir von europäischen Künstlern sprechen? Oder besser gesagt, ist der Künstler eine kosmopolitische Figur, beziehungsweise sollte er es sein?
Das ist eine komplexe Frage. Die Bilder an sich bedürfen keiner Übersetzung. Nicht alle, aber viele Bilder funktionieren auf der ganzen Welt, egal, ob wir sie nach Europa, nach Afrika oder nach Asien transportieren. Dann gibt es Traditionen, die Symbole oder bestimmte Bilder betreffen und hier oder dort stärker ausgeprägt sind. Generell gibt es für bildende Künstler aber weitaus weniger Grenzen als zum Beispiel für Schriftsteller. Für einen Schriftsteller ist es riskant, im Ausland zu leben, weil sich das sehr stark in seiner Sprache niederschlägt. Stell dir vor, du lebst in Deutschland, mit einer anderen Alltagssprache, dann verändert dich das als Schriftsteller. Ich kann meine Bilder ausstellen, wo immer ich will. Trotzdem gibt es kulturelle Identitäten, die ich aber nicht als nationale Identität bezeichnen würde, vor allem in Deutschland nicht, aber auch nicht in Italien. Sagen wir so, innerhalb eines Landes gibt es große Unterschiede. Mailand ist nicht Rom und München ist nicht Köln, Hamburg oder Berlin.
Eine Frage der Codes
Sehr große Länder also, in denen es in einem weitgefassten Sinne auch feststehende kulturelle Gepflogenheiten gibt, die sich sehr unterscheiden. Wenn wir von abgenutzten Stereotypen absehen, was hast du dann aus der deutschen Kultur nach Italien mitgebracht, was konntest du übertragen und was hast du wiederum erfolgreich aus der italienischen Kultur übernommen?Nehmen wir die Küche, das ist eine kulturelle Gegebenheit, den Umgang mit Geld, das ist eine kulturelle Gegebenheit. Hier hat sich sehr vieles verändert für mich, was meine Art angeht, mit Geld umzugehen, meine Art, mit Mitarbeitern umzugehen. Man muss seine Haltung von Grund auf ändern, Beziehungen funktionieren anders, als man das in Deutschland gewöhnt ist. Die Codes sind andere, man muss sie lernen. Aber das ist nicht nur mühsam, es ist auch ein großer Vorteil.
Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, ist das jetzt ein anderes Land für mich, es hat sich verändert. Dann ist da noch die Sprache. Manche Dinge kann ich auf Italienisch äußerst präzise ausdrücken, aber nicht auf Deutsch und umgekehrt, obwohl das gesprochene Italienisch genauer ist als das Deutsche. Diese Vorstellung der Italiener, die Deutschen seien genau, beinahe perfekt, das ist eine Illusion, das sind Vorurteile. Aber es gibt andere Dinge, Deutschland ist ein Land der „Institutionen“, während Italien ein Land der „Privatleute“ ist. Italien ist in Europa vielleicht das Land mit den reichsten Einwohnern, was die Ersparnisse anbelangt, aber der ärmste Staat. Der Umgang mit Geld ist kulturbedingt ein anderer. Und auch die Sicht auf den Staat ist kulturbedingt, Italien war sehr lange von fremden Mächten besetzt, und der Staat wird von allen mit großem Misstrauen betrachtet.
Man kann immer gute Arbeit leisten
Ich hatte versprochen, dir keine „politischen“ Fragen zu stellen, aber du bietest mir einfach zu viele Stichworte, um nicht wenigstens abschließend eine solche Frage zu stellen. Ergibt es also Sinn, wenn wir sagen, und ich beziehe mich dabei vor allem auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, dass ein Land, das dieser europäischen Institution vorübergehend vorsitzt, die Zukunft der anderen positiv beeinflussen kann? Kann Deutschland das leisten?„Ich antworte dir mit meiner vorigen Aussage: Man kann immer gute Arbeit leisten, auch als Politiker. Ob das dann tatsächlich geleistet wird, steht auf einem anderen Blatt. Das sehe ich nicht. Es gibt zu viele Krisen, zu viele ungelöste Probleme, die sich mit den Jahren angesammelt haben, vom Umgang mit den Finanzen über die Schulden bis hin zur Außenpolitik usw. Aber die Politik kann gute Arbeit leisten, genau wie ich. In dieser Hinsicht bin ich ganz bei Beuys, der in Italien sehr populär ist: Die Vorstellung von der Kunst als gut gemachter Arbeit lässt sich auf die Politik übertragen, auf die Krankenpflege, worauf man möchte. Das gibt es aber immer seltener, obwohl wir aus der Geschichte viele Beispiele für Politiker kennen, die gute Arbeit geleistet haben, sowohl in Deutschland als auch in Italien.