Homeoffice in Süditalien
South Working
Als die Covid-19 Pandemie im März 2020 Europa überrollte, arbeitete die sizilianische Rechtswissenschaftlerin Elena Militello gerade an der Universität von Luxemburg. Ihre Fakultät beschloss, alle Lehr- und Forschungsveranstaltungen für den Rest des akademischen Jahres ab sofort in den virtuellen Raum zu verlegen. Militello traf eine Entscheidung, die sie bis heute nicht bereut: Sie stieg in ihr Auto und fuhr über 2000 km in ihre Geburtsstadt Palermo, die sie als 17-jährige auf der Suche nach besseren Ausbildungs- und Arbeitschancen verlassen hatte, wie so viele Süditaliener*innen ihrer Generation.
Von Christine Pawlata
Zum ersten Mal seit über zehn Jahren konnte die Rechtswissenschaftlerin mehr Zeit als die üblichen Sommerferien oder das gelegentliche Wochenende in der Nähe ihrer Familie und Kindheitsfreund*innen verbringen, ohne dass dabei ihre Karriere in den Hintergrund rücken musste.
Gemeinsam mit sechs Schicksalsgenoss*innen, die Pandemie bedingt jetzt von ihren Heimatorten in Süditalien aus weiterhin für Unternehmen in Norditalien oder im Ausland arbeiten, gründete sie den Verein „South Working – Lavorare dal Sud“. Die Organisation erforscht und setzt sich für das Phänomen des Home Office mit Lebensmittelpunkt in Süditalien ein.
Eine Chance für den Süden
„Uns war schnell klar, dass diese neue Art von Fernarbeit eine Chance für den Süden Italiens und andere abgelegenen Regionen im Landesinneren darstellen kann“, erzählt Militello.Eine Chance, die Italiens Süden dringend benötigt: In den ersten 20 Jahren des 21. Jahrhunderts wanderten fast 1 Million Menschen vom Süden Italiens in den Norden des Landes oder ins Ausland ab. Gerade für junge Leute und Frauen stehen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Süditalien schlecht. In Sizilien findet nur eine von drei Frauen unter 30 einen Arbeitsplatz, die Jugendarbeitslosigkeit in der Region liegt bei fast 50%. „Eine der für mich schockierendsten Fakten ist, dass in den letzten 8 Jahren die Emigration von Leuten mit einem Schul- oder Universitätsabschluss um 43% gestiegen ist“, so Militello.
Alles andere als niedrig ist aber auch die Zahl der Leute, die die Pandemie nutzten, um in ihre Heimatorte zurückzukehren. Eine Studie des Vereins South Working in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut Svimez erfasste ca 100.000 Menschen, die 2020 ihr Home Office in ihre Heimatregionen im Süden verlegten.
Wiederbelebte Orte
Die umgekehrte Migration täte aber nicht nur den Heimkehrer*innen, oder „South Workers“ wie Militello sie nennt, gut: „Auch die Region selbst profitiert davon, einerseits natürlich dadurch, dass die South Workers ihr Gehalt in den Gemeinden im Süden ausgeben.“ Laut Militello sorgen die South Workers aber nicht nur für den Umlauf von neuer Liquidität, sondern auch für weiterreichende Veränderungen, wie die Renovierung von verlassenen Häusern, die Wiederaufnahme von Familienbetrieben und die Gründung neuer Unternehmen. „Was mir am meisten am Herzen liegt, ist die Wiederbelebung und Teilnahme am lokalen Leben, dass man sich aktiv mit Ideen für die Verbesserung von Dienstleistungen und Infrastrukturen einbringt“, so Militello.Eine wichtige Rolle dabei spielen gut ausgestattete Gemeinschaftsbüros in denen man andere Leute treffen könne und neue Ideen entstehen. 230 solcher Gemeinschaftsbüros hat der Verein South Working seit 2020 erfasst, 50 davon haben sich bisher im Verein South Working zu einem Netzwerk zusammengeschlossen.
Ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen South Workers und der Gemeinschaft ist das Bergstädchen Castelbuono im Innenland Siziliens. Die Gemeinde hat einen Saal im Inneren des Stadtschlosses aus dem 14. Jahrhundert und einen weiteren Raum in dem Kreuzgang eines Klosters zu Gemeinschaftsbüros mit schneller Internetverbindung umfunktioniert, die mittlerweile von fast 200 Bürger*innen regelmäßig genutzt werden.
Weg von der 9-to-5-Mentalität
Damit South Working aber auch wirklich funktionieren könne, müsse man weg von der 9-to-5-Arbeitsmentalität, die vor allem in italienischen Unternehmen noch fest verankert sei, so Militello.„Ein flexibles Arbeitsmodell hat sowohl für Arbeitgeber*innen Vorteile, hinsichtlich der Schwerpunktverlegung auf das Erreichen von Zielen und Produktivität, als auch für Arbeitnehmer*innen, die ihren Arbeitsort frei wählen können und Beziehungen wiederherstellen können, die sie oft aufgeben mussten, weil sie für die Arbeit in eine andere Stadt ziehen mussten.“
Ob South Working auch längerfristig einen Beitrag gegen die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften leisten kann, muss sich noch zeigen.
„Bisher wurde das als eine unumkehrbarere, unveränderbarere Entwicklung wahrgenommen. Jetzt haben wir zumindest die Hoffnung, dass sich doch etwas ändern kann.“