Vertrauen und Fake News
"Cyber Elf" an der digitalen Front

Magda Szpecht kämpft als Cyber Elf gegen Desinformation im Internet.
Magda Szpecht kämpft als Cyber Elf gegen Desinformation im Internet. | © Magda Szpecht

Magda Szpecht ist eine preisgekrönte polnische Theaterregisseurin – eigentlich. Seit Anfang 2022 kämpft sie tagein, tagaus im Internet als „Cyber Elf“ gegen russische Desinformation. Wie es dazu kam, erzählt sie im Interview.
 

Von Jürgen Moises

Magda Szpecht, was ist eine Cyber Elf?

Cyber Elfs sind Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern, die die Ukraine im Krieg an der digitalen Front unterstützen, sowohl auf dem Gebiet der Cybersicherheit als auch im Kampf gegen Fake News, Desinformation und Trolling. Wir arbeiten meist anonym und verwenden viele verschiedene Identitäten. Die Arbeit umfasst etwa die Geolokalisierung und Verifizierung von Nachrichten, Fotos und Videos, die Archivierung digitaler Zeugnisse von Kriegsverbrechen und die Bereitstellung technologischer Unterstützung.

Was motiviert Sie und wie verändert das Engagement Ihren Alltag?

Mein Aktivismus ist nicht nur eine Verteidigung gegen die Hilflosigkeit, sondern auch ein Versuch, zu verstehen, wie ein solcher Krieg im Europa des 21. Jahrhunderts möglich ist. In den ersten Monaten habe ich 20 Stunden am Tag gearbeitet, aber irgendwann musste ich ein Mindestmaß an Disziplin einführen und mich zu einer „digitalen Entgiftung“ zwingen.

Fake News und Cyberkriege werden derzeit viel diskutiert. Doch was da wirklich im Internet passiert, bekommen die wenigsten mit. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Ein Beispiel: Am 24. Februar 2022, kurz vor der Invasion der Ukraine durch Russland, griffen russische Hacker den Satelliten-Internetanbieter Viasat an. Ihr Ziel war es, die Konnektivität der ukrainischen Führung zu unterbrechen. Der Angriff geriet außer Kontrolle: Auch Windkraftanlagen in Deutschland und Internetanschlüsse in den USA waren betroffen. Dies zeigt, dass es einen parallelen Krieg in der virtuellen Welt gibt.
 

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

  • Magda Szpecht, Cyber Elf © Magda Szpecht

    Magda Szpecht, Cyber Elf

 

Ist dieser Cyberkrieg zu gewinnen?

Was den Infokrieg angeht, so glaube ich, dass die Ukraine ihn gewinnt, weil sie keinen Grund hat, Fake News zu produzieren, und weil sie schnell auf Ereignisse reagiert. Russland wendet zwar riesige Mengen an Zeit und Geld auf. Aber ich denke, diese Bemühungen sind zunehmend wirkungslos, weil es zu einfach ist, Russland beim Lügen zu erwischen.

Wir scheinen die Kunst des Debattierens verloren zu haben.

Eine Folge von Fake News oder Trollangriffen ist, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik und die Medien verlieren. Wie lässt sich dieses Vertrauen zurückgewinnen?

Mit einem minimalen Verständnis der Rhetorik und der menschlichen Psyche können wir heute jede Idee populär machen. Die Kunst des Debattierens und Argumentierens scheinen wir dagegen verloren zu haben. Dafür braucht man nur in den Kommentarbereich einer beliebigen Website zu schauen. Autorität entsteht durch Beständigkeit und die Fähigkeit, Fehler zuzugeben. So lässt sich die verlorene Autorität wiederherstellen. Auch Argumente aus der Wissenschaft können helfen. Schließlich brauchen wir eine Autorität, die wir nicht in Frage stellen. Kürzlich bin ich auf den Slogan „Wahrheit ist nicht genug“ gestoßen. Wenn wir in der Post-Wahrheits-Ära die Aufmerksamkeit eines Publikums gewinnen wollen, müssen wir eine Form finden, die an die Emotionen der Menschen appelliert.

Und was kann jede*r einzelne von uns tun? Sollten wir alle Cyber Elfs werden?

Wir sollten unsere Kritik- und Medienkompetenz weiterentwickeln. Dazu gehört, zu prüfen, ob die Nachricht eine*n Autor*in hat, wer sie oder er ist und um welche Redaktion oder Website es sich handelt. Eine gut informierte Gesellschaft ist widerstandsfähiger gegen Manipulationen. Wenn jemand sich im Cyber-Aktivismus engagieren möchte, würde ich die Gruppe „Digital Forces of Ukraine“ auf Discord und die Website von Bellingcat empfehlen. Beschränken wir uns aber nicht nur auf die virtuelle Welt: Sprechen wir mit den Ukrainer*innen, die wir treffen, hören wir echten Menschen zu, die über ihre Erfahrungen sprechen, und unterstützen wir sie bei der Integration.

Die Kunst kann Menschen zusammenbringen.

Sie haben kürzlich gesagt, das Theater sei nur eine Unterhaltungsform für eine kleine Elite. Und dass Sie Instagram als demokratischer empfinden, weil Sie damit mehr Menschen erreichen. Hat Sie erst der Krieg auf diesen Gedanken gebracht?

Für mich war der Krieg der Ausgangspunkt für die Kritik an öffentlichen Einrichtungen. In den ersten Wochen der Invasion wurden mehrere Kultureinrichtungen in Polen in Wohnheime für ukrainische Flüchtlinge umgewandelt. Da dachte ich, dass sie nun im Einklang mit ihren erklärten Werten handeln. Künstler*innen haben eine Verantwortung für ihr Umfeld.

Was sollten Theater in Kriegszeiten tun? Und was bedeutet all das für Ihre künftige Arbeit?

In einer Situation, in der wir es mit Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu tun haben, kann die Kunst Menschen zusammenbringen. In Zukunft möchte ich meine aktivistische und künstlerische Arbeit fortsetzen und mit Institutionen zusammenarbeiten, die offen für neue Formen und politische Debatten sind. Wenn der Krieg vorbei ist, freue ich mich darauf, wieder das poetische, konzeptionelle Theater zu machen, das ich in ruhigeren Zeiten gemacht habe.

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