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Oh, oh, oh...

Die Ärzte bei einem Fotoshooting in Winterthur, Schweiz 1994
Selten mit dem erhobenen Zeigefinger unterwegs: Die Ärzte (1994) | © picture alliance / Fryderyk Gabowicz

Intoniert man hierzulande „Oh, oh, oh...“ auf eine bestimmten anschwellenden Art, gibt es kaum jemanden, der die Lautfolge nicht begeistert vervollständigt mit einem: „ARSCHLOCH!“ Der Song Schrei nach Liebe von Die Ärzte hat diesen Reflex im kulturellen Gedächtnis eingebrannt – und noch einiges mehr...

1992 findet sich eine ganzseitige Anzeige in dem Branchenblatt Musikmarkt. Dort ist zu lesen:

„Die beste Band der Welt sucht Plattenfirma“.

Die beste Band der Welt? Bis heute besteht – zumindest im deutschsprachigen Raum - kein Zweifel, wer sich diesen wahnwitzigen Superlativ gesichert hat: Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin!). Auch dass die Band zum Zeitpunkt jenes ungewöhnlichen Inserats seit fünf Jahren aufgelöst war, ändert daran nichts. In einer nicht gerade coup-armen Punk-Karriere sollte 1988 die Trennung von Bela B. und Farin Urlaub - auf dem Höhepunkt ihres Erfolges - der letzte Coup sein. Doch es kommt anders.

Nach dem vorläufigen Aus verwirklichen die beiden Freigeister erstmal ihre Solo-Ambitionen (Farin mit King Køng und Bela mit Depp Jones). Doch sie müssen feststellen, dass abseits des grell-genialischen Projekts Die Ärzte deutlich weniger Interesse an ihrer Kunst besteht. Dieser Downer stellt einen Antrieb dar, der sie Anfang der Neunziger wieder zusammenbringen sollte: Die erwähnte Musikmarkt-Anzeige macht die Reunion der beiden amtlich, eine Plattenfirma ist schnell gefunden. Die Ärzte kehren zurück – ergänzt um den Depp-Jones- beziehungsweise Rainbirds-Musiker Rod Gonzales am Bass. Doch es geht bei dieser Rückkehr um mehr als die gekränkte Eitelkeit zweier parallel havarierter Solo-Karrieren. In einem Interview mit dem Sender MTV bringt es Schlagzeuger Bela B. auf den Punkt: „Nach Hoyerswerda konnten wir halt nicht mehr schweigen“.
 


Das bekräftigt die erste Single der neuen Zeitrechnung, sie erscheint im Herbst 1993 einen Monat vor dem Album Die Bestie in Menschengestalt, trägt den Titel Schrei nach Liebe und katapultiert die Band auf ein ungewohntes Level: Waren Die Ärzte der Achtziger Jahre als Herausforderer, ja sogar Störer angetreten, die noch aus der Zensur mancher ihrer obszönen Texte Kapital schlugen konnten, beschreibt die Inkarnation der Neunziger sie nun als einen Act, der nicht bloß Unruhe stiften will, sondern Verantwortung übernimmt. Schrei nach Liebe ist ein Statement gegen rechts. Gegen den Rechtsruck, der sich nach der Wiedervereinigung in Pogromen Bahn bricht, die sich vornehmlich gegen Unterkünfte von Asylsuchenden richten – wie eben in Hoyerswerda.

Doch Die Ärzte stimmen nicht ein in die Gegenbewegung wohlfeiler Pazifismusbekundungen, sehen sich nicht in jenen Lichterketten repräsentiert, die Zivilgesellschaft und Politik damals gegen den Schrecken anbieten. Schrei nach Liebe steht viel eher für die Wehrhaftigkeit einer neuen Generation, die nun selbst für Demokratie eintreten muss und genauso für eine Wut hinsichtlich der Geschehnisse in Deutschland. Der Songtext bemüht keine der verbreiteten „Nazis raus“-Parolen, sondern benennt die Aggressoren klar als „Faschist[en]“ und es fällt eben das Wort „Arschloch“. Und das musste in dieser Zeit auch endlich mal raus. Der andere Kniff, der das Stück hat bis heute überdauern lassen, ist die pointierte Pathologisierung von rechter Gesinnung.

Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe
Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit

So sieht sich auch der damals grassierende Rechtsrock entlarvt als bloße Kompensation fehlender Zuneigung: „Zwischen Störkraft und den Onkelz / Steht 'ne Kuschelrock LP“. Küchenpsychologie? Vielleicht. Aber Die Ärzte durchbrechen mit Schrei nach Liebe eine gesellschaftliche Ohnmacht, die sich Anfang der Neunziger breit gemacht hat. Ästhetisch wie inhaltlich setzt ihre Musik braunen Tendenzen etwas Kraftvolles entgegen. Diese Munitionierung – sorry für den martialischen Begriff – einer linken Popkultur wird man der Band bis in die Jetztzeit nicht vergessen. Schrei nach Liebe wird ihre bis dato erfolgreichste Single-Veröffentlichung und stellt nicht weniger als einen der zentralsten Songs des ganzen Jahrzehnts dar. Ein Song, der auch heute immer noch sein Ziel findet. Oh, oh, oh...

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