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Zwischen Kirmestechno und Avantgarde
Die Band Scooter ist dank brachial simplen Technobeats und dadaistischen Lyrics mit deutschem Akzent ein Exportschlager. Nur die USA ließen sich lange nicht knacken – bis der Song mit dem Fisch in einer US-Talkshow auftauchte.
Von Sonja Eismann
Im Mai 2016 zeichnete US-Talker Jimmy Fallon in seiner Tonight Show die deutsche Band Scooter, die vielen als Erfinder des Genres „Kirmes-Techno“ gilt, mit einer Nennung aus. Doch statt Lob für einen der international erfolgreichsten und langlebigsten deutschen Pop-Acts gab es Gelächter und einen Daumen nach unten: Das bereits 1998 erschienene Stück How Much Is The Fish? landete auf seiner berüchtigten „Do Not Play List“. Er tauschte mit Rapper Questlove belustigt-ungläubige Blicke ob des grotesken Titels aus und amüsierte sich damit, den Bandnamen besonders germanisch auszusprechen. Doch nach der Show meldeten sich so viele Scooter-Fans zu Wort, dass Fallon sich zu einer Replik veranlasst sah. Per Videobotschaft entschuldigte er sich für seine fast zwanzig Jahre verspätete Reaktion auf den Titel und fragte bei Sänger H.P. Baxxter unter anderem nach, wieviel der Fisch denn nun gekostet habe – was dieser gut gelaunt mit einem Videoclip von der Partyinsel Ibiza beantwortete: 3,80.
Die Reaktion des Entertainers ist symptomatisch für den Umgang mit der Band, die seit ihrer Gründung 1993 immer wieder auf Listen der meistgehassten, stumpfesten Bands der Welt auftaucht (gemeinsam mit Modern Talking – ebenfalls ein deutsches Mega-Exportprodukt), andererseits aber nicht nur beim Publikum mit mittlerweile mehr als 30 Millionen verkauften Alben, sondern immer stärker auch bei der Kritik punkten kann. Der amerikanische AllMusic-Guide lobt die „German Rave Machine“ als „Verkörperung von Dance Music in ihrer exzessivsten Form“. Andere sind fasziniert vom hyperironischen Spiel mit der Übertreibung, sei es durch die halsbrecherische Geschwindigkeit der immer möglichst synthetisch klingenden Beats, die larger than life-Stadionatmosphäre – How Much Is The Fish? wurde tatsächlich für die Fußball-WM 1998 komponiert – oder dadaesk anmutende Songzeilen wie „Hyper! Hyper! Hyper!“, „Sit there, be good, bye-bye!“ oder „It’s not a bird, it’s not a plane. It must be Dave who’s on the train“. Zudem bedient H.P. Baxxter mit seinem platinblond gefärbten Haar, seinem unverkennbar deutschen Akzent und seinem mitunter brachialen Auftreten so unverhohlen teutonische Stereotype, dass dies für viele nur als Selbstparodie lesbar ist.
Hold your back for the rhythym attack
Coming down on the floor like a maniac
Hold your track so clean up the dish
By the way: How much is the fish?
Doch hinter How Much Is the Fish?, das auf den ersten Blick wie eine weitere schematische Happy-Hardcore-Hymne für den nächsten Partyexzess wirkt, verbergen sich weitaus interessantere Popverästelungen. Denn die markante Melodie des Songs wurde ausgerechnet von einem Lied übernommen, das Anfang der 1980er-Jahre in der deutschen Friedensbewegung Furore gemacht hatte: Sieben Tage lang der niederländische Band Bots. Diese wurde mit ihrem sozialkritischen Programm nach einem Auftritt bei einem Rock gegen Rechts-Festival in Frankfurt am Main 1979 auch in Deutschland bekannt. Bei der Übersetzung ihrer Texte, die in der 1980 veröffentlichten Platte Aufstehn mündeten, hatten unter anderem Größen wie Wolf Biermann, Hannes Wader oder Günther Wallraff mitgewirkt. Sieben Tage lang, das auf einen bretonischen Folksong zurückgeht und für gemeinsame Kämpfe gegen Ausbeutung wirbt, könnte atmosphärisch nicht ferner vom Scooter-Sound sein.
Doch auch die Inspiration für den absurden Songtitel überrascht und passt nicht zum Klischee vom tumben Großraumdisco-Sound. Die englisch-irische Postpunk-Experimental-Band Stump hatte es 1986 mit ihrem Stück Buffalo auf den (zukünftigen) Heiligen Gral der neuen britischen Musikszene geschaff: die vom New Musical Express 1986 herausgegebene Kassettencompilation C86. Zu avantgardistisch schrägen Gitarren- und Basssounds schreit Sänger Mick Lynch hier statt eines Refrains „How much is the fish?“ ins Mikrofon – und legt damit den Grundstein für Scooters bis heute gespielten Welthit. Das einzige Album von Stump wurde vom deutschen New-Wave-Musiker Holger Hiller (Palais Schaumburg) produziert, der wiederum 2011 für ein Kunstprojekt mit dem Maler Albert Oehlen Singles mit Scooter-Samples produzierte – und in einem Interview mit dem Frieze-Magazin äußerte: „Ich glaube, ich habe die Musik wesentlich verbessert. Leider werden sie mich wohl nie um einen Remix bitten.“ So ganz sicher kann er sich hier jedoch nicht sein, denn H. P. Baxxter, der von der britischen Konzept-Pop-Band The KLF zur Bandgründung angeregt wurde und in seiner Freizeit gerne Thomas Bernhard liest, ist bis heute ein Fan von New Wave – und lehnt nach eigenen Aussagen Kommerz und Mainstream ab. Das Spiel mit der Ambivalenz geht also weiter, ob mit oder ohne Fisch für 3,80.