Sineb El Masrar
Almans und Spaghetti-Eis
„Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?“, heißt ein Buch von Sineb El Masrar. Im Interview mit der Autorin erfahrt ihr, was typisch Alman ist, was wir an unserer Gesprächskultur ändern müssen und die Antwort auf die entscheidende Frage: lieber Döner oder Spaghetti-Eis?
Von Sineb El Masrar, Verena Hütter
Verena Hütter: Sineb, dein Buch heißt „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?“. Wer oder was ist Alman?
Sineb El Masrar: In den Sprachen des Maghreb oder in der Türkei bedeutet Alman „Deutsch“ oder „Deutsche(r)“. Abgeleitet ist der Begriff aus dem Französischen und hat seine Wurzeln beim germanischen Volk der Alamannen. Seit der Einwanderung von sogenannten Gastarbeitern nach Deutschland ist der Begriff in die Wahrnehmung von – vorallem jungen – Menschen gerückt; Menschen, die zum Beispiel aus der Türkei kommen, oder aber aus Marokko, wo meine Wurzeln liegen.
Und der Begriff ist zunächst weder positiv noch negativ konnotiert?
Er bedeutet zunächst mal nur ganz neutral Deutsch, Deutscher oder Deutsche – im Unterschied zu Kartoffel oder Kraut, wie man die Deutschen im Laufe der Geschichte auch bezeichnet hat. Andersherum hießen in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft der Deutschen Italiener*innen despektierlich lange Spaghettifresser. Und Menschen, die aus der Türkei kommen, hat man Knoblauchfresser genannt.
Klischee oder Wahrheit?
Schmunzeln musste ich bei der Lektüre Deines Buches, wenn Du Leute beschreibst, die man zunächst nicht als typisch deutsch bezeichnen würde, Leute mit Migrationshintergrund, in denen durchaus eine ganz schöne Portion „Alman“ drinstecken kann, also Eigenschaften, die als stereotyp deutsch bezeichnet werden. Du hast es gesagt, Du selbst hast marokkanische Wurzeln. Wo bist Du, Sineb, selber so richtig Alman?Es gibt verschiedene Zuschreibungen, was typisch Alman oder typisch deutsch ist: Pünktlichkeit, Pedanterie, Fleiß, Erfindergeist, Brot, Kartoffeln – whatever. Darunter gibt’s einiges, mit dem ich mich identifiziere. Zum Beispiel war ich viele Jahre super pünktlich – bis ich nach Berlin gezogen bin. Womit ich mich gerne identifiziere, ist der Erfindergeist – Ich habe in meinen Zwanzigern ein Frauenmagazin gegründet. Dass ich in diesem Land die Möglichkeit hatte, das zu machen, gefällt mir sehr. Auch das ist typisch deutsch.
Das Magazin, das Du gegründet hast, hieß „Gazelle“. Wie war Dein Werdegang? Wolltest Du schon immer Autorin werden?
Als Kind wollte ich Modedesignerin werden. Aber das hat mir mein Vater relativ schnell ausgeredet. Also habe ich zwei Ausbildungen gemacht, im pädagogischen und kaufmännischen Bereich. Für Journalismus und Medien habe ich mich früh begeistert. Ich habe Frauen- und Mädchenmagazine immer stark konsumiert und sehr viel quergelesen, und dabei ist mir eine Sache schon sehr früh aufgefallen: Für Mädchen wie mich, die einen Migrationshintergrund haben, gibt es keine Publikationen, beziehungsweise unsere Lebensrealität wurde nicht adäquat abgebildet.
Wenn es in den unterschiedlichen Medien in Deutschland um Menschen mit migrantischem Background ging, dann waren das meist so dramatische Horrorgeschichten. Ein Ottonormalverbraucher-Leben fand gar nicht statt. Das wollte ich ändern. Ich wollte ein Magazin machen, das wirklich die Lebensrealitäten von Frauen mit migrantischem Background in Deutschland abbildet. Damals habe ich für eine Marktforschungsgesellschaft gearbeitet, in Bochum. Das Wissen, das ich mir dort angeeignet hatte, habe ich für eine breite Umfrage genutzt und gesehen: Es gibt einen Markt, aber bisher kein Produkt. Das war 2003. Und dann habe ich drei Jahre an einem Frauenmagazin-Konzept gearbeitet, und dann kam die Gazelle dabei heraus.
Spaghetti-Eis oder Döner?
Du hast den Erfindergeist erwähnt, und darum geht’s auch in Deinem Buch. Da stellst Du zwei schöne Erfindungen vor, Erfindungen mit Migrationshintergrund sozusagen: das Spaghetti-Eis und den Döner. Wenn Du Dich entscheiden müsstest zwischen den beiden, was würdest Du bestellen: Döner oder Spaghetti-Eis?Spaghetti-Eis war Teil meiner Kindheit, damit bin ich groß geworden. Döner hab ich erst später kennengelernt. Ich glaube, ich war 14, als ich meinen ersten Döner gegessen habe. Schwierige Entscheidung! Emotional gesehen ist es das Spaghetti-Eis. Aber erst gestern wieder hat mich so ein Döner einfach gerettet – also am liebsten beides! (lacht)
In Deinem Buch zitierst Du den deutsch-amerikanischen Psychologen Hugo Münsterberg, der um 1900 herum den Deutschen, also den Almans, attestierte, sie hätten „Freude nur an Pfeife, Bier und Skat“ und seien „im Bürokratismus verknöchert“ – welche Alman-Eigenschaft stört dich persönlich am meisten?
Mit dem Bürokratismus hadere ich. Denn er ist oft stark verbunden mit einer fehlenden Flexibilität: nicht in der Lage sein, aus Abgestecktem auszubrechen. Wenn ich immer den gleichen Weg nehme, kann ich nichts Neues erfinden oder Abläufe verbessern. Wenn Kreativität und Erfindungsgeist gefragt sind, braucht es neue Wege.
Fröhlich oder bierernst?
Wie ist Dein Buch entstanden ist, wie kamst Du auf die Idee dazu?Das war eine Reaktion auf ganz viele Diskussionen, die ich hatte, rund um Almans, Kartoffeln und die Fragen „Wer sind wir?“, „Wer sind die anderen?“. Mein Markenzeichen ist, dass ich Themen gerne mit Humor behandle. Und Humor hat mir in der Auseinandersetzung häufig gefehlt. Mein erstes Buch Muslim Girls habe ich auch schon in einem sehr fröhlichen Ton geschrieben, mit viel Augenzwinkern, obwohl das Thema ernst ist. Das war mir jetzt auch wieder wichtig: Humor, Leichtigkeit, die Dinge nicht alle so bierernst nehmen, und die Fünfe auch mal gerade sein lassen.
Das Buch wurde von einigen als Angriff verstanden. Das ist für mich ein Hinweis, dass vieles in den letzten Jahren schiefgegangen ist in der Auseinandersetzung miteinander rund um die Themen Migration, Integration und Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
Du sagst, es gab negative Reaktionen auf Dein Buch, wie sahen die aus?
Es gab einige Pressestimmen zu dem Buch, die auch auf Social Media geteilt wurden. Unter den Posts wurde fleißig kommentiert – voller Hass und Aggressivität – und oft von Leuten, die das Buch oder den betreffenden Artikel gar nicht gelesen hatten. Ende März 2024 erscheint mein neues Buch. Und da geht es darum, wie wir miteinander kommunizieren. Ich möchte die Dynamiken dahinter aufzeigen, und auch wo das Bedürfnis nach ständiger Empörung herkommt. Wir haben viele Probleme in diesem Land, denen wir uns stellen müssen. Dazu müssen wir in der Lage sein zuzuhören. Erstmal zuhören, und dann können wir erst Gegenargumente formulieren, wo es angemessen ist. Aber vor allem Lösungen finden.
Wir sind eine vielfältige Gesellschaft. Wir sind uns nicht immer einig, wir leben nicht alle das gleiche Leben. Aber wir müssen als Gesellschaft einen Konsens finden. Wir müssen uns irgendwo in der Mitte treffen, wo jeder sagen kann: „Okay, den Part kann ich opfern, damit wir als Gemeinschaft gut zusammenleben können“.
Aktuelle Bücher von Sineb El Masrar
„Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?“, Verlag Herder 2023, 160 Seiten
„Heult leise, Habibis!“, Eichborn Verlag 2024, 192 Seiten