Literaturhaus Berlin
20 Jahre internationale Comics
Im Jahr 2001 ist Johann Ulrich ein Buchhändler mit einer großen Leidenschaft für Comics. Er hat das Gefühl, dass in den Regalen wichtige Werke der internationalen Comic-Szene fehlen, also beschließt er, selbst Verleger zu werden und gründet in Berlin den avant-verlag. Dessen Programm zeichnet sich von Anfang an durch ein besonderes Augenmerk für italienische Comics aus. Im Jahr 2021 feiert der Verlag nun sein zwanzigjähriges Bestehen, zu dessen Anlass wir Verleger Johann Ulrich zum gemeinsamen Frühstück im Literaturhaus Berlin treffen.
Was essen Sie gewöhnlich zum Frühstück?
Das Wichtigste in der Früh ist für mich der Tee. Ich mache mir eine Tasse schwarzen Tee oder Earl Grey und verbringe dann noch ein, zwei Stunden im Bett und lese. Dann stehe ich auf, mache mir die nächste Tasse Tee und esse ein Brot mit Butter und Marmelade.
Wir haben das Jahr 2021. Das bedeutet zwanzig Jahre avant-verlag. Wie werden Sie feiern?
Wir machen eine Ausstellung, und zwar zusammen mit dem Berliner Jaja-Verlag, der dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Davon abgesehen sind wir mit der Programmplanung für das Jahr 2021 noch sehr zurückhaltend, 2020 haben wir erlebt, wie die geplanten Veranstaltungen wegen der internationalen Corona-Krise wie Domino-Steine „weggekippt“ sind.
Was hat sich im Laufe dieser zwanzig Jahre verändert?
Das ist eine große Frage, es hat sich sehr viel verändert. Ich war damals sehr enttäuscht von den deutschen Comicverlagen und aus dieser Frustration heraus entstand der Wunsch, selbst einen Verlag zu gründen. 2001 gab es zwei Bücher, die ich unbedingt machen wollte: Berlin 1931 von Felipe H., Cava und Raúl, ein Comic, den wir vor einem Jahr sogar wieder neu aufgelegt haben. Und Anita von Stefano Ricci & Gabriella Giandelli, diesen Titel habe ich in einem Buchladen in Amsterdam entdeckt und die Autoren habe ich in Bologna/Mailand dann auch persönlich kennengelernt. Die Bücher wurden von der Presse sehr gut aufgenommen und waren nach etwa zwei Jahren ausverkauft. Anfangs publizierte ich zwei Bücher pro Jahr, heute sind es zwei pro Monat, vierundzwanzig pro Jahr, das ist eine angemessene Zahl. Die ersten zehn Jahre habe ich weiterhin parallel als Buchhändler gearbeitet, dann habe ich beschlossen, mich ganz der Verlagsarbeit zu widmen. Comics sind meine Leidenschaft.
Welche Rolle spielen italienische Comics im avant-verlag?
Eine große Rolle, und zwar wie gesagt von Anfang an. Abgesehen von Stefano Ricci haben wir ja auch noch viele andere italienische Autorinnen und Autoren, wie Gabriella Giandelli, Igort, Gipi, Paolo Bacilieri, Davide Reviati, Guido Crepax neuerdings auch Zerocalcare, im Programm. Manuele Fior hat seinen ersten Comic überhaupt im avant-verlag herausgebracht, noch bevor er anderswo publiziert wurde. Die italienische Comic-Szene – sowohl die zeitgenössische, als auch die klassische (Gianni De Luca, Dino Battaglia, Sergio Toppi) – ist meines Erachtens die interessanteste von allen.
Den bürokratischen Teil. Aber Gott sei Dank habe ich Leute, die mich in diesem Bereich unterstützen! Anfangs war ich allein. Heute sind wir zu viert, hinzu kommt ein Heer an freien Mitarbeitern. An der Produktion eines Comics sind schließlich unterschiedliche Fachleute und Bereiche beteiligt: vom Verleger, Autor und Grafiker über den Lettering Artist, Übersetzer und Lektor bis hin zur Druckerei, dem Pressebüro und dem Vertrieb.
Welche deutschen Comic-Autoren und -Autorinnen finden Sie am spannendsten?
In den letzten zehn Jahren hat sich die deutsche Szene überraschend schnell grundlegend gewandelt. Wir erleben die Blüte einer Generation, die eine neue Ästhetik mitbringt, die nicht in der französischen oder belgischen Tradition verhaftet ist. An zahlreichen Hochschulen werden nun neben Illustrations- auch Comic-Kurse angeboten und es wurden Preise und Stiftungen ins Leben gerufen, die einschlägige Ausbildungen und neue Projekte fördern. Ein sehr schönes Beispiel ist etwa die Berthold-Leibinger-Stiftung. Die Mehrzahl der neuen Talente kommt aus dieser Struktur. Im avant-verlag sind das in den letzten Monaten Bea Davies (eine Italienerin, die in Berlin lebt), Hannah Brinkmann, Birgit Weyhe, Julia Zejn, Julia Bernhard, Katharina Greve, Mikael Ross, Simon Schwartz Hamed Eshrat, Jan Soeken uvm.
Der avant-verlag wurde mit dem Deutschen Verlagspreis 2020 ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat diese Anerkennung für Sie?
Ich bin glücklich darüber – vor allem, weil er in einem Moment kam, in dem coronabedingt große Unsicherheit herrschte. Ich finde einen Preis wie diesen sehr, sehr positiv, weil er neben dem psychologischen Effekt auch praktische Vorteile hat, er steigert nicht nur das Ansehen, sondern stellt auch eine konkrete, finanzielle Unterstützung für den Verlag dar. Ein aufmunternder Klaps auf die Schulter im richtigen Moment!
Welchen Stellenwert haben Frauen in der zeitgenössischen deutschen Comic-Szene?
Illustrations- und Comic-Kurse in Deutschland werden aktuell überwiegend von Frauen belegt, wir haben mehr Bewerberinnen als Bewerber, die mit ihren ersten Büchern bei uns vorstellig werden. Das ist eine extrem positive Entwicklung, das ist ein Schlüssel zur Wahrnehmung und zum Erfolg des deutschen Comics in der Gegenwart. Die Themenwahl, die Ästhetik ist oft eine ganz andere als die der männlichen Kollegen, Frauen beschäftigen sich auf besondere Art mit Themen wie Identität, Entfremdung, Feminismus bzw. bauen diese Sichtweise in ihre Geschichten ein.
Was ist ein Buch für Sie?
Ein Buch ist ein Teil der Kommunikation. Deshalb glaube ich, dass Lesen nicht nur Unterhaltung ist, sondern eine Erfahrung, die uns auf neue Ideen bringt und uns die Welt mit anderen Augen entdecken lässt. Graphic Novels sind dafür auf besondere Weise prädestiniert!