Gespräche auf der Frankfurter Buchmesse
Auf der Suche nach dem großen europäischen (und italienischen) Roman
Können die europäischen Nationalliteraturen ihre Grenzen überwinden und sich auf eine, wenn schon nicht universelle, so zumindest europäische Ebene aufschwingen? Darüber diskutiert der Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer Vincenzo Latronico mit Maria Carolina Foi, Professorin für deutsche Literatur an der Universität Triest, und Maike Albath, Literaturkritikerin und Journalistin.
Von Marco Maffeis
Die Perfektionen des Vincenzo Latronico
Foi zufolge ist Latronicos Die Perfektionen (2022; dt. 2023) ein guter Kandidat für das Prädikat „europäischer Roman“, insofern als er einen Lebensstil schildert, der nicht unbedingt mit dem Handlungsort Berlin zu tun hat: Er entwirft einen neuen paneuropäischen Kosmopolitismus. Das Buch entspringt, wie der Autor bestätigt, der Frage: Wer kann universelle Themen erzählen? Die Antwort: Fast nur Englischsprachige. Es war notwendig, zum einen diese Perspektive zu ergänzen und zum anderen über die spezifischen Erwartungen an das italienische Lokalkolorit hinauszugehen.Die Bedeutung der Übersetzung
Wenn es an großen europäischen Romanen mangelt, dann liegt das nicht zuletzt auch an den Hindernissen, die einem Werk häufig den Weg von einem Land ins andere erschweren. Dies ist untrennbar mit der Frage nach dem Übersetzen verbunden, das in jüngster Zeit immer schlechter bezahlt wird, weil es in einen unlauteren Wettbewerb mit der Künstlichen Intelligenz gezwungen ist. Wer sich bewusst dagegen entscheidet, muss unter Zeitdruck übersetzen, um aus der (ohnehin niedrigen) Entlohnung möglichst viel herauszuholen; wer hingegen auf maschinelle Übersetzungen zurückgreift, beschränkt sich auf die Aufgabe des Post-Editing, der Nachbearbeitung, die nicht selten in einer nivellierten, simplifizierten und damit weniger interessanten Sprache resultiert.Unstimmigkeiten und Ungleichheiten
In der deutschsprachigen Literaturlandschaft ist Italien sehr präsent, aber umgekehrt ist das nicht der Fall – es fehlt die Gegenseitigkeit. Latronico führt Christian Kracht, Clemens Setz und Rainald Goetz als Beispiele für Granden an, die man in italienischen Buchhandlungen nicht findet, erwähnt aber auch Namen wie Christa Wolf, die mittlerweile vergriffen ist.Und was ist mit den italienischen Autor*innen, die eine europäische Leserschaft verdienen würden, in Deutschland aber mangels Übersetzung unbekannt sind? Latronico verweist auf Michele Mari (von dem es allerdings eine deutsche Übersetzung gibt, die nicht zufällig vom EU-Programm Kreatives Europa kofinanziert wurde, Anm. d. Red.), aber auch auf Walter Siti, Luigi Malerba, Alberto Arbasino und Anna Maria Ortese.